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Bei Fridays for Future (FFF) verschärft sich der Konflikt zwischen der gemäßigt-reformistischen Strömung und dem linken Flügel.
Es war die jüngste Großdemonstration von Fridays for Future (FFF), der vor allem von Jugendlichen getragenen Protestbewegung, die seit inzwischen fast zwei Jahren regelmäßig für mehr Klimaschutz demonstriert. Knapp einen Monat nach der Bundestagswahl zogen am 22. Oktober mehrere Zehntausend Menschen durchs Berliner Regierungsviertel. Der »Klimastreik« – so nennt FFF seine Demonstrationen, auch wenn sie am Wochenende stattfinden – stand unter dem Motto »Ihr lasst uns keine Wahl«. SPD, Grüne und FDP hatten gerade ihre Koalitionsverhandlungen aufgenommen. Die Parteien versprächen Klimaschutz, hätten aber schon im Wahlkampf gezeigt, dass sie keine echte Antwort auf die Klimakrise liefern wollten, hieß es im Demonstrationsaufruf.
Viele bei FFF werteten die Demonstration als Erfolg. Aber nicht alle: Konstantin Nimmerfroh bezeichnete den »Klimastreik« in Berlin auf Twitter als »Desaster« und »Höhepunkt eines bewegungsinternen Konfliktes«. Der 21jährige ist seit Jahren in der FFF-Ortsgruppe Frankfurt am Main aktiv, er hatte an der Demonstration im antikapitalistischen Block teilgenommen. Auf Twitter schrieb er, die Ordner hätten diesen Block mit spontanen Routenänderungen gegängelt und sogar mit der Weitergabe von Klarnamen an die Polizei gedroht.
Beim Klimastreik in Berlin war auf Transparenten »Baerbock for Future« zu lesen; die damalige Kanzlerkandidatin der Grünen selbst lief bei der Kölner Demonstration mit.
Sprecherinnen der Berliner Ortsgruppe, die die Demonstration angemeldet und maßgeblich organisiert hatte, bezeichneten die Kritik auf Nachfrage der Jungle World als gerechtfertigt, man müsse sich das dringend zu Herzen nehmen. Von systematischen Versuchen, den Block kleinzuhalten, wie von Nimmerfroh angeprangert, könne aber keine Rede sein. Auch sei es nicht in Ordnung gewesen, dass Personen im antikapitalistischen Block sich nicht an den Konsens der Berliner Gruppe halten wollten, keine Pyrotechnik zu zünden.
Doch Nimmerfroh geht es um mehr als nur jene Demonstration. Der Umgang mit dem antikapitalistischen Block sei nur ein Beispiel für den »realpolitischen Kurs« von Teilen der Bewegung, kritisiert er im Gespräch mit der Jungle World. FFF sei gerade dabei, seinen Charakter als soziale Bewegung zu verlieren und sich in eine gewöhnliche Nichtregierungsorganisation (NGO) zu verwandeln. Das Schlagwort »NGO-Kurs« verwendet Nimmerfroh immer wieder – als Chiffre für eine entpolitisierte Strategie, der PR wichtiger ist als grundsätzliche politische Kritik.
FFF kooperiert bereits in den Bündnissen der »Klimastreiks« mit NGOs wie etwa Greenpeace oder Campact. Konstantin Nimmerfroh findet es absurd, dass NGOs der Jugendbewegung die Form des Protests vorschreiben könnten. Seine Frankfurter Ortsgruppe spielt eine zentrale Rolle im linken Flügel von FFF und bringt ihre antikapitalistische Perspektive seit etwa zwei Jahren auch auf Bundesebene ein. FFF hat auf Bundesebene Arbeitsgruppen (AGs) zu verschiedenen Themen. 2020 gründete die Frankfurter Ortsgruppe eine Aktions-AG, um zivilen Ungehorsam als Protestform bei FFF zu etablieren. Seit Mitte vergangenen Jahres sind Vertreter des linken Flügels außerdem in der Strategie-AG involviert, die als wichtigstes internes Forum für politische Grundsatzdebatten gilt. Vor allem dort wird darum gerungen, wie konsequent FFF Kapitalismuskritik üben und nach außen tragen soll.
Dass die Klimakrise es nötig macht, die Wirtschaft grundsätzlich zu ändern, scheint bei FFF Konsens zu sein. Doch die Frage ist, welche Forderungen aus dieser Einsicht resultieren und welche politischen Strategien sich daraus ableiten. »Effektiver Klimaschutz ist in diesem Wirtschaftssystem theoretisch möglich, wird aber nie erreicht werden, weil es darauf ausgelegt ist, genau das nicht zu tun«, meint Nimmerfroh. Um die Klimafrage zu beantworten, brauche es deshalb ein anderes Wirtschaftssystem. Zahlreiche junge Menschen, die sich wie er seit 2019 im Frankfurter Ableger von FFF engagieren, teilten diese Überzeugung, auch in anderen Ortsgruppen gebe es viele, die so denken.
