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Als Frauen im Zweiten Weltkrieg die Arbeit der Männer übernahmen. Edith Andersons bissiger Eisenbahnerinnenroman »A Man’s Job« (1956) ist ein Juwel der Emanzipationsliteratur.
Port Empire, New Jersey im Juni 1943. Die USA sind im Krieg gegen Nazi-Deutschland, den Unternehmen gehen die Arbeiter aus. Während ihre Brüder und Ehemänner fern der Heimat ihre Körper dem Faschismus entgegenwerfen, lauschen acht junge Frauen im Schulungsraum einer großen Eisenbahngesellschaft den Ausführungen des Ausbilders.
Der kann seine Feindseligkeit gegen die neuen Schülerinnen kaum verbergen. An diesem heißen Sommertag wird den zukünftigen Schaffnerinnen nicht nur das komplizierte Regelwerk des Gebrauchs von Trillerpfeife, Lochzange und Quittungsblock eingetrichtert, ihnen wird auch vermittelt, dass sie als Frauen bei der Hudson & Potomac Railroad nicht wirklich willkommen sind.
Über Generationen hinweg werden die Zugchefs, die es schnell zum Eigenheim bringen, ihre Söhne aufs College schicken und der Gattin eine Putzfrau bezahlen können, aus den Reihen deutscher, englischer, irischer und schottischer Einwanderer rekrutiert.
»Die Eisenbahn war eine Männerwelt. Sie war mehr als bloße Arbeit, sie war Flucht, Ungestörtheit, Erholung. Und in diese Männerwelt waren jetzt neben anderen Miss Asher, Miss Lamb, Mrs. Hughes, Miss Gower, Mrs. Jugg, Miss Spires, Miss Shipman und Miss Freeman eingedrungen«, beschreibt Edith Anderson die nicht ganz unwitzige Ausgangslage des Romans »A Man’s Job« von 1956.
Ergänzt durch einen biographischen Essay über das Leben der US-amerikanischen Schriftstellerin und Journalistin zwischen New York und Ostberlin, erscheint das Buch jetzt in einer überarbeiteten Fassung, wieder im Aufbau-Verlag, wo es unter dem ungleich poetischeren Titel »Gelbes Licht« bereits 1956 erstveröffentlicht wurde.
Nicht nur entpuppt sich »A Man’s Job« als funkelndes Juwel unter den Emanzipationsromanen, das Buch ist zudem ein page turner. Es ist aber nicht herkömmliche Spannung, die einen an das Geschehen fesselt, dessen Ausgang ohnehin von der Realgeschichte vorgegeben ist, sondern ein Interesse, das die Autorin für die Sache selbst entfacht: den Berufsalltag bei der Eisenbahn, den sie aus weiblicher Perspektive schildert – spöttisch und bissig gegen die männlichen ebenso wie die weiblichen Figuren und mit genauem Gespür für Hierarchien, auch und gerade für die informellen.
Aus dem Roman lernt man, dass es nicht, wie man annehmen würde, der Lokführer ist, der an der Spitze der Hackordnung steht, sondern der Zugführer, der seine Überlegenheit nicht zuletzt aus dem Umstand zieht, dass er als Herrscher über Raum und Zeit für die Einhaltung des Fahrplans sorgt. Auch der Lokführer tanzt buchstäblich nach seiner Pfeife.
Da jedem Schaffner, der nur lange genug dabei bleibt, der Aufstieg zum gutbezahlten Zugführer über das sogenannte Senioritätsprinzip garantiert ist, sehen sich Letztere durch das Auftauchen von jungen Frauen bedroht. Nicht auszudenken, wenn aus den Schaffnerinnen irgendwann Zugführerinnen würden!
Es zählt aber nicht nur das Geschlecht, auch die Herkunft der Zugchefs, die um ihre privilegierte Stellung innerhalb der amerikanischen Arbeiterschaft genau wissen, ist von Bedeutung. Über Generationen hinweg werden die Männer, die es schnell zum Eigenheim bringen, ihre Söhne aufs College schicken und der Gattin eine Putzfrau bezahlen können, aus den Reihen deutscher, englischer, irischer und schottischer Einwanderer rekrutiert. Anders sieht es bei den schlecht entlohnten Tätigkeiten in den Vorortzügen aus, in denen auch Schwarze die Position des Zugchefs bekleiden dürfen.
