Warum der Deutschrap maulfaul ist, wenn es um den Iran geht

Geträumter Protest

Das iranische Regime geht gezielt und mit großer Brutalität gegen junge Rapper vor. Die erste Hinrichtung infolge der Proteste gegen die Tötung von Mahsa Amini wurde an dem Musiker Mohsen Shekari vollzogen. Die Deutschrap-Szene hält sich mit Solidaritätsbekundungen zurück. Von »Massenprotesten auf deutschen Straßen wie bei Black Lives Matter« kann der HipHopper Ben Salomo bislang nur träumen.

Am 16. September 2022 starb die iranische Kurdin Mahsa Amini im iranischen Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen eines Verstoßes gegen die Kleiderordnung inhaftiert worden war. Ihr Tod löste Proteste aus, die bis heute anhalten. Auch in Deutschland solidarisieren sich zahlreiche Gruppen und Personen mit den Protestierenden im Iran. Die größte Protestveranstaltung fand am 22. Oktober in Berlin statt, bei der die Veranstalter von über 100 000 Teilnehmenden berichteten.

Das iranische Regime war unterdessen offenbar nicht untätig in deutschen Städten. Wie die Welt berichtete, geht die Polizei davon aus, dass eine proiranische Zelle mit Anweisungen direkt aus Teheran hinter einer antisemitischen Anschlagsserie in Nordrhein-Westfalen steckt. Die Täter hatten es auf jüdische Einrichtungen in Dortmund, Essen und Bochum abgesehen. Bei Recherchen über das Umfeld eines der Tatverdächtigen tauchte auch ein Foto auf, das ihn im Kreis von Mitgliedern einer libanesischen Großfamilie sowie in Gesellschaft des Deutschrappers und Streamers Sinan-G vor einer schiitischen Moschee im Essener Viertel Vogelheim zeigt. In einem Video von 2014 soll Sinan-G den mittlerweile in Untersuchungshaft sitzenden Mann als »Freund« bezeichnet haben.

Im selben Jahr veröffentlichte Sinan-G, der auf dem Bild ein T-Shirt mit dem Emblem der Hizbollah trägt, einen WM-Song, in dem er die iranische Mannschaft anfeuerte. Über das heutige iranische Nationalteam, das das Absingen der Nationalhymne bei der WM in Katar zunächst verweigerte, hat er sich bislang nicht geäußert. Überhaupt hört man von Sinan-G derzeit wenig über das Land, in dem er seine Wurzeln vermutet. Die Deutschrap-Szene ist insgesamt recht schweigsam, wenn es um die Ereignisse im Iran geht, obwohl das Regime seine mörderische Repression auch gezielt gegen junge Rapper richtet. Der 23jährige Rapper Mohsen Shekari war der erste Angeklagte, der seine Teilnahme an den Protestkundgebungen mit dem Leben bezahlte. Die Rapper Toomaj Salehi, Saman Yasin und Shervin Hajipour sind ebenfalls von der Todesstrafe bedroht.

»Iran Azadi« von Animus, der wohl wichtigste Song des Deutschrap, der sich mit der Protestbewegung im Iran solidarisiert, stammt aus dem Jahr 2010. An der grausamen Aktualität des Stücks, in dem es heißt: »Öffentlich gehängt, gefoltert, ermordet, gesteinigt, ausgepeitscht, angekettet. Menschenrecht gibt es keins«, hat sich bis heute nichts geändert. In dem Lied erinnert der 1987 als Sohn einer iranischen Flüchtlingsfamilie in Heidelberg geborene Mousa Amouei, der unter dem Künstlernamen Animus bekannt wurde, an die niedergeschlagenen Proteste des Jahres 2009, spe­ziell an die Erschießung der Studentin Neda Agha-Soltan. Zu den jüngsten Ereignissen im Iran war von Animus allerdings nichts mehr zu vernehmen.

Überraschend ist das verbreitete Schweigen nicht, schließlich gilt die Islamische Republik Iran in der vulgär antiimperialistischen Weltsicht eines Großteils der Deutschrap-Szene als legitime Vertreterin eines antikolonialen Befreiungskampfs und nicht als Ausweis seines Scheiterns. Innerislamische Konflikte werden ebenso ausgeblendet wie die mörderische Kontinuität der iranischen Außenpolitik. Beispielhaft dafür steht Bushidos 2006 veröffentlichter Song »9/11«, in dem er eine antiamerikanische Koalition beschwört, zu der er neben mehreren al-Qaida-Terroristen auch die untereinander verfeindeten Regimes des Irak unter dem 2003 gestürzten Saddam Hussein und der iranischen Mullahs zählt.