Doch in der Außenwahrnehmung von FFF spielen diese Positionen kaum eine Rolle. Von einem »disconnect« spricht Nimmerfroh deshalb. Er meint, die politischen Ansichten der Basis – also der Ortsgruppen – und das, was von einflussreichen Einzelpersonen auf Bundesebene kommuniziert wird, drifteten immer weiter auseinander. Das liege zum einen daran, dass manche FFF-Vertreterinnen, die eine große Medienpräsenz genießen, gar nicht mehr in einer Ortsgruppe verankert seien. Sie seien aber gut mit NGOs und der Presse vernetzt, weshalb in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehe, ihre Aussagen würden von der ganzen Bewegung getragen. Dazu könnte auch beitragen, dass FFF keine gewählte Bundesführung hat.
Ein weiteres Mitglied der Frankfurter FFF-Gruppe, Peter Odrich, nennt Luisa Neubauer als prominentestes Beispiel für diese Problematik. Die 25jährige Neubauer ist Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen und Sprecherin der wichtigen Kooperations-AG, die die bundesweite Vernetzung mit Unternehmen und NGOs koordiniert. Zudem gilt sie als wichtigste Repräsentantin von FFF in Deutschland, sie sitzt regelmäßig in Talkshows und auf Podien. Im Gegensatz zur Frankfurter Gruppe fordert sie nicht die Abschaffung des Kapitalismus und distanziert sich auch vom Begriff des Sozialismus. Sie spricht nur vage von weitreichenden Änderungen, die nötig seien, um die Klimakrise anzugehen. Diesen Kurs, den Odrich als »radikal-gemäßigt« bezeichnet, verträten auch Teile der einflussreichen Ortsgruppen in Berlin und Hamburg und der Presse-AG.
Der Konflikt zwischen dem linken und dem reformistischen Flügel wurde insbesondere kurz vor der Bundestagswahl deutlich. Diese wurde auf den Social-Media-Kanälen von FFF durchgehend als »Klimawahl« bezeichnet – was offenbar als Aufforderung zu verstehen ist, für den Klimaschutz wählen zu gehen. Bei einer internen Strategiekonferenz habe sich diese Strategie in einer Abstimmung knapp gegen einen maßgeblich von der Frankfurter Gruppe vorangetriebenen »außerparlamentarischen, ungehorsamen« Kurs durchgesetzt, berichtet Odrich.
Während des »Klimastreiks« am 24. September, bei dem zwei Tage vor der Bundestagswahl in Deutschland Hunderttausende auf die Straße gingen, lautete der Tenor auf vielen Plakaten und in Redebeiträgen: Setzt euer Kreuz dort, wo Klimaschutz ernst genommen wird! Auf Transparenten in Berlin war »Baerbock for Future« zu lesen, die damalige Kanzlerkandidatin der Grünen selbst lief bei der Kölner Demonstration mit.
Das Schlagwort von der »Klimawahl« sei nicht mit der Tatsache vereinbar, dass keine der angetretenen Parteien ein Programm vertrete, mit dem das 1,5-Grad-Ziel auch nur annähernd erreicht werden könne, lautet die Kritik aus Frankfurt. Selbst die Befürworter des Klimawahl-Kurses seien nun angesichts der Pläne der Ampelkoalition zum Klimaschutz frustriert und demotiviert, sagt Nimmerfroh. »Es war fatal, von einer Klimawahl zu sprechen.«
Bei der Berliner Ortsgruppe sieht man das anders. Ja, kein Parteiprogramm beinhalte ausreichend Klimaschutz und das müsse auch betont werden. Doch FFF sei es am 24. September darum gegangen, die Leute zum Wählen zu animieren, auch wenn es nur das »kleinere Übel« sei. »Unsere Forderungen kann man auf der Straße unterstützen, doch sie sind leider in noch keinem Parteiprogramm vertreten«, sagt Anna-Lena Füg, Sprecherin der Berliner Gruppe, der Jungle World. Maya Winkler aus derselben Ortsgruppe betont, die Positionen der Grünen seien zwar weit von den FFF-Forderungen entfernt, doch könne man effektiven Klimaschutz mit dieser Partei noch vergleichsweise am schnellsten erreichen.
Radikalere FFF-Mitglieder wie Konstantin Nimmerfroh halten eine andere Strategie für nötig. Es reiche nicht aus, hier und da systemkritische Lippenbekenntnisse abzulegen. Neben einer kapitalismuskritischen Ausrichtung müsse man auch über radikalere Aktionsformen nachdenken. Vertreter sowohl der Berliner als auch der Frankfurter Gruppe bestätigen, dass ein Großteil der Basis mittlerweile Aktionen befürworte, die unter den Sammelbegriff »ziviler Ungehorsam« fallen.
Die Demonstration Ende Oktober in Berlin endete unter anderem mit einer Blockade der SPD-Parteizentrale, an der vor allem der antikapitalistische Block beteiligt war. Vertreter des linken Flügels aus Frankfurt werten die Aktion deshalb trotz der internen Konflikte als Erfolg, auch weil es danach sogar aus Ortsgruppen, die Besetzungen und Blockaden zuvor abgelehnt hatten, Zuspruch gegeben habe. Dass die mediale Empörung nach der Blockade des Willy-Brandt-Hauses ausblieb, die von vielen bei FFF befürchtet worden war, wertet Odrich als Zeichen dafür, dass noch viel radikalerer Protest möglich ist. Stellvertretend für den linken Flügel kündigt er an, dass sich die Quantität und die Qualität der »ungehorsamen« Aktionsformen ändern werden. »Wir wollen – auf verschiedenen Wegen – auch materielle Eingriffe in die fossile Wirtschaft ermöglichen.«