In Polen ist ein Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung der Abtreibungshilfe gescheitert

Krise der Koalition

In Polen ist ein Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung der Beihilfe zur Abtreibung gescheitert. Für die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk bedeutet das eine Niederlage – und zeigt Probleme innerhalb der Koalition.

Jubel bei den Nationalkonservativen von der Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS) und den Rechtsextremen von der Konfederacja Wolność i Niepodległość (Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit), Wut und Unverständnis auf großen Teilen der Regierungsbank: So sollte es im polnischen Sejm seit dem Regierungsantritt der Koalition aus drei Wahlbündnissen, der liberal-konservativen Koalicja Obywatelska (Bürgerkoalition, KO), der zentristisch-konservativen Trzecia Droga (Dritter Weg) und der ­Lewica (Linke) am 13. Dezember nicht aussehen. Und doch applaudierten am 12. Juli die rechtskonservativen »Lebensschützer«, nachdem die Entkriminalisierung der Hilfe bei Abtreibungen im polnischen Unterhaus gescheitert war, während die meisten Koalitionsmitglieder betreten dreinschaute.

Die Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk (KO) ist mit großen Versprechen angetreten: nicht nur sollte der antidemokratische Staatsumbau und die Korruption der von PiS dominierten Vorgängerregierung aufgedeckt und rückgängig gemacht werden. Ziel der Koalition war es, ein neues, »lächelndes«, Polen zu präsentieren, in dem demokratische Prinzipien sowie die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten geachtet würden. Während die Aufdeckung diverser Machenschaften von PiS-Funktionären regelmäßig für Schlagzeilen sorgt, sieht es bei anderen Wahlversprechen düster aus – so auch beim Thema Schwangerschaftsabbruch.

Gegen den Gesetzentwurf hatten die rechtspopulistischen bis rechts­extremen Abgeordneten gestimmt, aber auch Parlamentarier der Regierungskoalition.

Eine Abtreibung vorzunehmen, steht in Polen nicht direkt unter Strafe, aber jegliche Art der Hilfsleistung. Seit einem Urteil des von PiS neu besetzten Verfassungsgerichts im Oktober 2020 sind legale Abtreibungen nur noch bei Schwangerschaften infolge einer Straftat oder bei Lebensgefahr der Schwangeren möglich. Diese Rechtslage führte in den vergangenen Jahren zu Verhaftungen von Angehörigen oder Aktivist:innen, die Frauen bei der Beschaffung von Abtreibungsmedikamenten halfen, und in Extremfällen auch zum Tod von Frauen, denen in Kliniken eine Abtreibung verweigert wurde.

Um diese Notlage zu mildern, hatte die Fraktion der Lewica den Entwurf für das sogenannte Rettungsgesetz in die parlamentarischen Beratungen eingebracht, das zunächst Ärzt:innen und Helfenden Rechtssicherheit verschaffen sollte. Dieser Entwurf war nach Beratungen in einem eigens dafür eingerichteten Ausschuss zurück an den Sejm gegangen, wo er nun abgelehnt wurde. Er scheiterte denkbar knapp mit 218 zu 215 Stimmen – eine Schlappe für die gesamte Regierung, aber auch für Tusk persönlich. Er und andere prominente Regierungsmitglieder hatten sich zuvor mehrfach für diesen Vorschlag eingesetzt und ihn auch als ersten Schritt in einer verfahrenen Abtreibungsdebatte verkaufen wollen, in der die Koalitionspartner sich seit Monaten kaum aufeinander zube­wegten.

Scharfe Reaktion von Donald Tusk

Gegen den Entwurf hatten erwartungsgemäß die rechtspopulistischen bis rechtsextremen Abgeordneten ­gestimmt, aber auch 24 Parlamentarier des konservativen Polskie Stronnictwo Ludowe (Polnische Bauernpartei, PSL), die als Teil der Trzecia Droga der Regierungskoalition angehört. In dieser knappen Entscheidung waren auch Enthaltungen und Abwesenheiten von ­Gewicht: Fünf Abgeordnete der Trzecia Droga sowie drei Parlamentarier der KO äußerten ihre Meinung auf diese Weise.

