Über seine Erinnerungen an die Staatsgründung Israels

Im Palmach

Der mit dem Simon-Wiesenthal-Preis ausgezeichnete Journalist Karl Pfeifer, Überlebender des Holocaust, kämpfte 1948 im Negev für die Unabhängigkeit des Staates Israel. Am 6. Januar verstarb er im Alter von 94 Jahren in Wien. Er verfasste zahlreiche Texte für die Jungle World, darunter auch eine Schilderung seiner persönlichen Erfahrungen während der Zeit der israelischen Staatsgründung (Jungle World 6/2010), die wir an dieser Stelle erneut veröffentlichen.

Es sind leider nur noch wenige, die den israelischen Unabhängigkeitskrieg aus eigenem Erleben schildern könnten; wenige, die, wie ich, als Soldat von Anfang bis zum Ende dabei gewesen sind und noch heute Zeugnis davon ablegen können. Auf meinen Vortragsreisen in Deutschland und Österreich habe ich festgestellt, dass sich junge Leute gerade für dieses Thema interessieren, obgleich oder gerade weil sie nur sehr wenig über den historischen Kontext des israelischen Unabhängigkeitskrieges wissen.

Nach der Befreiung konnten oder wollten Hunderttausende Überlebende nicht mehr in ihre Herkunftsländer zurückkehren. In Polen, der Slowakei und in Ungarn kam es nach 1945 zu Pogromen, und so setzte nach der Befreiung eine Fluchtbewegung nach Österreich und Deutschland ein. Die westlichen Staaten hießen diese Menschen, die alles verloren hatten, nicht willkommen, in Deutschland und insbesondere in Österreich waren sie keineswegs erwünscht. Der Druck zur Einwanderung ins Land Israel ging von diesen Menschen aus, doch die britische Labour-Regierung setzte die Politik des 1939 ver­öffentlichten Weißbuches entgegen allen Versprechungen während des Krieges fort; die jüdische Einwanderung nach Paläs­tina wurde radikal beschränkt.

Hingegen änderte die antizionistische Sowjetunion ihren Kurs. Die SU-Vertreter in den Vereinten Nationen gaben sich zionistischer als die Zionisten. Italienische und französische Hafenarbeiter brachen einige Male ihre Streiks, um illegale jüdische Einwandererschiffe zu beladen. Die Tschechoslowakei lieferte im Frühjahr 1948, noch vor der Gründung des Staates Israel, Waffen, ohne die der jüdische Staat nicht hätte existieren können. Die schändliche Rolle, die der Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, an der Seite Hitlers gespielt hatte, war damals noch nicht vergessen, die Existenz des jüdischen Staates stand auf dem Spiel.

Anfang 1946 meldete ich mich – noch keine 18 Jahre alt – mit meiner Jugendgruppe zum Palmach. Die meisten jungen Männer kamen wie ich aus linken zionistischen Jugendbewegungen, und es herrschte die Atmosphäre einer »bewaffneten Jugendbewegung«. Der Palmach war während der acht Jahre seines Bestehens immer eine kleine Einheit, 1947 waren lediglich 2200 aktive Kämpfer im Palmach organisiert. Die meisten von uns arbeiteten jeweils zwei Wochen in den Kibbuzim und beschäftigten sich dann wieder zwei Wochen mit militärischen Übungen.

Nach drei Monaten harter Ausbildung mit täglichem Zwölf-Kilometer-Lauf leisteten wir am 15.Juni 1946 den Eid, dem jüdischen Volk treu zu dienen. Jigal Allon, der damalige Kommandant des Palmach, hielt eine Ansprache. Er sprach von »Tohar haneschek«, der Sauberkeit der Waffe; darunter verstand man, dass man die Waffe nicht gegen Zivilisten und Gefangene einsetzt. Dieser Grundsatz sollte erst im Krieg seine Bedeutung erlangen.

Zwei Wochen nach unserer Vereidigung, am 29.Juni 1946, kam es zum Schwarzen Sabbat, als die britische Armee in jüdischen Siedlungen Waffen suchte und auch fündig wurde. Tausende Juden wurden interniert, doch unsere Ausbildung und die Arbeit gingen weiter. Im Sommer 1947 wurde ich zum zweiten Palmach-Regiment in den Negev gesandt, um die dort verlegte Wasserleitung zu bewachen. Diese Leitung war die Lebensader der weit verstreuten jüdischen Siedlungen. Die Straßen, die zu den Siedlungen führten, waren noch nicht asphaltiert, und die Autos wirbelten viel Staub auf. Unsere Einheit von zehn Palmach-Mitgliedern trat freiwillig der jüdischen Hilfspolizei seiner Majestät, des britischen Königs, bei, damit wir legal eine Waffe tragen konnten. Gegen Ende des Sommers 1947 waren wir im Dorf Tekuma in der Nähe von Gaza stationiert und patrouillierten Tag und Nacht entlang der Wasserleitung. Die Anzahl der von Beduinen verübten Sabotageakte ging zurück, auch wenn es uns nicht gelungen war, die Täter zu fassen.

