Coronaleugner bedrohen Lehrkräfte mit dem Tod

Jagen, hängen, lynchen

An Schulen ist psychische Gewalt gegen jene, die Coronaschutzregeln befolgen, keine Seltenheit. Nun verschärfen die Maßnahmengegner ihre Drohungen.

Der Ton wird schärfer. Seit Beginn der Pandemie sind Lehrkräfte an Schulen zur Zielscheibe von Impfgegnern und Coronaleugnern geworden, doch deren Aggressivität hat inzwischen eine neue Qualität erreicht.

Bereits zweimal brachten in den vergangenen Wochen Unbekannte Zettel und Plakate an einer Grundschule im oberfränkischen Gundelsheim (Bayern) an, die gegen die Coronamaßnahmen an der Schule, wie das Tragen von Masken und regelmäßige Schnelltests, gerichtet waren. Während die Po­lizei beim ersten Mal Mitte Januar noch keine strafbaren Inhalte erkennen konnte, hat sie im zweiten Fall Ende Januar Ermittlungen aufgenommen: Die Unbekannten drohten den Lehrkräften und der Schulleitung, diese »wegen der ständigen Misshandlungen unserer Kinder« zu »jagen«, zu »lynchen« und zu »hängen«.

Die Forderung nach dem Schutz der Kinder in der Pandemie bietet ein Anliegen, mit dem Rechtsextreme bis in bürgerliche Kreise hinein Anschluss finden können.

Das ist kein Einzelfall. Jens Augner, der Lehrer an einem Berliner Gymnasium ist, sowie drei seiner Kolleginnen und Kollegen erhielten vor kurzem ein Schreiben, dessen Verfasser ihnen vorwerfen, sie setzten »die verfassungswidrige Maskenpflicht« gegen »die Schwächsten der Gesellschaft« durch. Außerdem drohten sie Augner, von ihrem »Recht zum Widerstand« Gebrauch zu machen, sollte er seine »Verhaltensweise« nicht ändern. Das Schreiben hatten sie mit einem Fadenkreuz versehen.

Augner gehört dem Krisenteam der Schule an, das Maßnahmen zum Schutz vor Sars-CoV-2 bespricht und umsetzt. Deshalb habe er es schon häufiger erlebt, sagte er der Jungle World, dass Eltern anriefen und sich über die Schutzmaßnahmen beschwerten. Das per­sonalisierte Schreiben und das Fadenkreuz stellten in seinen Augen allerdings eine neue Qualität dar. »Gerade die Schulleitung bekommt in regel­mäßigen Abständen immer mal wieder Schreiben von Eltern in unterschiedlicher Qualität, aber in dieser Form gab es das noch nicht«, sagte er.

Einer 2021 vom Verband Bildung und Erziehung in Auftrag gegebenen repräsentativen bundesweiten Umfrage zufolge gaben 22 Prozent von rund 1 500 befragten Lehrkräften und Schulleitungen an, ihnen seien persönlich Fälle psychischer Gewalt gegen Beschäftigte der eigenen Schule im Zusammenhang mit Infektionsschutzmaßnahmen bekannt. Diejenigen, denen solche Fälle bekannt sind, gaben an, wobei Mehrfachnennungen möglich waren, dass in über 80 Prozent der Fälle die Angriffe von Eltern ausgegangen seien und in knapp 20 Prozent der Fälle von schulfremden Personen, die oft in Initiativen organisiert waren, die sich gegen die von der Schule ergriffenen Coronamaßnahmen richten. In 25 Prozent der Fälle seien die Angriffe von Schülerinnen und Schülern ausgegangen.

Die Schulleitung des Gymnasiums, an dem Augner unterrichtet, brachte die Drohschreiben zur Anzeige. »Aber weil nicht nachvollziehbar ist, wer die ­Schreiben verfasst hat, wird das wahrscheinlich im Sande verlaufen«, meint Augner. Larissa Denk vom Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus Hamburg sagte der Jungle World, dass sie pädagogischem Personal trotzdem rate, solche Fälle zu melden, »damit das Ausmaß an Vorfällen überhaupt erfasst werden kann«. Denk ist Mitherausgeberin einer im vergangenen Jahr erschienenen Handreichung zur Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Pandemieleugner mit dem Titel »Und wer denkt an die Kinder?«.

Der Verweis auf die »Schwächsten der Gesellschaft« und die herausgestellte Sorge um das seelische Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen ist den Verfassern der Handreichung zufolge ein häufig wiederkehrendes Motiv bei denjenigen, die gegen die Coronamaßnahmen protestieren. So beschmierten im vergangenen November Unbekannte die Fassade einer Grund- und Werkrealschule in Villingendorf (Baden-Württemberg) unter anderem mit dem Wort »Kinder-Todesspritze« und einem Totenkopfsymbol sowie, in Anlehnung an den Nazi-Spruch über dem Eingang des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, den Schriftzug »Impfen macht frei«. Der Polizei zufolge standen die Schmierereien vermutlich im Zusammenhang mit einer Impf­aktion für die Schülerinnen und Schüler der betroffenen Schule.

