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Immer wieder wird vor überzogenen Lohnforderungen gewarnt, weil das die Inflation befeuern würde. Doch in Wirklichkeit treiben hohe Unternehmensgewinne die Preise nach oben.
Seit einiger Zeit warnen Ökonomen und Wirtschaftsjournalistinnen wie Ulrike Herrmann von der Taz vor der sogenannten Lohn-Preis-Spirale. Worauf man mit dieser Warnung hinaus möchte, ist Folgendes: Wenn die Gewerkschaften hohe Lohnerhöhungen durchsetzen, seien die Arbeitgeber gezwungen, die Preise zu erhöhen, um profitabel zu bleiben – und das wiederum treibe die Inflation an.
Das impliziert die Aufforderung, dass Arbeitnehmer die Kosten für die Überwindung der Inflation tragen sollen. Sie sollen Reallohnverluste hinnehmen, damit Unternehmen nicht auf Profite verzichten müssen.
Undenkbar ist eine Lohn-Preis-Spirale nicht, doch mit der bisherigen ökonomischen Lage hat sie nichts zu tun. Es gibt bekanntlich ganz andere Gründe für die Inflation – die hohen Energiepreise als Folge von Russlands Überfall auf die Ukraine, Lieferschwierigkeiten als Folge der Covid-19-Pandemie.
Und nicht nur das: Mittlerweile scheint es sogar Gründe zu geben, von einer »Profit-Preis-Spirale« zu sprechen – dass nämlich Unternehmen nicht nur ihre gestiegenen Kosten auf Kunden abwälzen, sondern die gegenwärtige Lage sogar dafür nutzen, Preiserhöhungen durchzusetzen, mit denen sie ihre Gewinne in die Höhe treiben.
Rekordprofite
Ein erstes Indiz dafür ist, dass die 100 umsatzstärksten deutschen Großkonzerne im vergangenen Jahr Rekordprofite eingefahren haben. Lässt man das bankrotte Energieunternehmen Uniper weg, haben die 99 umsatzstärksten deutschen Firmen im vergangenen Jahr 145 Milliarden Euro Gewinn erzielt, 22 Prozent mehr als im Vorjahr.
»Ein Gutteil der gestiegenen Energiekosten konnte von den Unternehmen über höhere Preise an die Kunden weitergegeben werden«, hieß es in der FAZ über diese Zahlen. Viele Unternehmen haben aber offenbar nicht nur »ein Gutteil der gestiegenen Energiekosten« an ihre Kunden weitergegeben, sondern noch deutlich mehr.
Die Börsen-Zeitung berichtete kürzlich von einer Untersuchung des Ifo-Instituts, der zufolge »vor allem Firmen im Handel, Gastgewerbe und Verkehr sowie im Baugewerbe zum Jahresende die Preise überproportional erhöht« hätten. »Diese Firmen haben die Lage genutzt, um ihre Gewinne kräftig zu steigern«, wird der Autor der Studie, Joachim Ragnitz, zitiert. Der Ökonom Philipp Heimberger vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) sagte der Zeitung zudem, »wenn es zu einer Spirale kommt, die die Inflation verstärkt, dann bei Unternehmensgewinnen«.
Bei Lohnauseinandersetzungen sollte eine einfache Devise gelten: Man nimmt, so viel man nur kriegen kann, und verlangt noch mehr.
Dass hohe Unternehmensgewinne zu einem Treiber der Inflation geworden sind, argumentierten kürzlich auch zwei US-amerikanische Ökonominnen von der University of Massachusetts, Evan Wasner sowie Isabella M. Weber. Letztere gilt als Erfinderin des deutschen Gaspreisdeckels. In ihrem kürzlich erschienenen Papier argumentieren die beiden, ein Hauptgrund für die derzeitige Inflation sei, dass »Firmen mit Marktmacht in der Lage sind, Preise zu erhöhen«.
Reallohnverlust
Das täten Unternehmen jedoch nur, wenn sie davon ausgingen, dass die Konkurrenz das ebenfalls tue. Voraussetzung dafür sei ein »implizites Einverständnis«, das aber offenbar in vielen Branchen existiere. Die Folge sei, dass die Gewinnmargen US-amerikanischer Firmen einen historischen Spitzenwert erreicht haben. Wenn man den Finanzsektor herausrechnet, lagen deren durchschnittliche Profitmargen vergangenes Jahr bei knapp 15 Prozent. Einen solchen Wert hat es seit den fünfziger Jahren nicht mehr gegeben.
Für die derzeitigen Tarifauseinandersetzungen in Deutschland ist diese Diskussion von großer Bedeutung. Im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften in einer »Konzertierten Aktion« dafür gesorgt, dass die Löhne trotz Inflation kaum gestiegen waren. Damals wurde auch das Argument einer drohenden »Lohn-Preis-Spirale« genutzt.
Das Resultat waren hohe Preise, hohe Profite und niedrige Lohnabschlüsse. Der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge stiegen die Tariflöhne im vergangenen Jahr durchschnittlich nur um 2,7 Prozent, was wegen der Inflation einen Reallohnverlust von 4,7 Prozent bedeutet habe. Das sollte sich dieses Jahr nicht wiederholen. Bei Lohnauseinandersetzungen sollte eine einfache Devise gelten: Man nimmt, so viel man nur kriegen kann, und verlangt noch mehr.