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<p>Es gibt bekanntlich kein richtiges Leben im falschen.</p>
Es gibt bekanntlich kein richtiges Leben im falschen. Immerhin wird man aber bald die Möglichkeit haben, zwei falsche Leben zu führen, eines wie gewohnt analog und das andere als Avatar im Metaverse. Obwohl Metaverse ein bisschen nach Science-Fiction klingt, handelt es sich bedauerlicherweise nicht um ein Paralleluniversum, in dem irgendetwas nennenswert anders wäre. »Vielmehr ähnelt es einem dreidimensionalen World Wide Web«, erläutert das Wirtschaftsmagazin Fortune, man könne es als »digitales Faksimile der physischen Welt« betrachten. Nachdem man sich einen Avatar zugelegt hat, kann man beispielsweise nach der virtuellen Arbeitskonferenz ins virtuelle Konzert gehen und dort ein virtuelles T-Shirt der Band kaufen, selbstverständlich mit virtueller, also Kryptowährung.
Hier aber beginnen die Probleme. Was tun, wenn man im Microsoft-Universum ein T-Shirt der Lieblingsband des Chefs gekauft hat, um ihm bei der nächsten Konferenz zu schmeicheln, diese aber im Apple-Universum stattfindet? Der Avatar muss mit allen seinen assets übertragbar sein, sonst läuft das Geschäft nicht. Dass die meisten der interessierten Konzerne eine Monopolstellung anstreben, wird die Verhandlungen über gemeinsame Standards nicht einfacher machen. Und wer will überhaupt so ein »Second Life«? Ältere erinnern sich vielleicht noch an diese Simulationswelt, die ab 2003 digital begehbar, aber langweiliger als die des analoge Lebens war. Es soll dort noch knapp eine Million User geben, doch der große Erfolg blieb aus. Da ein durchschnittlicher US-Bürger bereits 2015 täglich 4 000 bis 10 000 Reklamebotschaften ausgesetzt war, dürfte der Metaverse-Markt in dieser Hinsicht kein rasantes Wachstum mehr generieren können. Mittlerweile sind allerdings Non-Fungible Tokens in Mode gekommen, durch Zertifizierung zum Wertgegenstand erhobene Dateien. Derzeit handelt es sich meist um Kunstwerke, aber der Plan ist offenbar, in weit größerem Maßstab virtuelle Statussymbole zu verkaufen. Wer etwas auf sich hält, wird seinen Avatar ja nicht mit digitalen Discounter-Klamotten zur Konferenz schicken.
Das Metaverse, so Fortune, verbindet »work and play«, und das bedeutet im zeitgenössischen Kapitalismus, dass die im Arbeitsleben geltenden Verpflichtungen auch das Freizeitverhalten bestimmen. Nachdem man sich analog und in der digitalen Selbstdarstellung optimiert hat, darf man es nun im zweiten falschen Leben noch einmal tun. Die Aufgabe der am Metaverse interessierten Konzerne besteht also darin, den Avatar für Bourgeoisie und gehobene Mittelschicht zu einem Statussymbol zu machen, so unentbehrlich wie ein Tesla oder ein Instagram-Account, und dann auf den Nachahmungseffekt zu hoffen. Wenn man schon nicht zum Mars mitfliegen darf, kann man ja wenigstens seinen Avatar ähnlich kleiden wie Elon Musk den seinen, und für einen virtuellen Tesla reichen die Kryptotaler vielleicht auch. Immerhin können talentierte Hacker vielleicht Guerilla-Avatare erschaffen, die im Metaverse rebellieren. Im analogen Leben käme man Jeff Bezos ja nie nahe genug, um ihm eine Torte ins Gesicht zu werfen; im Metaverse aber könnte es gelingen.