In Österreich werden immer wieder große Waffenlager von Neonazis gefunden

Riesige Waffenlager

In Österreich wurden seit 2019 über 20 Waffenlager von Neonazis ausgehoben. Die Bedrohung, die von diesen ausgeht, nehmen Behörden und Gerichte oft nicht ernst.

»Angesichts dessen blieb vermutlich auch unseren erfahrenen Ermittlern vom #LVT die Luft weg.« So kommentiere die niederösterreichische Polizei am 9. November auf Twitter, dass erneut ein Waffenlager von Neonazis ausgehoben wurde; das LVT ist das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Bei einer Hausdurchsuchung im Bezirk Baden bei Wien fanden die Beamten in der Wohnung eines 53jährigen ein ganzes Arsenal an Waffen und Bomben. Neben zahlreichen Schusswaffen, darunter Maschinengewehre und ein Scharfschützengewehr, wurden 1 200 Kilogramm Munition, sieben Rohrbomben, weiterer Sprengstoff, NS-Devotionalien und einschlägige Literatur sichergestellt. Es war nur der jüngste in einer ganzen Reihe ähnlicher Funde. Seit 2019 wurden in 20 Fällen Waffenarsenale bei österreichischen Neonazis sichergestellt.

Die zahlreichen Waffenfunde der vergangenen zwei Jahre sind wohl nur die Spitze des Eisbergs.

Auf das jüngste Waffenlager sei man im Zuge der Ermittlungen gegen eine Neonazigruppierung gestoßen, die eigenen Angaben zufolge eine »Miliz der Anständigen« gründen wollte. Bei Mitgliedern dieser Gruppierung wurden seit Dezember 2020 wiederholt Waffen und Sprengstoff sichergestellt. Mit den Waffen sollte »möglicherweise eine rechtsradikale Miliz« in Deutschland aufgebaut werden, hieß es dazu vom damaligen österreichischen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Die Gruppierung habe mit Drogen gehandelt und mit den Erlösen ihre Waffenarsenale finanziert.

Eine mutmaßliche Führungsfigur ist der Neonazi Peter Binder. Dieser galt in der Wiener und Berliner Neonazi-Szene schon in den neunziger Jahren als Waffen- und Sprengstoffexperte. Er war in der »Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition« (VAPO) von Gottfried Küssel aktiv, die regelmäßig Wehrsportübungen organisierte. In der Zeit der Briefbombenserie der »Bajuwarischen Befreiungsarmee« (BBA) wurde er gemeinsam mit Franz Radl angeklagt. Das Gericht konnte den beiden zwar keine Beteiligung nachweisen, beim Prozess im Jahr 1995 betonte die Staatsanwaltschaft aber die »bedeutende Rolle« Binders in der neonazistischen VAPO sowie seine »manische Vorliebe« für Sprengmittel und Waffen. Schließlich wurde er wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Ende 2017 wurde Binder an der bayerischen Grenze festgenommen, als er versuchte, Waffen und Suchtmittel nach Deutschland einzuschmuggeln. Es folgten eine Bewährungsstrafe zu zehn Monaten und im Sommer 2018 eine erneute Verurteilung wegen Wiederbetätigung und illegalen Waffenbesitzes. Noch vor Ablauf seiner Haftstrafe wurde Binder dann während eines Freigangs im Dezember 2020 wegen des Verdachts des Waffenschmuggels festgenommen. Er soll Waffen an deutsche Kameraden aus dem Rockermilieu geliefert haben. Die darauffolgenden Durchsuchungen führten die Behörden schließlich zu mehreren Depots an verschiedenen Standorten in Österreich, bei denen ein »Waffenarsenal für eine kleine Armee« (so die Tageszeitung Kurier) entdeckt wurde. Was genau die 14 Angeklagten der »Miliz der Anständigen« aus Deutschland und Österreich mit den gehorteten Waffen vorhatten, ist noch nicht bekannt. Nach eigenen Angaben beabsichtigten sie jedenfalls, »das System zu kippen«.

