Jüdische Dozenten berichten über Antisemitismus an deutschen Hochschulen

Judenfeindliche Belästigungen an den Unis

Von Tom Uhlig

Hass im Netz, physische Bedrohungen, Denunziation, Boykottaufrufe gegen Lehrveranstaltungen: Jüdische Dozent:innen berichten in einer neuen Umfrage erstmals über ihren Alltag an deutschen Universitäten.

Die öffentliche Diskussion über antisemitische Agitation an deutschen Hochschulen konzentriert sich vorrangig auf die Täter:innen und den recht hilflosen (hochschul)politischen Umgang mit dem Phänomen. Es wird etwa danach gefragt, wann israelfeindliche Protestcamps geräumt werden sollten oder wer noch zum Gespräch mit den ­jeweiligen Präsidien geladen werden darf. Immer mehr verschiebt sich die Aufmerksamkeit auf die gänzlich unproduktive Debatte über Grenzen der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit.

Bei alledem gehen diejenigen unter, gegen die sich die Feindschaft richtet. Wenn Bürotüren mit roten Dreiecken markiert, Vorträge niedergebrüllt, Listen israelsolidarischer Hochschulangehöriger angefertigt und auf dem Campus Terror gegen Israel zum Widerstand verharmlost wird, bleiben die Betroffenen in der öffentlichen Debatte oft unerwähnt

Eine neue Umfrage des Netzwerks jüdischer Hochschullehrender in Deutschland, Österreich und der Schweiz (NJH) hat das geändert. Das Netzwerk hat sich Anfang des Jahres gegründet, um das Bewusstsein für Antisemitismus an Hochschulen zu schärfen, jüdischen Dozent:innen und Student:innen eine Anlaufstelle zu bieten und zusammen mit Hochschulleitungen effektive Konzepte im Kampf gegen Antisemitismus zu entwickeln. Die gerade erschienene Studie über antisemitische Bedrohungen und Belästigungen an Hochschulen gibt nun einen kleinen Einblick in den Alltag der Betroffenen. Sie ist die erste ihrer Art.

Eine Dozentin berichtete der Umfrage zufolge, in einem Work­shop von Studierenden sei ihr die Fähigkeit abgesprochen worden, als Jüdin fundiert Stellung zum Nahost-Konflikt zu beziehen.

Die Studie ist allerdings nicht repräsentativ. Die Befragten wurden nicht zufällig aus der Gesamtpopulation ausgewählt. Das Netzwerk hat den Fragebogen unter seinen nach Eigenangaben 140 Mitgliedern verteilt. Etwa die Hälfte beteiligte sich an der Umfrage. Bei den Befragten kann also davon ausgegangen werden, dass sie bereits ein Problem­bewusstsein für das Thema mitbringen. Das ist insofern entscheidend, da, wenn die Zahlen sich verallgemeinern ließen, ein regulärer Hochschul- und Lehr­betrieb vermutlich nicht mehr möglich wäre: 40,9 Prozent berichteten von Cybermobbing per E-Mail oder in den sozialen Medien, 63,6 Prozent von verbalen Angriffen im akademischen Umfeld, 14 Prozent von Sachbeschädigungen oder physischen Bedrohungen und ebenso viele nehmen der Umfrage zufolge Schutzmaßnahmen in Anspruch. 13 Prozent sind demnach aufgrund von Anfeindungen auf Online-Lehre umgestiegen. Für diese Befragten ist die Wissenschaftsfreiheit offensichtlich längst eingeschränkt.

Der Studienbericht ist aber nicht nur wegen dieser quantitativen Lagebetrachtung lesenswert, sondern ebenso wegen der knappen Fallzusammenfassungen, die in der Gesamtschau ein recht breites Bild von Erscheinungsformen des akademischen Antisemitismus ergeben. So ist etwa die Rede von »koordinierten Aktionen, die sich konkret gegen jüdisch-israelische Wis­sen­schaftler:innen« oder tatsächlich oder vermeintliche »(pro)zionistische Stimmen« richten.

An einer Hochschule habe es Boykottaufrufe gegen israelische Wissenschaftler:innen und Hochschulen gegeben. Ebenso sei eine Kampagne zur Denunziation von jüdischen Hochschulangehörigen beobachtet worden. Student:innen seien per Flyer dazu aufgefordert worden, Seminare mit »zionistischer Propaganda« zu melden.

Als »Zionist« denunziert 

Eine israelische Dozentin gab an, man habe sie von einer Veranstaltung aus­laden wollen, da ihre »Herkunft« die Sicherheit gefährde. In einem anderen Fall sei eine Person mit Namen und Foto als »Zionist« denunziert worden. Daraufhin habe man die Sicherheit der betroffenen Person an der Hochschule nicht mehr gewährleisten können, so dass diese nur noch mit Polizeischutz oder online habe unterrichten können. Eine Befragte berichtete, in einem Workshop von Studierenden sei ihr die Fähigkeit abgesprochen worden, als Jüdin fundiert Stellung zum »Nahost-Konflikt« zu beziehen. Im selben Workshop sei die Hamas als »Widerstandsbewegung« verharmlost worden.

Es scheint ein wiederkehrendes Motiv zu sein, jüdischen Hoch­schul­leh­rer:in­nen Kompetenzen abzusprechen, sobald sie auf Antisemitismus aufmerksam machen. Außerdem wird mehrfach von ausbleibenden Reaktionen der Hochschulleitungen berichtet. Auch »fehlende Solidarität des Kollegiums« wird moniert – ebenso Anfeindungen. Das führe zu psychischen Belastungserscheinungen, zum Beispiel Schlafproblemen oder »Gedanken und Phantasien über weitere Eskalationsszenarien«. Eine befragte Person äußert die Befürchtung, »dass das Schlimmste noch vor uns liegt«.

Relativierungen des Antisemitismus

Als Sofortmaßnahmen wünschen sich die Befragten Antisemitismusschulungen für Mit­ar­bei­ter:innen, Forschungsstellen für ­Antisemitismus und »die Sensibilisierung bestehender Antidiskriminierungsstellen für die Spezifika des Antisemitismus«. Damit wird implizit der häufigen Argumentation von Hochschulleitungen eine Absage erteilt, in Form von Diversitäts- oder Antirassismusstellen bereits eine Struktur gegen Antisemitismus geschaffen zu haben.

Eine Kernforderung des Netzwerks lautet zudem, an Hochschulen Antisemitismusbeauftragte zu benennen. Vereinzelt gibt es diese in Deutschland zwar bereits. Neben der notwendigen Fachkenntnis verlangt das Netzwerk allerdings »eine enge Zusammenarbeit mit der Jüdischen Studierenden Union Deutschlands (JSUD) und der European Association of Jewish Students (EUJS) sowie ein sehr gutes Netzwerk innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland«. Das ist bislang nicht zwangsläufig Praxis.

Ende Mai hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland die Ernennung Uffa Jensens zur Antisemitismusbeauftragten der Technischen Universität Berlin »als große Enttäuschung« bezeichnet, weil Jensen wiederholt durch Relativierungen des Antisemitismus aufgefallen sei. Die Entscheidung zeuge von »Ignoranz« gegenüber jüdischen Student:innen.