Pablo Larraín verfilmt das Leben von Prinzessin Diana

Eine Ehe zum Kotzen

Filme und Serien über die britische Monarchie sind derzeit äußerst populär. Pablo Larraíns Biopic »Spencer« über die Prinzessin von Wales bedient diesen Trend. Sehenswert ist sein Film dank der brillanten Kristen Stewart in der Rolle der Diana.

Eine Wagenkolonne aus Jeeps und Transportfahrzeugen rollt durch die Landschaft. Der Korso hält vor einem monumentalen Landsitz. ­Kisten voller Hummer, Pasteten und erlesener Kochzutaten werden ent­laden. Eine Brigade von Köchen marschiert auf und macht sich an die ­Arbeit. Alles läuft wie am Schnürchen. Weihnachten kann kommen; auf Sandringham House in Norfolk wird die königliche Familie die Festtage verbringen.

Unterdessen irrt ein dunkelgrüner Porsche über die verlassenen Straßen der englischen Grafschaft. Am Steuer sitzt Diana, die Prinzessin von Wales (Kristen Stewart). Es ist die Gegend, in der sie als Diana Spencer aufgewachsen ist, aber die Prinzessin erkennt sie nicht wieder. Auch eine Straßenkarte hilft ihr nicht bei der Orientierung, also hält sie an einem Ausflugslokal, um dort nach dem Weg zum königlichen Landsitz zu fragen. Als sie eintritt in die Welt der common people, verstummen alle Gespräche. Diana ist die meistfotografierte Frau ihrer Zeit und wird überall erkannt. Als sie bald darauf auf einem Feld abseits der Straße eine Vogelscheuche entdeckt, nimmt die Frau, die in aller Welt als Stilikone verehrt wird, deren Jacke an sich und hütet sie fortan als Talisman. Mit dieser Szene setzt langsam die Erinnerung Dianas ein – an die Landschaft ihrer Kindheit und die Person, die sie einmal gewesen ist.

Wie schon 2016 im Biopic »Jackie« (über Jackie Kennedy) widmet sich der chilenische Regisseur Pablo Larraín auch in seinem jüngsten Film »Spencer« der Biographie einer prominenten Frau, deren Lebensgeschichte die Massen fesselte.

Wie schon 2016 im Biopic »Jackie« (über Jackie Kennedy) widmet sich der chilenische Regisseur Pablo Larraín auch in seinem neuen Film »Spencer« der Biographie einer prominenten Frau, deren Lebensgeschichte die Massen fesselte. Larraín konzentriert sich dabei auf eine ­Lebensphase des Umbruchs. Im Film lässt er Dianas Unbehagen in der Ehe mit Prinz Charles (Jack Farthing) innerhalb weniger Tage in einen manifesten Willen zum Widerstand umschlagen. Tatsache ist, dass das Weihnachtfest des Jahres 1991 das letzte war, das Diana mit ihrem Ehemann und der königlichen Familie verbrachte. 1992 wurde die Trennung des Paars bekanntgegeben.

Mit ruhigen Einstellungen in opulent ausgestatteten Interieurs und warmem Licht bedient die Filmerzählung zumindest zum Teil das popu­läre Genre der Filme und Serien über die Royals. Wo aber »The Queen« (2006), »The King’s Speech« (2010) oder »The Crown« (seit 2016) vor ­allem als wortmächtige Dramen mit extrem verfeinerter sozialer Inter­aktion daherkommen, verweigert Larraín den Angehörigen seiner könig­lichen Familie weitgehend die Sprache. Geschliffene Reden hält hier niemand. Das Zeremoniell und die Arbeit derjenigen, die für seine Aufrechterhaltung zuständig sind, prägen den Tagesablauf der königlichen Familie. Ständig klopft es an Dianas Tür, ständig wird sie aufgefordert, an den Weihnachtsfestlichkeiten teilzunehmen. Immerzu wollen die Royals mit dem Geschenkeauspacken, dem Essen oder dem Dessert beginnen – und Diana ist die Einzige, die fehlt.

Als Gegenspieler Dianas erweist sich gleich bei ihrer Ankunft der ­Sicherheitschef des Anwesens, Major Alistair Gregory (Timothy Spall). Einem tradierten Weihnachtsritual ­folgend, wiegt er auf einer kostbaren alten Waage jedes Mitglied des Königshauses bei dessen Ankunft und Abreise. Die Gewichtszunahme über die Weihnachtstage gilt als Beweis kulinarischer Freuden.