Die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim, die am Giga-Institut für Nahost-Studien in Hamburg forscht, hält solche Vereinfachung im Umgang mit dem Iran für szenetypisch. »Den meisten Deutschrappern«, sagt Jasim der Jungle World, »fehlt die sogenannte street credibility. Die in den nuller Jahren geprägte Rhetorik von der ›Achse des Bösen‹, der zuvorderst der Iran zugerechnet wurde, bot vielen einen Zugang zum Image des bösen Buben. Damit kommen sie nun schon sehr lange durch. Die Tatsache, dass die Szene aktuell nichts zum Iran zu sagen hat, zeigt, dass jenseits des Nahostkonflikts kein Raum für ›ungemütliche‹ Konflikte ist, in denen die eigenen Landsleute vielleicht die Täter sind und nicht nur immer die USA oder Israel.«

Die Gleichgültigkeit, mit der die Repression des iranischen Regimes in weiten Teilen der Szene aufgenommen wird, fällt besonders vor dem Hintergrund regelmäßig heißlaufender Social-Media-Aktivitäten zum israelisch-palästinensischen Konflikt auf. An Solidaritätsadressen mit den palästinensischen »Brüdern« mangelt es da nicht. Das Verhalten lässt sich mit einer besonders im Deutsch­rap praktizierten identitären Variante des Antirassismus erklären. Diskriminierungserfahrungen in Deutschland werden kompensiert, indem man die nationale Herkunft (beziehungsweise die der Eltern oder Großeltern) zum identitätsstiftenden Bezugspunkt verklärt. So tauchten in der Vergangenheit immer häufiger ­Nationalflaggen in Musikvideos auf. Auch Shirts und Hoodies mit stilisierten türkischen, marokkanischen oder afghanischen Nationalsymbolen sollen zeigen, woher man kommt und mit wem man sich identifiziert.

Es waren denn auch vor allem Rapper mit kurdisch-iranischem Hintergrund wie zum Beispiel Azad und Xatar, die, wie Jasim erklärt, »umgehend Beiträge in den sozialen Me­dien zu den Protesten posteten und Statements abgaben sowie fortwährend Aufmerksamkeit für die von der Todesstrafe bedrohten Menschen forderten«. Von anderen Rappern, die sich zum Teil über ihre iranische Herkunft identifizieren, hörte man solche Töne nicht. »Das ist wenig überraschend, die meisten haben in der Vergangenheit durch verschwörungsideologische und antisemitische Texte ihr Image als gefährliche Rapper aufgepolstert.«

Immerhin gibt es einen Rap von Farhad Nazarinejad, besser bekannt unter dem Pseudonym Fard, der von »unserem Iran« träumt, in dem »die Sonne sich durch den Schatten rauskämpft«, sowie eine Stellungnahme von PA Sports, der festhält, dass es immer wieder Aufstände geben wird, die von der Regierung niedergeschossen werden, bis es zu einer Revolution kommt. Die Eltern von Parham Vakili, wie PA Sports mit bürgerlichem Namen heißt, sind aus dem Iran ausgewanderte Akademiker, Nazarinejad wurde im iranischen Isfahan geboren.

Von einer globalen und universalistischen Perspektive, die der Musiker und Autor Hannes Loh und seine Jüngerschaft im wissenschaftlichen Betrieb zum Wesenskern der HipHop-Kultur erklären, merkt man wenig, sobald der einheitsstiftende Faktor des Antizionismus fehlt. Klar positionierte sich dagegen der in Berlin geborene Rapper Kool Savas, als er sich fassungslos über das Todesurteil gegen den iranischen Rapper Toomaj Salehi äußerte. Savaş Yurderi, wie Kool Savas bürgerlich heißt, weiß um die Bedeutung politischer Solidarität mit den Opfern autoritärer und totalitärer Regime. Sein Vater war als Kommunist mehrere Jahre in der Türkei inhaftiert.

Auch der von der Szene verstoßene Rapper Ben Salomo bezog eindeutig Stellung – mit einer bewegenden Coverversion der iranischen Protesthymne »Baraye« des iranischen Rappers Shervin Hajipour. Dieser wurde am 29. September 2022 von iranischen Ordnungskräften festgenommen, nachdem er das Stück zwei Tage zuvor auf Instagram veröffentlicht hatte. Nach seiner Freilassung wenige Tage später entschuldigte er sich für den Song und distanzierte sich von den Protesten.

»Baraye« ist indes von zahlreichen internationalen Künstlern adaptiert worden. Die britische Band Coldplay spielte das Stück am 29. Oktober 2022 bei einem Konzert in Buenos Aires, das in 81 Länder übertragen wurde. Die deutsche Coverversion von Ben Salomo geht sehr frei mit dem Text um. »Ich träume mit den Menschen im Iran davon«, heißt es darin, dass »Mahsa Amini die Letzte war, die im Gefängnis stirbt«, dass »Tanzen auf den Straßen Teherans nur noch Party heißt«, dass »deutscher Rap sich solidarisch zeigt«, »von Massenprotesten auf deutschen Straßen wie bei Black Lives Matter«, dass »Annalena sich die Haare schneid’t und die Ideologie benennt, die die Frauen dort seit Jahren peinigt«.

Die linken Kulturschaffenden des Genres »Zeckenrap«, denen normalerweise neben der weiblichen Emanzipation vor allem auch die Situation in den kurdischen Gebieten am Herzen liegt, sind hingegen ziemlich maulfaul. Entwicklungen, die auch Dastan Jasim kritisiert: »Von vermeintlich Linken und feministischen Diskussionen im HipHop erhoffe ich mir da absolut gar nichts. Es hat sich eine Riege an pseudolinken HipHop-Expert:innen herausgebildet, die aber derartig konfliktscheu sind, dass man sich fragt, warum sie sich nicht einfach ein anderes Metier ausgesucht haben.«