Am 29.November verfolgten wir gespannt im Radio die Abstimmung der Uno-Generalversammlung, in der die Teilung des Landes beschlossen wurde. In den Straßen Jerusalems und Tel Avivs wurde getanzt, aber schon am nächsten Morgen meldete das Radio einen arabischen Überfall auf zwei jüdische Autobusse mit sieben Todesopfern. Die Täter wurden angeführt von Hassan Salame. Er, ein enger Freund des Mufti, war 1944 als deutscher Agent mit einem Fallschirm abgesprungen und hatte den Briten als einziger seiner Gruppe entkommen können.

Im Dezember 1947 kehrte der Mufti Hadj Amin al-Husseini zurück ins Land, und schon am 2.Dezember 1947 begannen ein arabischer Generalstreik und Angriffe auf jüdische Viertel in den gemischten Städten Haifa und Jerusalem.

Bereits in der ersten Woche nach Bekanntgabe des Teilungsplans der Uno gab es 62 jüdische Todesopfer.

Von Tekuma aus gingen wir zu fünft auf Patrouille, immer zu Fuß. Die eine Gruppe übernahm die Nachtschicht, die andere die Tagschicht. Am Morgen des 13.Dezember 1947 sollte ich mit meinen Kameraden am Tag ausschwärmen. Da ich stechende Kopfschmerzen hatte, fragte ich einen Kameraden, ob er meine Schicht übernehmen würde. Er sagte zu, und ich sah ihn nie wieder.
Am Nachmittag erhielten wir einen Anruf von der britischen Polizei in Gaza, die uns mitteilte, dass die fünf Kameraden in einen Hinterhalt von Beduinen geraten und massakriert worden waren. Meine vier Mitbewohner waren tot; ich schlief in der darauf folgenden Nacht allein im Zimmer, ein fürchterliches Gefühl.

Als wir, die fünf Überlebenden unserer Einheit, Ende 1947 in das neu errichtete Militärlager bei Nir Am überstellt wurden, waren wir froh, endlich einer größeren Einheit zugeordnet zu sein. Irgendwie erinnerte hier manches an die Aufbruchstimmung, die man aus Wildwestfilmen kennt. Einige Männer liefen mit langen Bärten und Hüten der australischen Armee herum, sie gehörten zu den legendären »Chajot ­Hanegev«, einer Einheit, die später mit auf Jeeps montierten Maschinengewehren kämpfte.

Wir glaubten damals nicht, dass es zu einem Krieg kommen würde, und erwarteten lediglich einen Kampf mit arabischen Banden. Im Januar 1948 sah alles danach aus. Der Verkehr zwischen den jüdischen Ortschaften wurde massiv behindert, und wir konnten nur hoffen, dass die Briten Neutralität bewahren würden, obwohl wir viele von ihnen zu Recht verdächtigten, mit den Arabern zu sympathisieren. Anfang Januar 1948 wurden wir, die wir als britische Hilfspolizisten legal Waffen tragen durften, auf einen offenen Jeep gesetzt. In den arabischen Dörfern wurde auf uns geschossen, aber zunächst hatten wir Glück. Sehr bald sollte sich das ändern.

Noch aber begleiteten britische Ordnungskräfte unsere Karawanen von und bis Nir Am.

Ich war 19 Jahre alt und bereit, das zu tun, wofür wir ausgebildet worden waren. Doch auf die Begleitung von Karawanen durch arabische Dörfer, von wo aus wir von Heckenschützen beschossen wurden, waren wir nicht vorbereitet.

Die Nachrichten, die wir täglich in den Zeitungen lasen, waren auch nicht ermutigend. Es mangelte uns an Waffen und Munition, während die Araber, ohne von den Briten daran gehindert zu werden, Waffen und Munition aus den Nachbarländern ins Land brachten. Ende Februar, Anfang März erhielten wir die ersten »Panzerwagen«, die nichts anderes waren als Lastautos, die eilig in einer Garage mit Stahlplatten verkleidet worden waren. Meistens fuhr ich am Kopf der Karawane. Wenn wir durch eine Barrikade an der Weiterfahrt gehindert wurden, bestimmte der Kommandant einen »Freiwilligen«, der die Straße räumen musste. Das war natürlich lebensgefährlich, denn die Araber und auch ein paar ehemalige kroa­tische und bosnische SS-Männer, die ihnen das Minenlegen beigebracht hatten, schossen auf uns aus unmittelbarer Nähe.

