Lula da Silva beginnt seine dritte Amtszeit als Präsident Brasiliens

Eine politische Zäsur

Am 1. Januar hat Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei zum dritten Mal das Präsidentenamt in Brasilien übernommen. Sein rechtsextremer Amtsvorgänger Jair Bolsonaro hielt sich derweil in Florida auf.

Als er die Präsidentenschärpe umgehängt bekam, jubelten 300 000 Menschen vor dem Palácio do Planalto, dem Amtssitz des brasilianischen Präsidenten in der Hauptstadt Brasília. Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) hat am 1. Januar erneut das Präsidentenamt übernommen. Die Schärpe wurde ihm von mehreren brasilianischen Bürgern, die die Vielfalt des Landes repräsentieren sollten, überreicht, darunter ein indigener Häuptling, eine Wertstoffsammlerin und ein Industriearbeiter. Sein Amtsvorgänger Jair Messias Bolsonaro, der die Insignien des Staatschefs traditionellerweise hätte überreichen sollen, hatte es vorgezogen, das Land zu verlassen.

In seiner ersten Rede nach der Amtsübernahme kündigte Lula an, für alle knapp 215 Millionen Brasilianer regieren zu wollen, sich aber auf die Ärmsten der Gesellschaft zu konzentrieren. Es sei »inakzeptabel, dass die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung über so viel Einkommen verfügen wie die restlichen 95 Prozent«, während der Hunger in das Land zurückgekehrt sei.

Bereits in den Jahren 2003 bis 2010 hatte Lula als Präsident fungiert. Seine erste Regierungszeit galt als linker Aufbruch in der brasilianischen Politik, in der er zahlreiche international gelobte Sozialprogramme installierte. Nach einer schweren politischen Krise, mit ausgelöst durch einen Korruptionsskandal, war seine Parteifreundin und Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff 2016 gestürzt worden. Von der folgenden politischen Krise gestärkt, vermochte der ultrarechte Außenseiter Jair Messias Bolsonaro die Wahlen im Jahr 2018 gewinnen. Lula konnte damals nicht antreten, da er von Mitte 2018 bis Ende 2019 im Gefängnis saß; 2021 hob das Oberste Gericht die vier Korruptionsurteile gegen ihn wieder auf (Jungle World 45/2022). Nun kehrt er an die Staatsspitze zurück.

Seine ersten Amtshandlungen sollten den Gegensatz zu Bolsonaro betonen. Mit einem vorläufigen Erlass erhöhte er die Auszahlungen des populären Hilfsprogramms für arme Familien, »Bolsa Família«, auf 600 Real (um­gerechnet etwa 106 Euro). Bolsonaro hatte das Programm deutlich gekürzt und wollte es abschaffen. Lula beauftragte die Ministerien, laufende Pri­vatisierungsprogramme für den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras und das öffentlich-rechtliche Medienunternehmen EBC einzustellen. Steuergeschenke an große Unternehmen zog er zurück.

Mit Dekreten beauftragte er staatliche Institutionen, den Kampf gegen Rodungen im Amazonasgebiet wiederaufzunehmen und den Amazonien-Fonds wiederherzustellen. Der 2008 während der zweiten Legislaturperiode Lulas eingerichtete Fonds zur Bekämpfung von Umweltverbrechen wird von einer internationalen Gebergemeinde finanziert, Hauptgeldgeber ist mit 1,2 Milliarden US-Dollar Norwegen. Unter der Regierung Bolsonaro, die das Agrobusiness zu ihren bedeutendsten Unterstützergruppen zählte, wurde die Rodung von Regenwald stark ausgeweitet, woraufhin die Geberländer die Zahlungen einstellten und das Programm auf Eis gelegt wurde.

Zwei Dekrete, die Lula erließ, richteten sich direkt an die Anhänger Bolsonaros: Er bestätigte die Aufhebung der Besteuerung von Kraftstoffen durch den Bund und erließ ein Dekret, das eine stärkere Kontrolle von Waffenverkauf und -besitz einleiten soll. Ersteres ist eine Konzession an Bolsonaros Anhänger, unter denen viele Lastwagenfahrer und Transportunternehmer sind. Die stärkere Kontrolle von Waffen hingegen richtet sich gegen die extremistischen Elemente unter den Bolsonaristas: Die Liberalisierung der Waffengesetze war eine der ersten und unter seiner meist kleinbürgerlichen Wählerschaft populärsten Maßnahme Bolsonaros. Überall im Land sind Schützenvereine gegründet worden und zahlreiche Bolsonaristas haben gedroht, mit Gewalt gegen die Regierung da Silva vorzugehen.

Seit Lula die Präsidentschaftswahl am 30. Oktober gewonnen hat, ist es zu zahlreichen Protesten und Ausschreitungen von extremistischen Anhängern Bolsonaros gekommen. Am Tag der Wahl selbst führte die Straßenpolizei willkürliche Verkehrskontrollen durch, insbesondere in Gegenden, in denen mehrheitlich für Lula gestimmt wurde. Durch die Staus sollten mutmaßlich Anhänger Lulas an der Stimmabgabe gehindert werden, weshalb das Wahlgericht eine spätere Schließung der Wahllokale anordnete. Das Ergebnis der Stichwahl war mit 50,9 Prozent für Lula denkbar knapp ausgefallen. Bolsonaro behauptete anschließend, es sei zu Wahlfälschungen gekommen, ohne Belege zu präsentieren, und hat Lula nie als Wahlsieger anerkannt.

Nach der Wahl blockierten in vielen Bundesstaaten Lastwagenfahrer die Straßen. Vielerorts kampierten Anhänger Bolsonaros vor Kasernen, um die Armee aufzufordern, mit einem Putsch die Amtsübergabe an Lula zu verhindern. Bei Protesten kam es zu schweren Ausschreitungen.

In der aufgeheizten Stimmung hatte Bolsonaro bereits zwei Tage vor Ende seiner Amtszeit das Land in Richtung Florida, USA, verlassen; dort will er sich bis zum 30.Januar mit seinem engen Mitarbeiterstab aufhalten. Lula übernimmt ein politisch extrem polarisiertes Land. Wie schon während seiner ersten Amtszeit ist er – wie auch Bolsonaro es war – auf die Mitarbeit der konservativen Mehrheit traditioneller Parteien im Kongress, des »Centrão«, angewiesen. Ausgerechnet Geraldo Alckmin von der Partei PSB, der Lula bei der Präsidentschaftswahl 2006 in der Stichrunde unterlag, ist nun sein Vizepräsident. Lulas dritte Amtszeit mag eine Zäsur darstellen, ein Aufbruch sieht dagegen anders aus.