Ähnliche Vorhaben muss man auch bei anderen Rechtsextremen vermuten, bei denen in den vergangenen Monaten immer wieder Waffen und Sprengstoff gefunden wurden. In der extremen Rechten treibt viele die Vorstellung eines »Tag X« um, an dem der gewaltsame Umsturz vollzogen werden soll. Andere horten Waffen, um auf apokalyptische Untergangsszenarien vorbereitet zu sein.

Das österreichische Waffenrecht ist deutlich lockerer als das deutsche. Viele Schusswaffen können volljährige EU-Bürger auch ohne Waffenschein erwerben. Seit Beginn der Coronapandemie hat der Waffenverkauf in Österreich zugenommen. Die zahlreichen Waffenfunde der letzten zwei Jahre sind wohl nur die Spitze des Eisbergs.

Die Behörden ermitteln oft nicht die Netzwerke, die hinter einzelnen Straftaten oder Waffenfunden stehen. Auch bei Gerichtsverfahren werden die Hintergründe der Taten selten beleuchtet. Dies kritisierte kürzlich eine Broschüre des Kollektivs »Prozessreport« anhand des Verfahrens gegen die »Europäische Aktion«, einer Gruppe von Rechtsextremen und Holocaustleugnern, die im Februar 2021 in Wien wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung und Vorbereitung eines Hochverrats vor Gericht standen. Ihnen wurde vorgeworfen, einen gewaltsamen europaweiten Systemumsturz geplant zu haben. Schon nach drei Tagen endete der Prozess mit einer rechtskräftigen Verurteilung von vier der fünf Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Verbot der Wiederbetätigung. Die Verbindungen zu neofaschistischen Milizen wie der Ungarischen Nationalen Front (MNA) und zu neonazistischen Strukturen in Thüringen und Niedersachsen waren vor Gericht kaum Thema.

Die Behörden ermitteln oft nicht die Netzwerke, die hinter einzelnen Straftaten oder Waffenfunden stehen.

Oft werden rechtsextreme Straftaten in Österreich entpolitisiert und verharmlost, die dahinterstehenden Netzwerke und Strukturen werden kaum beachtet. Stattdessen ist immer wieder von Einzelfällen die Rede, was auch zu milden Urteilen beiträgt. Besonders die rechtsextreme FPÖ tut sich dabei hervor, auch um die regelmäßig in der eigenen Partei auftretenden Naziskandale zu bagatellisieren.

Nun sei es »Zeit für außerparlamentarische Aktivitäten«, ließ der FPÖ-Generalsekretär und Landesparteisekretär der FPÖ Niederösterreich, Michael Schnedlitz, in Wien auf einer großen Demonstration gegen Coronamaßnahmen am 20. November wissen. Zusammen mit anderen rechtsextremen und neonazistischen Gruppen setzt sich die FPÖ inzwischen offensiv an die Spitze der Proteste der Coronaverharmloser. Der Parteivorsitzende Herbert Kickl kündigte an, mit »allen Mitteln« gegen den »Corona-Faschismus« anzutreten. Auf der damaligen Demonstration in Wien, zu der die FPÖ aufgerufen hatte, führten Rechtsextreme stundenlang den Zug mit ihren Bannern an. Der Polizei zufolge nahmen 40 000 Menschen teil. Auch Peter Binders ehemaliger Kamerad Gottfried Küssel mischt bei den Mobilisierungen mit seiner »Corona-Querfront« mit.

Karl Nehammer (ÖVP) sprach in der vergangenen Woche, noch vor seinem Amtswechsel vom Innenminister zum Bundeskanzler, davon, die rechtsextreme Szene sehe die Coronaproteste als »Jahrhundertchance«, um ihre Basis zu verbreitern. Am vergangenen Wochenende kam es in Wien erneut zu einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen mit etwa 40 000 Teilnehmenden. Wieder rief die FPÖ zur Teilnahme auf, wieder waren zahlreiche Rechtsextreme prominent beteiligt.