https://shop.jungle.world/artikel/2023/39/bericht-bataclan-prozess-vendredi-13
Emmanuel Carrère hat den Prozess gegen die Attentäter und Unterstützer der Anschläge auf die Konzerthalle Bataclan, die Terrassen mehrerer Cafés und das Stade de France begleitet. Das daraus entstandende Buch liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor.
Emmanuel Carrère hat den Prozess gegen die Attentäter und Unterstützer der Anschläge auf die Konzerthalle Bataclan, die Terrassen mehrerer Cafés und das Stade de France am 13. November 2015 für die Zeitschrift L’Obs begleitet. Seine wöchentlichen Kolumnen erschienen 2022 als Buch unter dem Titel »V13«, die Abkürzung für »vendredi 13« (Freitag, der 13.), den Tag der Anschläge.
»V13: Die Terroranschläge in Paris« liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor. Der Prozess, der nur einen Hauptangeklagten hat, den einzigen überlebenden Attentäter Salah Abdeslam, ist von großer Bedeutung für die jüngere französische Geschichte. Carrère zieht sogar den Vergleich mit dem Prozess gegen den Gestapo-Täter Klaus Barbie, den sogenannten Schlächter von Lyon.
Es geht um die Frage, was normale junge muslimische Männer dazu bringt, zum Todesschützen zu werden, die Frage, was aus kiffenden Jugendlichen Selbstmordattentäter werden lässt.
Der Prozess gliedert sich in zwei Teile. Der erste besteht aus der Anhörung der Überlebenden und Hinterbliebenen der Opfer der Anschläge. Mit der ihm eigenen Gabe der Einfühlung gibt Carrère wieder, wie das Leben der Menschen in die Zeit vor und nach dem Anschlag zerfallen ist.
Dass es von großer Bedeutung ist, die Opfer reden zu lassen, liegt auf der Hand. Dass auch der überlebende Täter und die Mitglieder des Netzwerks der Terrorzelle des »Islamischen Staats« ausführlich befragt werden, ist angesichts ihrer Taten schwer auszuhalten.
Und dennoch sei dies notwendig, wie Carrère schreibt, denn in diesem Teil des Prozesses geht es um die Frage nach der »Psychopathologie des Islam«, die Frage, was normale junge muslimische Männer dazu bringt, zum Todesschützen zu werden, die Frage, was aus kiffenden Jugendlichen Selbstmordattentäter werden lässt.
Carrère kann keine abschließende Antwort darauf geben, das Gericht kann es auch nicht. Und dennoch ist der Prozess und damit das Buch eine weitere notwendige Auseinandersetzung mit eben diesen Fragen.
Emmanuel Carrère: V13: Die Terroranschläge in Paris. Aus dem Französischen von Claudia Hamm. Matthes & Seitz, Berlin 2023, 275 Seiten, 25 Euro