Über das Scheitern ihrer Ehe mit Prinz Charles, der sie offen mit ­Camilla Parker Bowles betrügt, ist Diana das Vergnügen an hochherrschaftlichen Spielereien ebenso vergangen wie die Freude am Essen. Während die Familie an der Tafel sitzt, hängt Diana in einer weißen Prachtrobe über der Kloschüssel und erbricht das Festmahl. Die Prinzessin leidet an Anorexie und Bulimie. Sie fühlt sich als Gefangene ihrer Bediensteten wie der Konventionen, in die sie hineingeheiratet hat und die sie immer noch binden. Ihre Mädchenträume sind geplatzt; die Einsamkeit als betrogene Ehefrau macht ihr ebenso zu schaffen wie die Verpflichtung, in jeder Situation zu funktionieren.

Nicht zuletzt leidet Diana unter der Kleiderordnung, die für jeden Anlass ein neues Kleid vorsieht. Der Kälte der schlecht beheizten Räume im Schloss, auf dessen langen, hohen Gänge sie keiner Menschenseele begegnet, entspricht die emotionale Kälte am Hof. Der Film zeigt eine Horroratmosphäre ähnlich der des Overlook-Hotels aus Stanley Kubricks »Shining« (1980). Auch scheinen die Wände Ohren zu haben. Alles, was Diana mit ihren beiden Söhnen und ihrer vertrauten Zofe Maggie (Sally Hawkins) bespricht, landet bei Major Gregory, der als Stellvertreter der ­Familie über die Einhaltung der Ordnung wacht. In jeder Sekunde, scheint es, hat er Diana im Blick; immer wieder bestellt er sie zu Gesprächen ein, um sie dazu zu bringen, sich der Hofetikette und dem Protokoll zu fügen und die Abläufe nicht zu stören.

Die Macht der Norm und des Zeremoniells ist ein Leitmotiv des Films, alle Mitglieder des Königshauses sowie deren Angestellte müssen sich den Regularien unterwerfen. In der Küche über den Köpfen der Köche hängt ein Schild mit der Aufforderung, bei der Arbeit leise zu sein, denn, wie es weiter heißt: »They Can Hear You«. Diana, die sich nicht in die vorgegebene Rolle fügen kann und beginnt, an ihre Träume von einst anzuknüpfen, stört die Ordnung der Monarchie. Mit allem, was sie tut, eckt sie an. Den an sie gerichteten Anforderungen will sie nicht genügen, die Wut auf ihren Noch-Ehemann, der seiner Geliebten die gleichen Perlen schenkt wie ihr, kann sie kaum in Zaum halten. Halluzinierte Aus- und Aufbrüche, Gewalt gegen sich selbst und wachsende Freude am Ungehorsam wechseln sich in ihrem unvorhersehbaren Tun ab.

Um die Ängste darzustellen, die ­Diana in ihrer Ehe aussteht, wendet Larraín einen etwas bizarren Kunstgriff an: Nächtens und bei vielen anderen Gelegenheiten lässt er den Geist von Anne Boleyn (Amy Manson) in den Schlossmauern auftreten. Im Schicksal der zweiten Frau Heinrichs VIII., die der König enthaupten ließ, um eine neue Ehe eingehen zu können, wird die Geschichte Dianas ­gespiegelt. Realität und Imagination verschwimmen immer mehr, bis Diana ihren Entschluss, aus dem goldenen Käfig auszubrechen, schließlich ausführt. In einer großen provokanten Geste bündelt sie ihre Wut und beendet das Versteckspiel.

Eine Fabel nach einer wahren Tragödie will Larraín mit seiner brillanten Hauptdarstellerin Kristen Stewart erzählen, wie es auf einer Tafel am Anfang des Films heißt. Seiner Protagonistin ist bewusst, dass sie sich ihr Unglück selbst eingebrockt hat. Sie kennt allerdings auch ihre Qualitäten, weiß, wie sie Menschen und die Medien für sich einnehmen kann, was der Film allerdings nur andeutet. Am Ende jedoch bedarf es nur einer kleinen Geste der Freundschaft und Verbundenheit, um ihr die Kraft zu geben, sich in einem kühnen Manöver aus den Fängen des Protokolls zu befreien und den Entwurf eines guten Lebens gegen die Macht der Ordnung durchzusetzen. Zumindest für den einen berauschenden Filmmoment.

Spencer (GB/D/US/CHI 2021). Regie: Pablo Larraín. Buch: Steven Knight. Darsteller: Kristen Stewart, Jack Farthing, Amy Manson, Timothy Spall, Sally Hawkins. Filmstart: 13. Januar