In Kenia konkurrieren Raila Odinga und William Ruto um die Präsidentschaft

Keine Wahlen ohne Essen

Am 9. August findet in Kenia die Präsidentschaftswahl statt. Wichtige Themen sind Korruption und die rasant steigenden Lebenshaltungs­kosten. Dass es wie früher zu Ausschreitungen nach den Wahlen kom­­men könnte, ist nicht ausgeschlossen.

Beim fünften Anlauf könnte es klappen. Am 9. August wird in Kenia ein neuer Präsident gewählt und der Amtsinhaber Uhuru Kenyatta darf gemäß der Verfassung nicht für eine dritte fünfjährige Amtszeit kandidieren. Stattdessen unterstützt er seinen ehemaligen Gegner Raila Odinga. Dieser ist bei allen Präsidentschaftswahlen seit 1997 (bis zu dieser Wahl war Kenia ein autoritäres Präsidialregime samt Staatspartei) angetreten und unterlag stets. Bei der kommenden Wahl ist der inzwischen 77jährige Odinga der Kandidat der Koalition Azimio la Umoja (Streben nach Einheit), eines Bündnisses, dem außer seiner eigenen Oppositionspartei Orange Democratic Movement (ODM) Kenyattas derzeit regierende Jubilee Party of Kenya und 24 weitere Parteien angehören. Unter den drei weiteren Kandidaten ist Odingas größter Konkurrent der derzeitige Vizepräsident William Ruto, dessen Partei United Democratic Alliance (UDA) der Koalition Kenya Kwanza (Kenia zuerst) angehört. Außer dem Präsidenten werden auch die Na­tionalversammlung, der Senat, die Bezirksversammlungen und die Bezirksgouverneure neu gewählt.

Bei Wahlen in Kenia kam es immer wieder zu gewalttätigen Konflikten zwischen Bevölkerungsgruppen, aber auch die Ordnungskräfte gingen brutal vor. Bisheriger Höhepunkt waren die Ausschreitungen nach den Wahlen 2007, bei denen bis zu 1 500 Menschen starben und über eine halbe Million Menschen fliehen mussten – Odinga hatte zuvor seine Wahlniederlage nicht anerkannt. Auch nach den diesjährigen Wahlen könnte es zu gewalttätigen Übergriffen kommen. Einige Politikerinnen und Politiker arbeiten mit organisierten kriminellen Banden zusammen, um Gewalttaten zu provozieren, da sie diese »als erfolgreichstes Mittel im Wahlkampf« betrachteten, so ein aktueller Bericht der Kommission für nationalen Zusammenhalt und Integration (NCIC).

Jugendliche griffen bereits die Kandidaten Odinga und Ruto bei ihren Wahlkampagnen mit Steinen an und Medien berichteten von mehreren Mordanschlägen auf Lokalpolitiker. Viele Menschen entscheiden sich dafür, aus Sicherheitsgründen die Städte während der Wahlen zu verlassen. »Es ist zu befürchten, dass die Polizei auch während der Wahlen im August Gewalt gegen Demonstrierende ausüben wird«, sagte John Owegi vom Civic Freedoms Forum (Forum für Bürgerfreiheiten, CFF) der Jungle World.

»Es ist zu befürchten, dass die Polizei auch während der Wahlen im August Gewalt gegen Demonstrierende ausüben wird.« John Owegi, Civic Freedoms Forum

Kenianische Politikerinnen und Politiker haben häufig ethnische Zugehörigkeiten genutzt, um Unterstützung zu gewinnen. Auch dieses Jahr herrsche in Kenia eine politische Rhetorik, »die Hass und ethnische Spannungen zwischen den Bürgern schürt«, so Owegi. Alle Präsidenten Kenias kamen bisher entweder aus den Bevölkerungsgruppen der Kalenjin aus der Region des Ostaf­rikanischen Grabenbruchs, so auch der Kandidat Ruto, oder der Kikuyu aus Zentralkenia, wie der amtierende Ken­yatta. Mit Odinga gelänge zum ersten Mal ein Repräsentant der Luo, einer Bevölkerungsgruppe, die mehrheitlich an der Küste des Victoriasees lebt, ins Präsidentenamt.

Owegi zufolge gehe es bei den Wahlen auch darum, wer Kenyattas Kikuyu-Gefolgschaft – die Kikuyu bilden mit 22 Prozent Kenias größte Bevölkerungsgruppe – auf seine Seite ziehen kann. Dass sich im Dezember vergangenen Jahres die Mount Kenya Foundation, eine der einflussreichsten Kikuyu-Lobbygruppen, für Odinga ausgesprochen hat, dürfte für ihn von Vorteil sein. Derzeit liegt er in Umfragen mit 42 Prozent knapp vor Ruto, der auf 39 Prozent kommt, der Rest entfällt auf die anderen Kandidaten, zuvörderst auf George Wajackoyah, Chef der Roots-Partei, die vor allem für die Legalisierung von Mari­huana eintritt.

Der kenianische Journalist und Antikorruptions­aktivist John Githongo hingegen vermutet, dass die ethnische Zugehörigkeit als Mobilisierungsfaktor bei den kommenden Wahlen an Bedeutung verliere. Der BBC sagte er, dass insbesondere William Ruto eine populistische Klassendebatte fördere, die die hustlers, diejenigen, die sich mühsam hochkämpfen müssen, gegen die dynastic families, die alteingesessene politische Führung Kenias, aufwiegele.

