Die britische Regierung blockiert ein schottisches Gesetz zum vereinfachten Geschlechtswechsel

Umstrittenes Veto

Die britische Regierung blockiert ein Gesetz des schottischen Parlaments, das die rechtliche Anerkennung eines Geschlechterwechsels vereinfachen sollte. Der Konflikt verläuft nicht nur entlang der Front zwischen den Konservativen und ihren Gegnern.

Die Entscheidung sei ein »Frontal­angriff«; Alister Jack, der Minister für Schottland im britischen Kabinett, handle »wie ein Generalgouverneur«. Die schottische Erste Ministerin Nicola Sturgeon (deren Amt in etwa dem einer Ministerpräsidentin in Deutschland entspricht) reagierte am Donnerstag voriger Woche harsch auf die Blockade eines im schottischen Parlament Ende Dezember beschlossenen Gesetzes, das die personenstandsrechtliche Änderung des Geschlechts vereinfacht hätte, durch die britische Regierung.

Vor allem die Erfordernis der medizinischen Diagnose der Geschlechtsdysphorie sollte abgeschafft werden. Eine solche liegt vor, wenn Menschen sich mit ­ihrem Geschlecht unwohl fühlen oder unter ihm leiden. Zudem sollten Fristen verkürzt und die Altersbeschränkung für den Geschlechtswechsel sollte von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden. Erstmals wandte die britische Regierung dagegen den Artikel 35 des Schottland-Autonomiegesetzes an, dem zufolge nicht mit dem britischen Recht konforme schottische Beschlüsse ungültig sind. Das schottische Gesetz widerspreche der britischen Gleichheitsgesetzgebung, teilte Jack am Dienstag mit.

Großbritannien will medizinische Diagnose, Schottland reicht Self-ID 

Die strittige Gesetzesänderung hatte die schottische Regionalregierung bereits 2016 vorgeschlagen. Damals signalisierte auch die britische Regierung ­Interesse, die Vorschriften für die rechtliche Anerkennung eines Geschlechtswechsels zu liberalisieren. Doch in den folgenden Jahren wuchsen die Differenzen, die britische Regierung entschied sich, die medizinische Diagnose einer Geschlechtsdysphorie als Be­dingung eines rechtlichen Geschlechtswechsels beizubehalten, während in Schottland die Selbstidentifikation für die rechtliche Anerkennung von Trans-Identitäten genügen soll.

Umfragen zufolge unterstützen die meisten Briten eine Liberalisierung und wollen Trans­sexuellen das Leben erleichtern, sind bei der vollen rechtlichen Gleich­setzung von Gender und Geschlecht skeptisch.

Das neue Gesetz wurde auch in Schottland höchst kontrovers diskutiert und in parlamentarischen Debatten maßgeblich modifiziert. Am 22. Dezember stimmte eine breite überparteiliche Mehrheit von Abgeordneten aller Parteien dafür – Stimmen gegen das Gesetz kamen aber nicht nur von Konservativen, sondern auch von Abgeordneten der Labour-Partei und Sturgeons Scottish National Party (SNP).

Der Gebrauch des Artikels 35 des Autonomiegesetzes durch die britische Regierung sorgte für große Aufregung. Es geht dabei nicht nur um das Gesetz. Sturgeon warf der britischen Regierung vor, sie mache die Rechte von Trans­sexuellen zum politischen Spielball und entfache einen culture war, um die Rechte Schottlands zu beschneiden. Sie und die SNP, die seit 2007 aus allen Wahlen in Schottland als stärkste Partei hervorging, streben die volle Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich an. Allerdings lehnten die Schotten 2014 in einem Referendum die Unabhängigkeit mit einer relativ deutlichen Mehrheit ab. Die Forderung der SNP nach einem weiteren Referendum, die sie vor allem mit der durch den EU-Austritt veränderten Lage begründet, lehnt die britische Regierung ab.

Sie bestritt, dass ihre Intervention ein Angriff auf die schottische Selbstverwaltung sei, da das Gesetz weitreichende Konsequenzen für ganz Großbritannien habe. Alister Jack zufolge steht es im Konflikt mit dem Equality Act, einem 2010 beschlossenen Gesetz, das sogenannte geschützte Charakteristika wie Herkunft, Religion und Geschlecht etabliert. Es schafft damit die rechtliche Grundlage zum Schutz von für Frauen reservierten Einrichtungen oder Dienstleistungen.

Heftige Debatten in Sozialen Medien

Potentielle Konflikte zwischen den Rechten transsexueller sowie nicht binärgeschlechtlicher Menschen und den Rechten von Frauen sind in Großbritannien Gegenstand heftiger Debatten, die vor allem in den sozialen Medien ausgetragen werden. Einige feministische Gruppen und Kommentatoren auch auf der Linken begrüßen daher das Eingreifen der britischen Regierung.

Eine oft formulierte Sorge lautet, eine Vereinfachung des Geschlechtswechsels ermögliche missbräuchliches Verhalten von Männern, die sich so Zugang zu für Frauen reservierten Räumen verschaffen könnten. Es wird in der Debatte auch gefragt, ob Transfrauen Frauen mit biologisch eindeutigen Geschlechtsmerkmalen gleich­zustellen sind oder ob das biologische Geschlecht weiterhin einen Unterschied machen solle. In diesem Zusammenhang schlagen einige Kritiker des schottischen Gesetzes vor, den britischen Equality Act so zu spezifizieren, dass das geschützte Merkmal Geschlecht eindeutig biologisch definiert wird.

Aus Sicht der Befürworter der Selbst­identifikation ist die schottische Gesetzesinitiative nicht mehr als eine längst überfällige Liberalisierung eines sehr bürokratischen Prozesses, den viele Transsexuelle als inhuman wahrnehmen. Sie fragen, warum sich die Betroffenen medizinisch bestätigen lassen müssten, was sie fühlen. Einige andere Länder wie zum Beispiel Irland haben in den vergangenen Jahren die Selbst­identifikation zugelassen. Schottland unter der SNP sieht sich als liberales Land, das hier einem Trend in der westlichen Welt folge. Für die SNP ist eine progressive Orientierung auch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal Schottlands vom konservativ dominierten England.

Die in Schottland wie im Königreich insgesamt oppositionelle Labour-Partei tritt in der Frage nicht einheitlich auf: Die schottische Labour-Partei hat mit großer Mehrheit das Gesetz unterstützt. Der britische Labour-Vorsitzende Keir Starmer sagte indes, er denke nicht, dass 16jährige in der Lage sein sollten, ihr Geschlecht zu ändern, lehnte es aber auch ab, das schottische Gesetz zu blockieren.

Umfragen zufolge unterstützen die meisten Briten im Prinzip eine Liberalisierung und wollen Trans­sexuellen das Leben erleichtern, sind aber bei der vollen rechtlichen Gleichsetzung von Gender und Geschlecht eher skeptisch. Doch ist das Thema trotz der heftigen Konflikte eher von geringer Relevanz für die meisten ­Briten. Die Aufmerksamkeit der Mehrheit der Briten gilt der Wirtschaftskrise, der Inflation und den Streiks.

Wahrscheinlich wird der Konflikt nun vor Gericht und in letzter Instanz vor dem Supreme Court landen. Alister Jack hatte angedeutet, er könne sich auch vorstellen, dass die schottische Regierung das Gesetz in Zusammen­arbeit mit der britischen modifiziert. Ob sich die schottische Regierung auf einen solchen Kompromiss einlässt, ist noch unklar.