Edith Anderson wäre nicht die überzeugte Sozialistin, die sie zeitlebens war, würde sie ihren Fokus nicht auf Streiks, Gewerkschaften und Arbeitskämpfe legen. Schnell zeigt sich, dass die Bruderschaft der Eisenbahner hält, was ihr Name verspricht: Die Gewerkschaft ist ein Männerbund, der sich für die neu dazugekommenen Kolleginnen nicht zuständig erklärt; ganz im Gegenteil werden sie als Gefahr für die Arbeitsplatzsicherheit und Aufstiegschancen der Männer angesehen und ausgetrickst. Nebenbei geht es bei Anderson dann auch um den Charme gestärkter Blusen, die Vorzüge von magentarotem Lippenstift und das zweifelhafte Privileg, im Sommer eine Bahnuniform tragen zu dürfen.
Der Roman erzählt eine fiktive Geschichte, eine Eisenbahngesellschaft dieses Namens gibt es nicht, allein die Figur des Präsidenten der Eisenbahnergewerkschaft geht auf eine reale Person zurück. Dass »A Man’s Job« dennoch aus Andersons eigener Erfahrung als Zugbegleiterin in der Kriegszeit schöpft, merkt man der Darstellung an, insbesondere dem dritten Kapitel.
Die slapstickartig erzählte Episode, die sich um das schweißnasse Oberhemd der Nachwuchsschaffnerin Toby Freeman dreht, kann man sich eigentlich nicht am Schreibtisch ausdenken. Beinahe wäre der notorisch klammen Freeman deshalb gekündigt worden. Das Hemd schenkte ihr der Bruder, bevor er zur Armee einrückt. Es ist das Einzige, das sie besitzt.
Die zur Uniform vorgeschriebenen Hemden müssen die Angestellten selbst bezahlen. Bis der erste Scheck von der Eisenbahngesellschaft eintrifft, muss Freeman mit diesem einen Hemd über die Runden kommen – und der Juni ist ungewöhnlich warm, die Überjacke viel enger und dicker als damals bei der Anprobe.
Eine Fotografie im Anhang des Buchs zeigt Anderson in der Trainman-Uniform der Pennsylvania Railroad, für die sie vier Jahre tätig war. Zuvor hatte sie ein paar Semester Englisch auf Lehramt an der Columbia University in ihrer Geburtsstadt New York studiert und in der Kulturredaktion der kommunistischen Tageszeitung Daily Worker gearbeitet. 1947, im selben Jahr, in dem sie die Eisenbahneruniform an den Nagel hängte, zog die aus einer jüdischen Familie stammende Anderson zur völligen Verzweiflung ihres Vaters ausgerechnet nach Deutschland.
»A Man’s Job« fängt in Beobachtungen und vor allem in zahlreichen Dialogen den geringschätzigen bis entwürdigenden Umgang mit Frauen, aber auch mit Juden, Schwarzen und Kommunisten ein. Es sind Diskriminierungserfahrungen, die die Autorin als linke, jüdische Frau mit den Figuren ihres Romans teilt.
Auch beim linken Daily Worker war sie als Frau nicht erste Wahl gewesen, Anderson wurde irgendwann gegen einen männlichen Kollegen ausgetauscht. Wie aber konnte eine für Zurücksetzung derart sensiblisierte Jüdin dann nur wenige Monate nach dem Ende des »Dritten Reichs« von New York nach Berlin umziehen?
Der Roman, der auf Englisch, aber bereits in Ostberlin geschrieben wurde, erinnert in vielerlei Hinsicht an die »Ankunftsliteratur« der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren, unterscheidet sich aber von ihr durch einen fast schon intersektionalistischen Ansatz.
Mit dieser Frage beschäftigt sich unter anderem das Nachwort von Caroline Würfel ausführlich. Die Kurzfassung der Antwort lautet, dass sich Anderson erstens in Max Schroeder, den späteren Cheflektor bei Aufbau, der auch ihren Roman betreut hat, verliebt hatte, und sie sich zweitens im sozialistischen Teil Deutschlands auf der sicheren, weil antifaschistischen Seite wähnte.
Von Letzterem zeugt auch der leicht pathetische Schluss, der einen Ausblick auf »einen anderen Teil der Welt« gewährt, in der Frauen »ehrenvoll behandelt wurden und auf der Basis völliger Gleichberechtigung« arbeiten konnten. Der Roman, den Anderson auf Englisch, aber bereits in Ostberlin geschrieben hat, erinnert in vielerlei Hinsicht an die »Ankunftsliteratur« der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren, unterscheidet sich aber von ihr durch einen fast schon intersektionalistischen Ansatz. Seine Bedeutung liegt dabei nicht zuletzt in der Eleganz, mit der Anderson – wenn auch aus politisch durchaus zweifelhaften Motiven – den Wildwest-Mythos der transkontinentalen Eisenbahn zerlegt.
Edith Anderson: A Man’s Job. Aus dem amerikanischen Englisch von Otto Wilck und Max Schroeder. Aufbau-Verlag, Berlin 2024, 405 Seiten, 48 Euro