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Jenn Budd arbeitete sechs Jahre bei der US-amerikanischen Grenzschutzpolizei Border Patrol in den Bergen um San Diego, wo sie Migranten und Schmugglerinnen aufspürte und deportieren ließ. Im Jahr 2001 verließ sie die Behörde. In ihrem 2022 erschienenen Buch »Against the Wall: My Journey from Border Patrol Agent to Immigrant Rights Activist« beschreibt sie die Gewalt, die sie ausübte und der sie selbst ausgesetzt war. Während der Ausbildung wurde sie demnach von einem zukünftigen Kollegen vergewaltigt, als lesbische Frau belästigt und gedemütigt; einem Mordversuch entging sie nur knapp. Heutzutage ist Jenn Budd als Aktivistin auf beiden Seiten der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze aktiv.
Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Grenzschutzpolizei?
Ich habe mich im Jahr 1995 der Border Patrol angeschlossen, nachdem ich mein Jurastudium an der Auburn University beendet hatte. Im Jahr 2001 habe ich aus Protest gekündigt. Ich konnte die Uniform und die Dienstmarke nicht mehr tragen, nachdem ich herausgefunden habe, wie korrupt die Behörde ist. Ich habe in den darauffolgenden Jahren in der Schreinerei meiner Ehefrau gearbeitet, Spezialanfertigungen gebaut und versucht, die Zeit an der Grenze zu vergessen. Das führte schließlich zu einem Suizidversuch im Februar 2015. Erst danach begann ich, meine Erfahrungen aufzuarbeiten. Ich hatte mich einer Organisation angeschlossen, die zutiefst rassistisch ist, und habe dabei andere Menschen brutalisiert und traumatisiert. Ich spürte, dass ich mich meiner eigenen Verantwortung stellen musste, wenn ich meine psychische Erkrankung bekämpfen wollte. Mittlerweile berichte ich über die Border Patrol, über die dortige rape culture, über die Vertuschung ihrer Missetaten. Ich tue, was ich kann, um die Opfer der Behörde zu unterstützen, um über die Verbrechen seit ihrer Gründung im Jahr 1924 aufzuklären.
Was bedeutet »deterrence«, also »Abschreckung«?
Die Abschreckungsmaßnahmen begannen 1994 damit, dass die Grenzübergänge in der Nähe von Großstädten abgeriegelt wurden, also um Ballungszentren wie San Diego, El Paso und McAllen in Texas herum. Die Idee dahinter ist, dass US-Amerikaner nicht sehen müssen, wie Nichtweiße in die USA kommen. Das begann vor dem 11. September, doch nach dem Terrorangriff wurde es vorangetrieben. Es geht darum, Migranten in die abgelegensten und gefährlichsten Regionen der Grenze zu lenken.
»Der letzte Sommer war hier im Südwesten der USA einer der heißesten aller Zeiten, auch mit mehr Toten an der Grenze als je zuvor.«
Die Berge um San Diego, wo ich gearbeitet habe, waren solch ein Ort. Es schneit im Winter, im Sommer werden es an die 40 Grad, es gibt Klapperschlangen und Pumas; da draußen sterben Migranten zu Tausenden. Oder sie leiten Menschen in die Sonorawüste in Arizona, da liegen Zehntausende Leichen, die nie gefunden werden. Diese Gebiete sind so gefährlich, dass selbst Beamte der Border Patrol da sterben, mir selbst wäre es auch fast passiert. Die Migranten sollen zur Umkehr gezwungen werden, damit sie ihren Familien zu Hause dann erzählen: »Da draußen ist es zu gefährlich, versucht es erst gar nicht.« Damit diese Maßnahmen funktionieren, müssen aber ein paar Leute sterben. Wir wussten genau, was passiert, wenn wir Menschen in diese Gebiete lotsen.
Welche Rolle spielt »Title 42«? Mit diesem Gesetz wurden unter Präsident Donald Trump Teile des Asylrechts ausgesetzt, unter dem Vorwand, die Ausbreitung von Sars-CoV-2 in den USA einzudämmen.
Durch Title 42 wurden die großen Grenzübergänge geschlossen und damit auch jede legale Möglichkeit für Migranten, die Grenze zu überqueren. Damit werden also noch mehr Leute in die gefährlichen und abgelegenen Gegenden der Grenze gezwungen. Wir erleben hier im Südwesten extremen Klimawandel, der letzte Sommer war einer der heißesten aller Zeiten – auch mit mehr Toten an der Grenze als je zuvor. Wir wissen, dass wir die Leute in den Tod schicken. Aber was mich sprachlos macht, ist, dass die Border Patrol Medaillen verteilt, wenn ihre Beamten Migranten vor dem Tod retten. Ihr werft hier quasi Nichtschwimmer ins tiefe Wasser, und klopft euch dann selbst dafür auf die Schulter, wenn ihr sie wieder rauszieht.
