Der Kongo kommt nicht gegen die Rebellengruppe M23 an

Déjà-vu im Kongo

Von Alex Veit

Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo wirft Ruanda einen verdeckten Angriffskrieg vor. Die UN haben es aufgegeben, in dem Konflikt etwas auszurichten. Nun soll eine afrikanische Eingreiftruppe stationiert werden.

Wie bereits vor zehn Jahren besetzte die Rebellengruppe Bewegung 23. März (M23) in den vergangenen Monaten mehrere kleinere Städte und Ortschaften in der Provinz Nord-Kivu der Demokratischen Republik Kongo an der Grenze zu Ruanda und Uganda. Seitdem bauten die bewaffneten Rebellen ihren Herrschaftsbereich immer weiter aus. Zu einer Besetzung der Millionenstadt Goma wie 2012 ist es vorerst nicht gekommen, obwohl die Metropole am Ufer des Kivu-Sees praktisch schutzlos ist. Am Wochenende kam es in der Region zu neuen Kämpfen zwischen der M23 und der kongolesischen Regierungsarmee, die vorerst aber keine entscheidenden Veränderungen brachten.

Vor zehn Jahren hatte die M23 Goma besetzt, die kongolesische Armee in die Flucht geschlagen und die so genannte Stabilisierungsmission Monusco der Vereinten Nationen mit zu dieser Zeit fast 20 000 Blauhelmsoldaten vorgeführt. Letztlich allerdings verhob sich die M23 damals mit ihrem Einmarsch. Die Vereinten Nationen erhielten Verstärkung durch eine »schnelle Eingreiftruppe« aus Südafrika, Tansania und Malawi, westliche und afrikanische Länder übten Druck auf ihre ausländischen Unterstützer aus. Schließlich zogen sich die Kämpfer der M23 nach Uganda zurück. In der Folge willigte die M23 in Verhandlungen ein, spaltete sich und verschwand schließlich von der politischen und militärischen Bildfläche – bis vor etwa einem Jahr neue Kämpfe im Dreiländereck zwischen Kongo, Ruanda, und Uganda, dem alten Kernland der M23, aufflackerten.

 Insbesondere in den Städten hat die neuerliche Aktivität der Rebellen­gruppe M23 zu einer nationalistischen Mobilisierung geführt, aber auch zu Todesopfern und Zehntausenden Flüchtlingen.

Der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi beklagte im September vor der UN-Generalversammlung, dass das Nachbarland Ruanda der M23 »massive Unterstützung an sowohl Material als auch Truppen« zukommen lasse und mit direkten Truppenvorstößen »gegen internationales Recht und die UN-Charta verstößt«. Ein Vertreter der Regierung Ruandas bestritt im Oktober die Vorwürfe und forderte die kongolesische Regierung auf, Ruanda nicht länger zum Sündenbock zu machen, um »ihr eigenes Regierungs- und Sicherheitsversagen zu kaschieren und davon abzulenken«.

Beide Seiten stellen die Lage zwar einseitig dar, haben aber beide nicht ganz unrecht. Dass Ruanda hinter dem plötzlichen Wiederauftritt der M23 steckt, wird trotz aller ruandischen Dementi kaum bezweifelt. Dafür sprechen nicht nur die Ausrüstung und militärische Effizienz der M23, sondern auch der Bericht einer Expertenkommission der UN, die Ruanda beschuldigt, auch reguläre Truppen auf kongolesischem Gebiet eingesetzt zu haben.

Zudem entspricht die Unterstützung der Rebellen einem bekannten Handlungsmuster der ruandischen Regierung unter Präsident Paul Kagame. Die Wurzeln der M23 lassen sich bis zur Allianz Demokratischer Kräfte zur Befreiung Kongos (ADFL) zurückverfolgen, die 1996 unter der Schirmherrschaft Ruandas und Ugandas als Zweckbündnis von verschiedenen Gegnern des damaligen Diktators Mobutu Sese Seko gegründet wurde, bis in die kongolesische Hauptstadt Kinshasa vorrückte und dort die Regierung übernahm. 1998 zerfiel die ADFL, danach unterstützte Ruanda bis 2006 die Rebellengruppe Kongolesische Sammlungsbewegung für die Demokratie (RCD) und schließlich bis 2009 die Rebellen Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP), aus denen sich zum Teil die M23 bildete.

Für die ruandische Regierung erfüllen die wechselnden Rebellengruppen jeweils die gleichen Aufgaben. Zunächst begrenzen sie den militärischen Spielraum der Rebellengruppe Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR), die vom Kongo aus gegen Ruanda kämpft. Sie binden auch die ethnische Minderheit der Tutsi in den Kivu-Provinzen an Ruanda als Schutzmacht. Kongolesische Nationalisten stellen die Staatsbürgerschaft und Landnutzungsrechte der Tutsi in Frage, aus deren Reihen die meisten M23-Kämpfer stammen dürften. Schließlich sichert sich die Regierung Ruandas über die Rebellen einen Anteil am kongolesischen Rohstoffhandel.

