Sicherheitsinteressen erschweren Israel die Beteiligung an Sanktionen gegen Russland

Israels Dilemma

Der Krieg in der Ukraine ist für Israel eine Herausforderung. Denn es geht um mehr als einfach nur gute Kontakte zu Russland oder der Ukraine.

Last Exit Tel Aviv: Seit Anfang März seien mindestens 14 Privatflugzeuge aus Russland am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv gelandet, meldeten israelische Medien dieser Tage. Über die Passagiere konnte man nicht viel erfahren – außer, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um russische sogenannte Oli­garchen handelte, die sich sowie Teile ihres Vermögens außer Landes bringen wollen. Und da kommt Israel ins Spiel. Schließlich hat sich die israelische Regierung bis dato den westlichen Sanktionen gegen das russische Regime nicht angeschlossen, weshalb Israel als eines der letzten Schlupflöcher für russische Staatsbürgerinnen und -bürger gilt, die sich die Ausreise noch leisten können. Am Montag sagte Israels Außen­minister Yair Lapid bei einem Besuch in Bratislava jedoch: »Israel wird kein Weg sein, um Sanktionen zu umgehen, die von den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern gegen Russland verhängt wurden.«

Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine hatten sich Ministerpräsident Naftali Bennett und Lapid nahezu krampfhaft darum bemüht, Neutralität zu bewahren, doch das wird mit jedem Tag, den die russische Invasion andauert, schwieriger. Israel wolle doch wohl nicht »der letzte Zufluchtsort für schmutziges Geld werden, das Putins Kriege anheizt«, sagte die dritthöchste Repräsentantin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, am Freitag voriger Woche im israelischen Fernsehen.

Will Israel an seiner Nordostgrenze den Iran in die Schranken weisen und gegen die dort stationierten iranischen Revolutionsgarden vorgehen, funktioniert das nur, wenn die israelische Regierung ihr Vorgehen mit der russischen Armee in der Region koordiniert.

Nimmt Israel aber zu sehr Partei für die ukrainische Regierung, dürfte das in Russland nicht gut ankommen. Dann könnte schnell Schluss sein mit der Bewegungsfreiheit für israelische Kampfflugzeuge am Himmel von Syrien, wo Russland das Sagen hat. Oder anders formuliert: Will Israel an seiner Nord­ostgrenze den Iran in die Schranken weisen und beispielsweise mit Luftangriffen gegen die dort stationierten iranischen Revolutionsgarden vorgehen, funktioniert das nur, wenn die israelische Regierung ihr Vorgehen mit der russischen Armee in der Region koordiniert.

Umgekehrt kann Israel es sich nicht leisten, seinen wichtigsten Bündnispartner, die USA, zu vergrätzen. Die US-Regierung hat sich klar auf die Seite der Ukraine gestellt, weswegen sie über die israelische Haltung in dem Konflikt zusehends verstimmter wird. Als sich Israel Ende Februar bei den Vereinten Nationen sogar weigerte, eine Resolution miteinzubringen, in der Russlands Vorgehen verurteilt werden sollte, teilte Linda Thomas-Greenfield, die UN-Botschafterin der USA, ihren israelischen Kollegen mit, wie enttäuscht US-Präsident Joe Biden darüber sei. Das zeigte wohl Wirkung. In der darauffolgenden Sitzung der UN-Generalversammlung schloss Israel sich dem Votum gegen Russland an.

»Für Israel ist es eine heikle Situation«, bringt der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert das Dilemma auf den Punkt: »Einerseits ist Israel ein Verbündeter der USA und Teil des Westens. Daran darf es keinen Zweifel geben«, sagte er Ende Februar der New York Times. »Auf der anderen Seite sind die Russen in Syrien präsent. Dort haben wir heikle militärische und sicherheitspolitische Probleme – und das erfordert eine gewisse Handlungsfreiheit für unser Militär.« Als russische Bomben auf die Gedenkstätte von Babyn Jar in Kiew fielen, den Ort, an dem im Zweiten Weltkrieg Zehntausende Jüdinnen und Juden von den deutschen Besatzern ermordet worden waren, zeigte sich Israels Präsident Yitzhak Herzog zwar erschüttert, die israelische Regierung vermied es aber, Russland direkte Vorwürfe zu machen. Lapid sagte nur, Israel verurteile die Beschädigung der Gedenkstätte.

Diese butterweiche Haltung stört mittlerweile viele. »Wenn der Ministerpräsident es nicht sagen kann, dann müssen wir Israelis das machen: Selenskyj, wir stehen an deiner Seite; Putin, beende den Krieg«, so etwa David Horowitz, der Chefredakteur der Times of Israel. Zugleich forderte er mehr Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen. Lediglich 5 000 nichtjüdische Ukrainerinnen und Ukrainer will Israel aufnehmen, 20 000 ukrainische Staatsbürgerinnen und -bürger, die vor Kriegsbeginn ins Land gekommen waren, sollen ein temporäres Bleiberecht erhalten.

Zwar pflegt Israel ebenfalls zur Ukraine recht enge Kontakte. Aber beim Thema Waffenlieferungen hört die Freundschaft auf. Als die USA 2021 das weltberühmte israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome an die Ukraine weitergeben wollten, legte Israels damalige Regierung aus Furcht vor negativen Reaktionen aus Russland ein Veto ein. Ob die derzeitige Regierung heutzutage auch so entscheiden würde, dar­über lässt sich nur spekulieren. Bis dato lieferte Israel jedenfalls nur einige Hundert Tonnen Hilfsgüter an die Ukraine. Fakt ist, dass israelische Waffen dennoch die Ukraine erreichen – wenn auch indirekt. So handelt es sich bei dem Panzerabwehrsystem vom Typ Panzerfaust 3, das die niederländische Regierung an die Ukraine weiterge­geben hatte, zwar um ein Produkt des deutschen Herstellers Dynamit Nobel Defence, der aber wiederum ein Tochterunternehmen des israelischen Staatskonzerns Rafael Advanced Defense Systems ist.

Israel hat sich als Vermittler im Ukraine-Krieg ins Spiel gebracht, auch auf mehrfachen Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Obwohl Bennett religiöser Jude ist, brach er sogar die Sabbat-Ruhe, um zu Gesprächen mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin nach Moskau aufzubrechen – jedoch ohne Resultate vorweisen zu können. »Zuallererst sollte man ­unparteiisch sein«, lautet dazu die Einschätzung von Ksenia Svetlova, einer politischen Analystin und ehemaligen Knesset-Abgeordneten der Arbeitspartei (Avoda). Das sei bereits nicht gegeben, weil Bennett zu sehr auf Putins ­Linie liege und dessen Forderungen nach einem Russland genehmen Kompromiss unterstütze. »Wir haben keinerlei Druckmittel gegenüber Putin. Ich kann also nicht erkennen, dass Bennett etwas anzubieten hätte, das Putin dazu bringt, eine Art Kompromiss zu akzeptieren, der auch für die Ukrainer akzeptabel ist«, so Svetlova.