Präsident Joe Biden ist unter anderem mit dem Versprechen ins Amt gekommen, mit der rassistischen Grenzpolitik der Regierung Trump zu brechen.
An der Grenze verändert sich sehr viel weniger, als versprochen wird, ganz besonders wenn es um nichtweiße Migranten geht. Der Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten ist vor allem die Rhetorik. Die Republikaner prahlen mit ihrer Brutalität, während die Demokraten versuchen, sie zu vertuschen – aber es geht um dasselbe System. Ich habe mich unter Bill Clinton der Border Patrol angeschlossen, und es war Barack Obama, unter dem sie Käfige gebaut haben, in denen Donald Trump Kinder einsperren ließ. Wenn man sich ein wenig näher mit der Politik befasst, sieht man, dass hier Systeme von einer Regierung etabliert und der nächsten überreicht werden. Sie werden dabei immer brutaler. Joe Biden hat fast nichts von dem eingehalten, was er versprochen hat.
Gibt es etwas, dass Präsident Biden im Vergleich zu Trumps Grenzpolitik tatsächlich geändert hat?
Die Demokraten wälzen das ganze Problem auf andere Staaten ab. Biden hat viel Geld nach Mexiko, Guatemala und Honduras geschickt. Er versteht, dass er die Staaten dafür bezahlen kann, die Menschen dort festzuhalten und sie davon abzuhalten, herzukommen. Diese Entscheidungen werden alle hier getroffen und von uns bezahlt. Wir schicken Grenzschutz- und Zollbeamte in andere Länder, um ihnen beizubringen, wie man die brutalen Taktiken zur Abschreckung auch bei ihnen anwenden kann. Ich habe mich der Behörde in den Jahren angeschlossen, in denen diese Maßnahmen in den USA im großen Stil angewendet wurden, und dafür übernehme ich die Verantwortung. Danach wurde mir klar, dass ich an der Errichtung eines Systems schwerer Menschenrechtsverletzungen beteiligt war. Die Regierung Biden versucht nun, diese Politik in andere Länder zu exportieren. Das führt zu noch mehr Gewalt und Internierung von Migranten, damit sie erst gar nicht die südliche Grenze der USA erreichen können.
Politisch gesehen haben Sie eine große Wandlung hinter sich, von der überzeugten Grenzpolizistin, die Menschen durch die Wüste gejagt hat, bis zur Whistleblowerin und Aktivistin. Was können Sie darüber erzählen?
Wissen Sie, weiße Menschen wie ich sprechen viel darüber, wie es sich anfühlt, wenn jemand uns auf unseren Rassismus hinweist. Wir wissen einfach nicht, wie wir darüber sprechen sollen. Alles, was wir wissen, ist, dass wir wundervoll und großartig sind. Ich wurde in einer liberalen Familie erzogen, aber die Idee der white supremacy war auch mir fremd. Ich habe die Uni besucht, gute Noten erzielt und wollte Bürgerrechtsanwältin werden. Und dann bin ich zur Border Patrol gegangen, als Zwischenstation zwischen dem Aufbaustudium und dem eigentlichen Jurastudium. Meine Vergewaltigung an der Border Patrol Academy hat mich dann dazu gebracht, alles in Frage zu stellen, was ich gelernt hatte – über die USA, über den Rechtsstaat und unsere Regierung, und darüber, wie verlogen das alles ist. Ich dachte, ich gehöre einer Organisation an, die Ideale verkörpert, und musste dann zuschauen, wie alles einfach vertuscht wurde. Ich glaube, die meisten Frauen in den USA machen sich selbst dafür verantwortlich, was ihnen widerfährt. Wir werden in der gleichen korrupten rape culture erzogen. Ich habe mein Trauma an anderen ausgelassen, indem ich das rassistische System unterstützte. Wenn ich eine Leiche gefunden habe, habe ich mir gesagt: »Na ja, du hättest nicht rüberkommen sollen.« Als ob das einen Unterschied gemacht hätte. Ich musste mich also erst mal mit meinem eigenen Trauma auseinandersetzen, um zu sehen, was ich anderen Menschen angetan habe, und das war schmerzhaft.