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Der Iran bereitet sich auf den Jahrestag des Tods von Jina Mahsa Amini und des darauf folgenden Aufstands vor. Eine Kommission des Parlaments hat eine Strafrechtsreform gebilligt, die für Verstöße gegen die islamistischen Kleidervorschriften härtere Strafen vorsieht.
Am 16. September ist es ein Jahr her, dass die kurdische Iranerin Jina Mahsa Amini von der iranischen Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen die Kopftuchpflicht festgenommen wurde und danach vermutlich an den Folgen von Misshandlungen im Krankenhaus starb. Der darauf folgende Aufstand gegen das Mullah-Regime unter der Parole »Frau, Leben, Freiheit« erfasste – ausgehend von den kurdischen Provinzen – in kurzer Zeit große Teile des Landes und der iranischen Gesellschaft.
Das Ausmaß der Freiheitsbewegung verdeutlichte, dass dem Regime die gesellschaftliche Legitimation abhanden gekommen ist und es sich lediglich mittels brutaler Repression durch seinen Gewaltapparat sowie dank internationaler Unterstützung an der Macht hält. Zu Letzterer gehört auch, das muss so deutlich gesagt werden, die passive Haltung der USA und der EU inklusive der deutschen Bundesregierung, deren Unterstützung für die iranische Widerstandsbewegung sich weitgehend auf diplomatische Protestnoten beschränkte und die substantiellere Maßnahmen gegen das Regime vermieden. So wurden bis heute weder die berüchtigten Revolutionsgarden, Kern des Gewaltsystems und zugleich entscheidende wirtschaftliche Stütze des Systems, der EU-Terrorliste hinzugefügt noch die Atomgespräche für endgültig gescheitert erklärt.
Anfang August gewährten die USA dem Regime gar Zugang zu mindestens sechs Milliarden US-Dollar an bisher eingefrorenen Auslandsguthaben im Austausch gegen fünf US-amerikanische Häftlinge – ein klarer Erfolg iranischer Geiseldiplomatie. Vergangene Woche haben auch die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) bei ihrem Treffen in Südafrika beschlossen, zum Januar nächsten Jahres den Iran in ihre Organisation aufzunehmen, womit das Teheraner Regime international weiter aufgewertet wird.
Ein Schwerpunkt der Repression ist die Durchsetzung der islamistischen Kleidungsvorschriften, die vom Regime als entscheidendes Symbol seiner Macht begriffen werden.
Das Regime konnte durch brutalen Straßenterror, Massenverhaftungen und zahllose Hinrichtungen die großen Proteste zwar mittlerweile weitgehend eindämmen, dennoch ist der gesellschaftliche Widerstand keineswegs beendet. Diesen tragen weiterhin vor allem Frauen, die zum Beispiel demonstrativ die islamistischen Kleidervorschriften brechen. Bei Übergriffen und Verhaftungen durch Basij-Milizionäre und die Sittenpolizei, deren zu Beginn des Aufstands angekündigte Auflösung sich als Lüge erwies, kommt es offenbar regelmäßig zu – in den sozialen Medien gut dokumentierten – Solidarisierungen, auch seitens männlicher Passanten. Betriebe und Behörden sehen wohl im Alltag, nicht zuletzt im Interesse reibungsloser Betriebsabläufe, bei der Durchsetzung der Kleidervorschriften öfter nicht so genau hin.
Das Regime hat daher im Hinblick auf den nahenden Jahrestag des Aufstands in jüngster Zeit die Repressalien weiter verschärft und vermehrt Angehörige von Minderheiten wie den Bahai verhaftet. Auch die Familien von Repressionsopfern wie den zahlreichen Hingerichteten werden schikaniert und eingeschüchtert. Nach Berichten von Menschenrechtsgruppen gab es Mitte August auch eine Reihe von Verhaftungen feministischer Aktivist:innen. Ein Schwerpunkt der Repression ist unmissverständlich die Durchsetzung der islamistischen Kleidervorschriften, die vom Regime als entscheidendes Symbol seiner Macht begriffen werden. Das unterstreicht eine Strafrechtsreform, die einen Teil des Gesetzgebungsprozesses bereits durchlaufen hat und noch härtere Strafen bei Verstößen gegen die Kleidungsordnung vorsieht.
