Im Internet vernetzen sich Eltern und Ärzte, um Kleinkinder gegen Covid-19 zu impfen

Impfen im Underground

Während viele Eltern nach Impfmöglichkeiten für ihre Kinder suchen, droht zum Juni dieses Jahres die Vernichtung von voraussichtlich drei Millionen Dosen Impfstoff in Deutschland.

Ob kleine Kinder gegen Covid-19 geimpft werden sollten, ist eine Streit­frage. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt Impfungen erst ab zwölf Jahren, für Kinder, denen aufgrund bestimmter Vorerkrankungen ein schwerer Verlauf droht, ab fünf. Doch auch wenn die Omikron-Variante meist mildere Erkrankungen verursacht, ge­rade bei Jüngeren, kann doch auch sie tödlich verlaufen. Dem Robert-Koch-Institut zufolge verstarben seit Jahresbeginn pro Woche durchschnittlich mehr als zwei Kinder und Jugendliche im Alter zwischen null und 19 Jahren im Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen sind die Infektionszahlen seit dem Herbst 2021 stark gestiegen, bei älteren Kindern und Jugendlichen lag die Siebentageinzidenz seit Ende Januar zwischen 2 000 und 3 000. Derzeit nimmt sie langsam wieder ab, was jedoch zum Teil auf eine wachsende Untererfassung zurückzuführen sein dürfte; nur durch PCR-Tests bestätigte Infektionen fließen in die Statistik ein.

Insbesondere in Schulen verbreitet sich das Virus nach wie vor stark. Lehrkräfte berichten von gehäuften Krankheitsfällen in ihren Klassen, in den ­sozialen Medien ist die Rede von Schulkindern, die bereits zum zweiten oder dritten Mal innerhalb kurzer Zeit eine Infektion durchmachten, hinzu kämen psychische Belastungen, weil viele Kinder Angst hätten, sich zu infizieren oder andere anzustecken.

Die Europäische Arzneimittel­behörde (Ema) hat noch keinen Covid-19-Impfstoff für Kleinkinder zugelassen.

Auch Langzeitfolgen, das sogenannte Long Covid beziehungsweise Post-Covid-Syndrom, können bei Kindern und Jugendlichen auftreten. Ein Spezialfall bei Kindern ist das sogenannte Pädiat­rische Multisystemische Entzündungssyndrom (Pims), das etwa vier bis acht Wochen nach einer Covid-19-Infektion auftreten kann. Pims ist zwar selten, muss aber häufig im Krankenhaus ­behandelt werden. Es führt zu Fieber und erhöhten Entzündungswerten, ­betroffen sind meist mehrere Organe, vor allem Herz, Magen-Darm-Trakt und die Haut.

Seit dem 19. August 2021 gibt es eine allgemeine Impfempfehlung der Stiko für Kinder ab zwölf Jahren, seit dem 17. Dezember 2021 gilt eine eingeschränkte Empfehlung, vorerkrankte Kinder ab fünf zu impfen, bei denen die Gefahr eines schweren Verlaufs besteht. Doch bis heute gibt es in Deutschland keine offizielle Empfehlung für eine Impfung für Kinder unter zwölf ohne Vorerkrankung. Zudem hat die Europäische Arzneimittelbehörde (Ema) bislang keinen Covid-19-Impfstoff für Kleinkinder unter fünf Jahren zugelassen. Das ­Immunsystem von Kindern reagiert oft anders als das von Erwachsenen. Die allermeisten Ärzte bieten deshalb eine Covid-19-Impfung für Kleinkinder auch nicht an. Gerade Kinderärzte argumentieren oft, aufgrund der geringen Schwere ­einer Erkrankung bei Kindern sei eine Impfung für gesunde Kinder unter zwölf nicht nötig.

Über das Internet vernetzen sich ­Eltern und Ärztinnen und Ärzte, die es dennoch möglich machen wollen, Kinder unter fünf zu impfen. Sie tauschen Informationen aus und vermitteln Impfangebote. Der Impfstoff von Biontech/Pfizer sei sicher auch für jüngere Kinder, heißt es beispielsweise auf der Website u12schutz.de. Die Betreiber verweisen auf Daten von Studien, die auf der in den USA seit Herbst 2021 laufenden Kinderimpfkampagne beruhen; die dortigen Gesundheitsbehörden empfehlen eine Impfung für Kinder ab fünf Jahren. Die Impfreaktionen seien demnach überschaubar, kleinere Kinder würden die Impfung häufig besser als ältere Kinder oder Erwachsene vertragen.

Zahlreiche Gesuche in der zugehörigen Facebook-Gruppe und in anderen Foren zeigen, dass es schwierig ist, für Kinder unter fünf einen Impftermin zu bekommen. Auch bei älteren Kindern kann es Probleme bei der dritten Impfdosis geben. »Außer in Thüringen und in Bayern gibt es die Kinderimpfung nicht als Booster bei den offiziellen Impfstellen. Da springen jetzt unsere Ärzte wieder ein«, erzählt eine der ­ehrenamtlich bei u12schutz.de arbeitenden Mütter im Gespräch mit der Jungle World. Sie beklagt, dass gerade Kinderärzten oft nicht bewusst sei, wie gefährlich das Virus auch für ihre jungen Patienten sein könne, denn sie bekämen in ihrem Praxisalltag nur selten schwere Fälle zu sehen, während Allgemeinärzten regelmäßig mit schweren Verläufen bei Erwachsenen konfrontiert seien. Von den derzeit 60 Ärztinnen und Ärzten, die sich bei u12­schutz.de engagieren, seien die meisten Hausärzte. »Unsere gemeinsame Motivation ist, dass wir möchten, dass alle diese Impfmöglichkeit haben und es nicht nur ein internetaffiner Kreis bleibt. Und das ist auch gelungen. Derzeit sind etwa 50 000 Kinder unter fünf off-label geimpft, weitere 50 000 Kinder unter zwölf haben vor der Zulassung des Kinderimpfstoffs für die unter Zwölfjährigen ihre erste Spritze bekommen«, schildert die Ehrenamtliche die Arbeit der bei u12schutz beteiligten Ärzte.