Anfang Februar demonstrierten etwa 40 Impfgegner vor der Stadtteilschule Winterhude in Hamburg und rollten Plakate aus. Der Hamburger Morgenpost zufolge befand sich darunter ein Plakat mit dem Slogan »Finger weg von unseren Kindern! Nein zur Impfpflicht«, das eine überklebte Internetadresse enthielt, die auf eine Publika­tion der rechtsextremen Partei NPD verwies. Außerdem sprachen die Protestierenden Schülerinnen und Schüler an und forderten diese auf, sich nicht impfen zu lassen. Denk zufolge sei dies ein Beispiel dafür, dass die Protestierenden nur vermeintlich im Sinne der Kinder handelten. »Vielmehr werden Kinder mindestens verunsichert und stehen unter immensem Druck«, sagte Denk.

Den Verein »Eltern stehen auf« (ESA) heben die Herausgeber der Handreichung hervor. Dieser ist aus einer im Mai 2020 gegründeten Facebook-Gruppe hervorgegangen und beteiligte sich von Beginn an an Protesten, die sich gegen die Infektionsschutzmaßnahmen von Bund und Ländern richteten. Auf seiner Website wirbt der Verein für »eine freie, gesunde Entwicklung der Kinder und Menschen« und stellt Musterschreiben sowie Handlungsempfehlungen zur Verfügung, um zum Beispiel Schultestungen der Kinder und Bußgeldbescheide abzuwehren oder eine Teilnahme an Elternabenden zu erzwingen, obwohl man die dafür vorausgesetzten 3G-Bedingungen nicht erfüllt.

Die Gründer des Vereins haben darüber hinaus Verbindungen zu rechten Gruppierungen. So nennt Gerhard Praher, einer von drei Initiatoren des Vereins, auf seiner Internetseite die Anastasia-Bewegung und wirbt für das von ihr propagierte »ganzheitliche Lernen«. Die rechtsesoterische Anastasia-Bewegung bemüht sich, in abgelegenen ländlichen Gebieten völkische Siedlungen und freie Schulen nach den Ideen des russischen Autors Wladimir Megre zu gründen, der die Romanfigur Anastasia erfunden hatte.

»Auf der einen Seite scheint es um den Schutz der Kinder zu gehen, auf der anderen Seite gibt es ideologische oder sogar personelle Überschneidungen mit Rechtsextremen und der Reichsbürgerszene«, sagte Denk. Das zeigt sich auch am Fall einer im vergangenen September aufgeflogenen illegalen Schule in Schechen nahe Rosenheim (Bayern), an deren Gründung Reichsbürger beteiligt gewesen sein sollen. Etwa 50 Kinder und Jugendliche sollen dort unter Umgehung der Coronaregeln auf einem alten Bauernhof unterrichtet worden sein, bis die zuständige Schulaufsichtsbehörde das unterband.

Die Instrumentalisierung des Themas Kinderschutz ist in rechten Kreisen weitverbreitet. Denk und ihre Co-Autoren verweisen in ihrer Handreichung auf die in der neonazistischen Szene verbreitete Forderung der »Todesstrafe für Kinderschänder« sowie das Verschwörungsgeraune von einer »Früh­se­­xu­ali­sierung« durch die Aufklärung über sexuelle Vielfalt im Schulunterricht.

Ähnlich wie das Thema der sexualisierten Gewalt bietet die Forderung nach dem Schutz der Kinder in der Pandemie ein Anliegen, mit dem Rechts­extreme bis in bürgerliche Kreise hinein Anschluss finden können. Im vergangenen Jahr rief ESA Menschen über verschiedene Kanäle dazu auf, Kuscheltiere und Kinderschuhe vor Rathäusern abzulegen. »Diese vermeintlich unpolitische Form des öffentlichen Auftretens führte beispielsweise dazu, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sich mit Aktionen vor ihren Rathäusern solidarisieren und die Akti­vistinnen und Aktivisten somit als legitime Gesprächspartnerinnen und -partner protegieren«, schreiben die Herausgeber der Handreichung.

Organisationen wie ESA greifen durchaus reale Probleme auf: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ­sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche berichten, dass psychische Belastungen und depressive Symptome bei jungen Menschen seit Beginn der Pandemie deutlich zugenommen haben. Grund dafür seien neben anderen ­Faktoren wie dem Weg­fallen von Sport- und Freizeitangeboten auch die monatelangen Schulschließungen während der ersten und zweiten großen Infek­tionswelle.

Denk und ihren Co-Autoren zufolge sei es Organisationen wie ESA und ­anderen rechten Gruppierungen »in Teilen erfolgreich gelungen, legitime Bedenken in Bezug auf die Alltags- und Lernerfahrungen unter Pandemiebedingungen mit Verschwörungserzählungen zu verbinden«.

»Unserer Wahrnehmung nach ist der Ton schärfer geworden, spätestens zu dem Zeitpunkt, als das Thema Impfungen und Impfpflicht zentral für die Szene wurde«, sagte Denk der Jungle World.