Den wechselnden kongolesischen Regierungen wiederum mangelt es seit Jahrzehnten an Willen, die sich überlappenden Konflikte um Landnutzungsrechte, Rohstoffabbau und Handelsrouten in den östlichen Provinzen des Landes zu befrieden. Wenn die Regierungen handeln, bedienen sie sich im Wesentlichen der Armee, die jedoch militärisch ineffektiv, politisch gespalten, und selbst im illegalen Rohstoffhandel involviert ist. Präsident ­Tshisekedi verhängte voriges Jahr den Ausnahme­zustand über die Provinzen Nord-Kivu und Ituri und ­ersetzte die zivilen Gouverneure durch militärische. Die Möglichkeiten der städtischen Zivilgesellschaft wurde dadurch noch weiter beschnitten und das Justizsystem militarisiert, zur Befriedung gesellschaftlicher oder gar bewaffneter Konflikte trug das allerdings nichts bei.

Die sogenannte internationale Gemeinschaft zeigt sich derweil gewohnt emsig und zugleich hilflos. Nachdem Ende Oktober der Kongo den ruandischen Botschafter ausgewiesen hatte, drängten die Nachbarländer die Regierung dazu, die Verhandlungen wiederaufzunehmen. Sowohl am Rande des UN-Klimagipfels in Ägypten als auch in Angola fanden daher in der vergangenen Woche Treffen zwischen Vertretern des Kongo und Ruandas statt. Alle Seiten bekannten sich zu bestehenden Vereinbarungen über einen Deeskalations- und Friedensprozess, der seiner Verwirklichung harrt.

Die Vereinten Nationen selbst haben den Kongo derweil militärisch auf­gegeben. UN-Generalsekretär António Guterres sagte im September, dass die Stabilisierungsmission »die M23 nicht schlagen kann«, denn »die Wahrheit ist, dass die M23 heute eine moderne Armee mit schwerem Gerät ist, das weiter entwickelt ist als die Ausrüstung von Monusco«. Tatsächlich befindet sich die UN-Mission, die militärisch ohnehin nie viel ausrichten konnte, mitten im Abzug, der 2024 abgeschlossen werden soll. Bleiben werden vor allem die humanitären Unterorganisationen der UN, die, unterstützt von vor allem westlichen Geldgebern, Hunderten lokaler NGOs und der katholischen Kirche, die rudimentäre zivile Infrastruktur aus Flüchtlingslagern, Krankenhäusern, Universitäten und Schulen einigermaßen am Laufen halten.

Anstelle von Monusco sollen es nun die befreundeten Nachbarländer mili­tärisch richten. Die zwischenstaatliche Organisation Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) plant, eine militärische Schutztruppe zu entsenden, doch die Stationierung größerer Verbände wird noch Wochen oder sogar Monate auf sich warten lassen. Bislang ist vor allem die Finanzierung dieser Truppe unsicher, denn die maßgeblichen Mitglieder der EAC – Uganda, Kenia und Tansania – sind hochverschuldet. Gehofft wird daher auf internationale Geldgeber. Besonders absurd ist, dass auch Ruanda zwar Mitglied der EAC ist, aber von allen Seiten verdächtigt wird, die eigentliche Kraft hinter der M23 zu sein.

Sollte die EAC es tatsächlich schaffen, Soldaten in den Kongo zu bringen, würde das die Zahl der internationalen Truppen auf kongolesischem Territorium weiter erhöhen. Denn neben der Monusco befinden sich nördlich des M23-Gebiets und des Eduardsees bereits ugandische Truppen. Diese bekämpfen dort die ugandischstämmige Terrorgruppe ADF (Allied Democratic Forces), die sich seit langem zwischen der Großstadt Beni und der ugandischen Grenze verschanzt hat. Weiter südlich halten sich Soldaten aus Burundi in der kongolesischen Provinz Süd-Kivu auf, um in dem hinter der Stadt Uvira am Tanganjikasee steil aufragenden Hochland bewaffnete burundische Regierungsgegner aufzuspüren.

Insbesondere in den Städten hat die neuerliche Aktivität der M23 zu einer nationalistischen Mobilisierung ­geführt, aber auch zu Todesopfern und Zehntausenden Flüchtlingen. Allein bei Demonstrationen gegen die Monusco in Goma, bei denen auch Einrichtungen der UN gestürmt worden sind, starben Ende Juli nach Angaben der kongolesischen Regierung, auf die sich CNN beruft, 36 Menschen durch Schüsse internationaler und lokaler Ordnungskräfte. Währenddessen ­erhält die kongolesische Armee, die in der Zivilbevölkerung bis vor kurzem als unzuverlässige und gefährliche Räuberbande galt, unerwarteten Zulauf. In Goma sollen sich ihr nach einem Aufruf des Präsidenten bereits 3 000 neue Rekruten angeschlossen haben. Allerdings hat der Staat bereits jetzt Schwierigkeiten, die vorhandenen etwa 70 000 bis 100 000 Soldaten zuverlässig zu ernähren und auszustatten.