Off-label bedeutet, dass ein Arzt ein Medikament jenseits des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs anwendet oder verschreibt. Davor schrecken viele Ärzte zurück, weil sie Angst vor Haftung haben, sollte die Anwendung unerwünschte Folgen zeitigen. Doch handelt es sich um eine durchaus übliche Vorgehensweise, besonders in der Kinderheilkunde sowie bei Krebsbehandlungen und seltenen Krankheiten, beispielsweise wenn ein erprobtes Medikament in einem Einzelfall angewendet wird, für dessen Krankheitsbild es nicht zugelassen ist.

Wichtig bei jeder off-label-Verwendung ist die ärztliche Aufklärung der Patientinnen, an die in diesen Fällen spezielle Anforderungen gestellt sind. Zum Beispiel müssen beide Elternteile der Impfung gegen Covid-19 zustimmen, die Aufklärung darüber, dass der Impfstoff off-label verwendet wird, muss in der Patientenakte dokumentiert werden. Allgemein erfordert eine solche Nutzung, dass es sich um die Prävention einer schweren Erkrankung handelt, dass kein anderer, bereits für die fragliche Personengruppe zugelassener Arzneistoff vorhanden ist und dass eine erfolgreiche Behandlung aufgrund der verfügbaren Daten wahrscheinlich ist. Weil im Fall der Covid-19-Impfung von Kleinkindern all diese Bedingungen erfüllt seien, müsse man nicht auf eine Ema-Zulassung warten, betonen die Befürworterinnen der Kinderimpfung. Anders als bei einer zugelassenen Anwendung von Medikamenten haftet der Hersteller jedoch nicht für mögliche Folgeschäden. Umstritten ist, ob wie bei den empfohlenen Covid-19-Impfungen der Staat für mögliche Folgeschäden haftet, oder der impf­ende Arzt selbst. Befürworter der off-label-Impfung interpretieren die Coronavirus-Impfverordnung so, dass der Staat haften würde, fordern jedoch den Gesetzgeber zu einer Klarstellung der Gesetzeslage auf, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Noch im Dezember hatte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums dagegen dem Tagesspiegel gesagt, bei off-label-Impfungen übernehme nach wie vor »der Arzt die volle Verantwortung«.

Ein Problem sind außerdem ernstzunehmende Drohungen gegen impfende Ärztinnen. Auch impfwillige Eltern seien im Netz Hasskommentaren aus­gesetzt, denn gerade der vermeintliche Kinderschutz verleitet viele Impfgegner zu Gewaltdrohungen. »Wir haben sehr hohe Sicherheitsmaßnahmen auf unserer Web­site«, sagt die freiwillige Mitarbeiterin von u12Schutz.de, die anonym bleiben möchte. »Es ist ein Telefonservice vorgeschaltet, wenn man die Telefonnummer anruft. Wir haben eine GmbH gegründet, damit wir unsere Identität nicht preisgeben müssen. Auch die Datenbank ist natürlich massiv gesichert.« Die Anfeindungen würden bis hin »zu Aufrufen zu Gewalt gegen Leib und Leben oder Eigentum« gehen, heißt es auf der Webseite der Initiative. Der Karlsruher Anwalt Matthias Klein, der auch die u12-Initiative juristisch berät, nimmt Hinweise und Beweise entgegen, die strafrechtlich relevant sein könnten.

Viele Ärzte lehnen eine Impfung für Kleinkinder nach wie vor ab. In der Facebook-Gruppe »Offlabeluse« erzählen Eltern von verharmlosenden Aussagen von Kinderärztinnen, die selbst Kinder, die eine schwere Infektion durchmachen mussten, nicht für einen zusätzlichen Schutz impfen wollen. Die Mutter eines zweijährigen Mädchens, das nach der Covid-19-Infektion anhaltende Lungenprobleme behalten habe, habe zu hören bekommen, dass die Erkrankung ja nicht lebensbedrohlich gewesen sei und man mit dem Impfen vorsichtig sein solle.

Während viele Eltern nach Impfmöglichkeiten für ihre Kinder suchen, droht zum Juni dieses Jahres die Vernichtung von voraussichtlich drei Millionen Dosen Impfstoff in Deutschland. Die ­Ehrenamtliche von u12schutz.de kritisiert, die Kommunikation darüber, wie gefährlich das Virus ist, sei bis heute ungenügend. »›Kinder trifft es nicht so schlimm, die Verläufe sind mild, Ansteckungen finden nicht in Schulen statt, die Maske kann am Platz abgenommen werden‹ – all diese Sätze sorgen dafür, dass Familien eine Impfung nicht als notwendig ansehen.«