Noch im Februar trafen sich der Dorfrichter von Brer (heute Brur Chajil beziehungsweise Bror Hayil) – Brer war ein besonders feindlichen Dorf – und der Sekretär des Kibbuz Nir Am vor dem britischen Bezirksverwalter. Unser Vertreter machte dem muchtar von Brer den Vorschlag, alle Ortsfremden, also die ehemaligen SS-Leute, auszuweisen und den Frieden zu wahren. Er versprach im Gegenzug, dafür zu sorgen, dass den Dorfbewohnern kein Haar ­gekrümmt werde und man ihr Eigentum nicht antaste. Doch die Bewohner von Brer waren damals noch überzeugt, dass es ihnen gelingen würde, die Juden zu besiegen. Sie gingen nicht auf das Angebot ein, sondern behinderten den Verkehr in noch stärkerem Maße.

Ende März wurde auch ich im Panzerwagen in Brer durch einen Schuss verletzt, zum Glück war es nur eine Fleischwunde. Die Araber hatten zu diesem Zeitpunkt bereits panzerbrechende Munition. Mir brachte die Wunde eine Woche Urlaub im Kibbuz Schaar Haamakim ein, wo ich mich erholte, dann fuhr ich wieder zurück zu meiner Einheit. Die Fahrt in den Norden war nicht ungefährlich, fast überall, wo Araber wohnten, wurde unser Autobus beschossen.

Der April 1948 brachte die Wende. Zwischen Nir Am und Ruchama wurde ein Flugplatz eingerichtet, und die Briten, die schon mit ihrem Abzug beschäftigt waren, behinderten die Landung von Flugzeugen, die mit Waffen und Munition beladen waren, nicht.

Am Abend des 14.Mai, als der Staat Israel ausgerufen wurde, rief man unser Regiment zu einem Fahnenappell. Wir standen mit unseren Waffen in Reih und Glied, und der Regimentskommandant hielt eine kurze Rede anlässlich der Staatsgründung. Dann wurde die Fahne mit dem Davidstern gehisst, und der Kommandant gab uns, den versammelten 800 Soldaten, den Befehl, sofort schlafen zu gehen, weil man uns in der Nacht schon wieder wecken würde. Und tatsächlich, um zweiUhr wurden wir geweckt. Ich wurde zu den zwei einzigen leichten Kanonen, die wir hatten, eingeteilt.

Noch vor Sonnenaufgang griffen wir das Dorf Brer an. Als ich ein paar Stunden nach der Eroberung ins Dorf kam, erhielten wir den Befehl, die Hütten zu durchsuchen. Es waren nur wenige Frauen im Dorf geblieben. Sie wurden angewiesen, ein paar Kilometer weiter, in den Gaza-Streifen zu gehen. Auch wenn damals Araber Ortschaften verlassen mussten, war es keine flächendeckende oder gar strategisch geplante »ethnische Säuberung«. Man muss bedenken, dass dies erst nach der arabischen ­Aggression geschah, und zwar in einem Kampfgebiet. Immerhin blieben 150000 Araber auf israelischem Gebiet, also eine große Minderheit, wenn man bedenkt, dass damals lediglich 650000 Juden im Land lebten. In den von Arabern verwalteten Gebieten durfte jedoch kein einziger Jude ver­bleiben, auch nicht in der Altstadt von Jerusalem. Der Krieg hatte sofort nach der Unabhängigkeitserklärung mit dem Abwurf ägyptischer Flugblätter in hebräischer Sprache und mit der Bombardierung unseres Lagers und des Kibbuz Nir Am begonnen. Es gab Tote, und einem Palmachnik musste das Bein amputiert werden. Bis zum ersten Waffenstillstand schliefen wir in den Gräben. Nach dem Fall von Yad Mordechai war der Negev vom Norden des Landes abgeschnitten. Als ich Mitte August mit einer alten Dakota aus dem belagerten Negev ausgeflogen wurde, beschoss uns die ägyptische Flak. Um Mitternacht landete das Flugzeug in Tel Nof. Mir schlug bei der Ankunft ein intensiver Geruch von Orangenblüten entgegen. Wir, die wir keine Ausweise, keine richtigen Uniformen hatten, kamen in einen Saal, wo uns gutes Essen sowie Ausweise und Uniformen erwarteten. Ich erhielt zwei Wochen Urlaub, und schon am nächsten Tag fuhr ich wieder in den Kibbuz Schaar Haamakim. Meinen Bruder, der in Jerusalem kämpfte, zu besuchen, wäre zu kompliziert gewesen.