Start-ups wie Gorillas kämpfen mit wirtschaftlichen Problemen

Affengeile Blase

Gorillas und verschiedene andere Start-up-Unternehmen stehen vor großen finanziellen Problemen. Dabei wurden sie im vergangenen Jahr noch von Investoren mit Geld geradezu überschüttet.

»Es gibt Tage, die man niemals vergessen wird in seinem Leben«, schrieb der Gründer und Firmenleiter des Lieferdiensts Gorillas, Kağan Sümer, Ende Mai in einer E-Mail an seine Belegschaft. Unvergessen dürfte Sümers Botschaft vermutlich auch bei vielen bleiben, die sie empfangen haben. Denn in ihr kündigte er an, dass 300 Beschäftigte ihre Anstellung verlieren werden, voranging in der Verwaltung. Fast die Hälfte der Beschäftigten in der Berliner Zentrale des Unternehmens verloren ihren Job. Zugleich will das Unternehmen seine Tätigkeit auf vier europäische Länder, nämlich Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien, sowie die USA konzentrieren. Hingegen sollen die Geschäfte in Italien, Spanien, Dänemark und Belgien eingestellt werden. Das bedeutet, dass demnächst auch Stellen für Fahrer und Lagerarbeiter wegfallen.

Nicht nur Gorillas, auch andere Lieferdienste entlassen Personal und stehen vor großen finanziellen Problemen. So plant das türkische Unternehmen Getir, weltweit bis zu 4 500 Beschäftigte zu entlassen, rund 14 Prozent der gesamten Belegschaft. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge erwartet Getir in diesem Jahr einen Verlust von etwa einer Milliarde US-Dollar. Der Lieferdienst Grovy aus Frankfurt am Main musste vergangenen Monat sogar Insolvenz anmelden.

Wer eine Lieferung innerhalb weniger Minuten verspricht, muss ein kostspieliges Netz von lokalen Warenhäusern in teuren Lagen etablieren und viel Personal einstellen.

Die Pleiten und Entlassungen zeigen, dass die Zeit des »Hyper-Growth«, des Megawachstums, in der Branche vorbei ist. Dabei wurden Firmen wie Gorillas im vergangenen Jahr noch mit Geld geradezu überschüttet. Über eine Milliarde US-Dollar sammelte das Unternehmen 2021 bei Investoren ein, das Konkurrenzunternehmen Flink erhielt rund 600 Millionen US-Dollar.

Entsprechend energisch versuchten mehrere Bring- und Lieferdienste fast gleichzeitig, den deutschen Markt zu erobern. Entscheidende Vorteile hat dabei, wer sich zuerst Gebiete und Marktanteile sichern kann. Wenn Kunden sich an einen bestimmten Dienst gewöhnt haben, steigen sie später nur noch selten um. Um eine Großstadt zu erschließen, sind jedoch enorme Investitionen nötig. Wer eine Lieferung innerhalb weniger Stunden oder gar Minuten verspricht, muss ein kostspieliges Netz von lokalen Warenhäusern in teuren Lagen etablieren und viel Personal einstellen, um die Produkte direkt an die Haustür liefern zu können. Mittlerweile sind ­allein in Berlin Tausende Fahrradkuriere unterwegs. Hinzu kommen hohe Kosten für Werbung und Marketing.

Weil die Lieferdienste für Waren nur wenig mehr als die Supermärkte verlangen können, bleibt nach Abzug der Kosten kaum Gewinn für sie übrig. In vielen Fällen sind die Dienste sogar reine Verlustgeschäfte. Am Ende, so die Hoffnung, bleibt nach dem Verdrängungswettbewerb nur ein Marktführer übrig, der dann die Preise diktieren kann. Bis es so weit kommt, müssen allerdings hohe Schulden aufgenommen und fast genauso schnell wieder verbrannt werden.

Das Modell funktionierte, solange es genügend Investoren gab, die an eine profitable Zukunft der Start-ups glaubten. Doch seit Inflation und Zinsen steigen, stößt das Geschäftsmodell an seine Grenzen. Unternehmen, die über lange Zeit viel Geld verlieren, erhalten kaum mehr Kredite, und wenn, dann nur zu deutlich schlechteren Konditionen. Für Start-ups wird es immer schwieriger, neue Investoren zu finden. Und wer bereits an der Börse gehandelt wird, muss mit herben Rückschlagen rechnen. So wie der Lieferdienst Delivery Hero, dessen Aktie innerhalb weniger Monate mehr als 70 Prozent an Wert verlor.

»Risiko ist inzwischen irritierend für Investoren und niemand will im Moment Unsicherheit. Das macht es ­aktuell ziemlich schwer, Geld einzusammeln«, sagte Sümer vergangene Woche der Nachrichtenagentur Reuters. Daher müsse Gorillas zeigen, dass es Gewinne abwerfen könne – laut Sümer eine Voraussetzung für einen Börsengang.

Um Gewinne zu erzielen, müssen die Lieferdienste zunächst ihre Kosten senken. Und das bedeutet in erster ­Linie, Personal einzusparen und Gehälter zu kürzen. Die Massenentlassungen bei Gorillas oder Getir dürften daher erst der Anfang sein, vermutlich werden bald viele weitere Unternehmen folgen, wenn ihnen die Anschlussfinanzierung nicht mehr gelingt.

Hilfe könnte allerdings von unerwarteter Seite kommen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) plant einem Bericht der Zeit zufolge, Start-ups den Zugang zu Wagniskapital zu erleichtern. Weil die Regierung selbst nicht in Risikofonds einsteigen kann, schwebt Habeck eine andere Lösung vor. Demnach ­sollen wie in den USA Rentenversicherer und Pensionskassen in Start-ups ­investieren dürfen. Entscheidend sei allerdings, »welchen Beitrag Unternehmen zur Lösung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Probleme leisteten«, heißt es in dem Bericht. Gemeint sind damit vor allem Start-ups, die sich mit Klimaschutz und anderen »grünen« Anliegen beschäftigen. Lieferdienste, deren Geschäftsmodell darin besteht, einen Burger oder das Feierabendbier innerhalb von zehn Minuten an die Wohnungstür zu liefern, erfüllen diese Kriterien wohl eher nicht.