Dass die Bauernpartei PSL gegen den von der Regierung unterstützten Entwurf stimmte, wirft zwar ein ein schlechtes Licht auf Donald Tusks Durchsetzungsfähigkeit in der Koalition, war jedoch keine Überraschung. Dass es jedoch in Tusks eigener Partei Abweichler gab, deren Stimmen zu einem anderen Ergebnis hätten führen können, schadet Tusk dauerhaft.

Umso schärfer fiel seine Reaktion aus: Schon wenige Stunden nach der Abstimmung wurde auf sein Betreiben hin die Fraktionszugehörigkeit der zwei unentschuldigt Fehlenden suspendiert, sie wurden zudem ihrer Posten als stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Vizeminister für Entwicklung und Technologie enthoben.

62 Prozent für die Legalisierung von Abtreibung

Der Gesetzentwurf war der erste von insgesamt vier Entwürfen zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Polen. Die KO legte Ende Januar einen Gesetzentwurf vor, der Abbrüche bis zur zwölften Schwangerschaftswoche legalisieren würde, die Lewica forderte dasselbe mit einem eigenen Entwurf. Die Trzecia Droga will zurück zur auch schon sehr strengen Regel von 1993 vor der Verschärfung durch PiS, bei der eine Abtreibung auch dann möglich war, wenn beim Fötus schwere Krankheiten festgestellt wurden. Diese drei Entwürfe werden noch im Ausschuss beraten.

Körperliche Selbstbestimmung von Frauen war eines der wichtigsten Themen für junge und weibliche Wähler:in­nen, dank deren Mobilisierung PiS im Oktober die Macht verloren hatte. In jüngsten Umfragen sprechen sich 62 Prozent der Befragten für die Legalisierung von Abtreibung mindestens bis zur zwölften Schwangerschaftswoche aus, unter Wähler:innen der Regierungskoalition sind es gar 92 Prozent.

Einige von ihnen rufen nun zu Protesten auf, wie sie seit der Abstimmung in mehreren Städten im Land stattfanden, auch am Dienstag vor dem Sejm-Gebäude in Warschau. Die Koalitionsparteien müssen davon ausgehen, dass einige der nun Enttäuschten bei den kommenden Wahlen nicht wieder für sie stimmen werden.

 Veto des Präsidenten droht

Auch in der Koalition kriselt es immer mehr: In der Fraktion der Lewica rumort es. Nicht nur werden ihre zentralen Wahlkampfthemen kaum angegangen, wie der Kampf für bezahlbaren Wohnraum. Nun stehen auch gesellschaftspolitische Minimalkompromisse auf der Kippe, die den Kitt der Koalition hätten bilden sollen.

Als Blockierer tritt immer wieder neben dem PSL die zweite große Mitgliedspartei der Trzecia Droga auf, das katholisch-konservative Bündnis Polska 2050. Die beiden Parteien blockieren neben Reformen in der Abtreibungsfrage gegenwärtig auch die Arbeit an einem Gesetzesentwurf zu Lebenspartnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare.

Zwar hätte auch eine Zustimmung des Sejm nicht bedeutet, dass das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt. Der PiS nahestehende Staatspräsident Andrzej Duda hatte schon vor der Abstimmung angekündigt, sein Veto einzulegen, sollte der Entwurf verabschiedet werden.

Doch die Regierungskoalition hätte damit erneut ein Argument in der Hand gehabt, wieso bei der im kommenden Jahr anstehenden Präsidentschaftswahl unbedingt ein:e Kandi­dat:in der Koalition gewinnen müsste. Die Lewica hat angekündigt, den Gesetzentwurf so oft erneut ins Parlament einzubringen, bis er eine Mehrheit findet – um dann wohl am Veto des Präsidenten zu scheitern.