Die Familien von Kenyatta und Odinga dominieren das Politikgeschehen in Kenia bereits seit der Unabhängigkeit 1963. Kenyattas Vater Jomo Kenyatta war der erste Präsident des Landes, Odingas Vater Oginga Odinga der erste Vizepräsident. Ruto, der nicht aus ­einer der etablierten Politikerfamilien kommt, inszeniert sich als der Mann, der seine Karriere als Hähnchenverkäufer begann. Damit spricht er eine Bevöl­kerung an, von der ein Drittel in extremer Armut lebt, und dort vor allem die Jüngeren, von denen extrem viele arbeitslos sind.

Die Covid-19-Pandemie, der Ukraine-Krieg und eine der schlimmsten Dürren, die das Horn von Afrika seit 40 Jahren erlebt hat, haben dem nationalen Statistikamt zufolge im Juni zu einem Anstieg der Kosten für Lebensmittel um 13,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat geführt. Unter dem Slogan »Hakuna kura bila kula« (Keine Wahlen ohne Essen) gingen im Juli Hunderte Menschen in den Städten auf die Straße, um für eine Senkung der Maismehlpreise zu demonstrieren, und drohten mit Wahlboykott. »Für die Mehrheit der Kenianer ist der Zugang zu Lebensmitteln und grundlegenden Gütern tatsächlich wichtiger als die Wahlen«, sagte Lewis Maghanga von der kleinen sozialistischen Partei Revolutionary Socialist League (RSL), die sich an den Protesten beteiligte, im Gespräch mit der Jungle World.

Knapp drei Wochen vor dem Wahltermin halbierte die Regierung Kenyattas sodann mit Hilfe von Subventionen den Preis von Maismehl, dem wichtigsten Grundnahrungsmittel in Kenia. Es wird vermutet, dass dieser Schritt seinem Schützling Odinga einen Vorteil bei den kommenden Wahlen verschaffen soll. Ruto seinerseits verspricht in seinem »Von unten nach oben« betitelten Wirtschaftsprogramm, die Interessen der Arbeitslosen, informell Beschäftigten und Subsistenzbauern zu ver­treten gegenüber den großen Unternehmen. Um die Lebensmittelkrise zu ­lösen, plant er, bis 2027 umgerechnet 4,2 Milliarden US-Dollar in die Landwirtschaft zu investieren, was viele Arbeitsplätze schaffen könnte. Odinga hingegen konzentriert sich mit »Baba Care« auf die Werbung mit bezahlbarer Gesundheitsversorgung. Die Kandidaten würden das Problem der Lebensmittelkosten zwar erwähnen, es habe aber »keine besondere Priorität in den Wahlkampfmanifesten angenommen«, kri­tisiert Maghanga von der RSL.

Die sozialen Wahlversprechen der beiden Kandidaten scheinen jedoch eher unrealistisch, da sie kein Konzept zu ihrer Finanzierung vorlegen können. Um die Folgen der Covid-19-Pandemie zu bewältigen, lieh sich Kenia im April vergangenen Jahres erneut Geld vom Internationalen Währungsfonds (IWF), diesmal 2,34 Milliarden US-Dollar. 60 Prozent der Steuereinnahmen fließen bereits in die Rückzahlung von Krediten. Dafür sollen Steuern in der Landwirtschaft und im informellen Sektor ausgeweitet werden. Diese Steuererhöhungen würden die Lebenshaltungskosten weiter in die Höhe treiben.

Odinga hofft, durch die Bekämpfung der in Kenia verbreiteten Korruption zumindest einen Teil seiner angekündigten Reformen und Investitionen finanzieren zu können. Um seine diesbezüglichen Ambitionen zu unterstreichen, ernannte er Martha Karua zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin. Sie gilt als nichtkorrupt und war eine Leitfigur der Demokratiebewegung der neunziger Jahre. 2009 hatte sie ihren Posten als Justizministerin in der Regierung Mwai Kibakis wegen Differenzen bei den Themen Korruption und Menschenrechte aufgegeben. Nach Karuas Ernennung überholte Odinga im Mai erstmals seinen Rivalen Ruto in den Umfragen. Karua hat berechnet, dass man mit den Summen, die durch Korruption verlorengehen, die von ihrer Koalition geplanten Leistungen für zwei Millionen Kenianer und Kenianerinnen finanzieren könnte. Wegen der Allianz mit Kenyatta ist jedoch fraglich, ob Odinga tatsächlich Ermittlungen wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen gegen die Vorgängerregierung Kenyatta fördern würde.

Owegi vom CFF meint, viele Kenianerinnen und Kenianer hielten das Versprechen der Kandidaten, gegen Korruption vorzugehen, für »reine Rhetorik«. Denn beide Kandidaten hätten korrupte Politiker auf ihrer Seite. Auch Ruto scheint nicht der einfache Hähnchenverkäufer zu sein, für den er sich ausgibt. Er stand bereits mehrfach ­wegen des Vorwurfs des Landraubs vor Gericht. Sein Vizepräsidentschaftskandidat Rigathi Gachagua muss sich derweil wegen Korruption und Geldwäsche in Höhe von 65 Millionen US-Dollar vor Gericht verantworten.

Owegi vermutet, dass die Wahlen nur dann einen Wandel zum Besseren bringen könnten, wenn die neue Regierung die Korruption wirklich in den Griff ­bekommt. Maghanga von der RSL ist pessimistischer: Keiner der beiden ­Anwärter auf die Präsidentschaft könne eine realistische Zukunftsperspektive für Kenia vorweisen und es gebe kaum Hoffnung auf einen großen politischen Wandel nach den Wahlen im August.