Der fast 70 Paragraphen umfassende Gesetzentwurf sieht wesentlich höhere Geldbußen bis zur Höhe mehrerer Monatsgehälter sowie Haftstrafen bis zu 15 Jahren bei Verstößen gegen die umfassenden Kleiderregeln vor, in deren Zentrum zwar der Hijab steht, die aber auch männliche Kleidung einbeziehen. Zu den vorgesehenen Strafen gehören auch Ausreisesperren und temporäre Berufsverbote sowie die Exmatrikulation unbotmäßig gekleideter Student:innen und der Ausschluss von staatlichen Leistungen. Unternehmer:innen, die in ihren Läden oder Betrieben Frauen ohne Kopftuch dulden, würden gemäß der Gesetzesvorlage künftig eine Geldstrafe von bis zu einem Viertel ihrer Jahreseinnahmen und Schließungen riskieren; auch kulturelle Einrichtungen wie Museen könnten geschlossen werden. Ausländer:innen sollen bei Verstößen des Landes verwiesen werden.
Regimetreue Bürger:innen sind zur Denunziationen aufgerufen, außerdem soll mehr als bisher Überwachungstechnologie eingesetzt werden. Bereits jetzt hat der Iran ein äußerst dichtes Netz von Überwachungskameras auf den Straßen, die nötige Ausrüstung lieferten neben chinesischen Unternehmen auch europäische Firmen.
Offenbar tobt vor der im kommenden Jahr stattfindenden Parlamentswahl ein harter Konkurrenzkampf innerhalb des konservativen Lagers, der schon länger zu »toxischen« Streitigkeiten zwischen Regierung und Parlament geführt hat.
Unter diesen befindet sich einer Recherche der ARD zufolge auch Bosch Security, eine Tochterfirma der schwäbischen Robert Bosch GmbH, welche bis 2019 rund 8 000 Kameras lieferte und offenbar bei Schulungen im Iran auch Software einer dänischen Firma für diese Kameras vorstellte, mit der Gesichtserkennung möglich ist. Bosch betont, sich bei Kameraverkäufen für die Verkehrsüberwachung an die geltenden Exportvorschriften gehalten zu haben. Nach Aussagen iranischer Menschenrechtsanwält:innen und Aktivist:innen werden solche Systeme schon lange auch dazu genutzt, um Demonstrationen möglichst schon im Keim ersticken zu können und Oppositionelle zu überwachen. Dem Gesetzentwurf zufolge sollen die so gewonnenen Daten künftig auch vor Gericht verwendbar sein, was bislang untersagt ist.
In dem seit den jüngsten Wahlen praktisch ausschließlich mit sogenannten Hardlinern besetzten iranischen Parlament herrscht jedoch Unmut, da der Gesetzentwurf durch eine von der Regierung eigens eingesetzte Sonderkommission ohne Abstimmung am Parlament vorbeigeschleust und gebilligt wurde. Nun muss es noch durch den aus erzreaktionären Klerikern bestehenden Wächterrat abgesegnet werden.
Offenbar tobt vor der im kommenden Jahr stattfindenden Parlamentswahl ein harter Konkurrenzkampf innerhalb des konservativen Lagers, der schon länger zu »toxischen« Streitigkeiten zwischen Regierung und Parlament geführt hat, wie das deutschsprachige Fachmagazin Iran Journal kürzlich den konservativen Abgeordneten Morteza Mahmoudvand zitierte. Wie solche Streitigkeiten sich darstellen, mag ein Vorfall im vergangenen November illustrieren, als der Aufstand in vollem Gange war. Damals forderten 227 der 290 Parlamentsabgeordneten in einem offenen Brief eine noch härtere und schnellere Aburteilung der Protestierenden. Als der erwähnte Abgeordnete Mahmoudvand im Parlament kritische Einwände gegen diesen Brief vorbrachte, stellte ihm Parlamentssprecher Mohammad Bagher Ghalibaf kurzerhand das Mikrophon ab.
Aus den Streitigkeiten zwischen dem Parlament und der Regierung über deren Vorgehen bei der Strafverschärfung für Verstöße gegen Kleidungsvorschriften sollten daher keine voreiligen Schlüsse auf eine irgendwie »gemäßigtere« Haltung der Parlamentsabgeordneten gezogen werden. Sie zeigen aber ebenso wie die jüngsten Verhaftungen die Nervosität und Spannungen innerhalb des iranischen Regimes. Offenbar wird zum Jahrestag des Beginns des Aufstands mit neuen Protesten gerechnet, die mit allen Mitteln unterdrückt werden sollen.