Afghanische Sportlerinnen konnten ins Ausland fliehen

Rettung für afghanische Sportlerinnen

Schon vor der Machtübernahme der Taliban lebten Frauen, die Sport treiben, in Afghanistan gefährlich. Fast 200 konnten mittlerweile das Land verlassen.

In Afghanistan droht nach wie vor einer großen Anzahl Menschen Verfolgung durch die Taliban-Machthaber. Als gefährdete Gruppen werden immer wieder Künstler, Intellektuelle, Journalisten, Aktivisten und ehemalige Mitarbeiter der Nato-Truppen genannt – in Vergessenheit geraten dabei meist die Sportlerinnen des Landes.

Mit Hilfe der internationalen Spielervereinigung Fifpro war es gelungen, allein am 23. August 77 afghanische Athletinnen und Familienmitglieder in einem Flugzeug außer Landes zu bringen.

Die Interimsregierung der Taliban hält Frauensport wenig überraschend für unangemessen – und schlicht für unnötig. »Ich glaube nicht, dass Frauen Cricket spielen dürfen, weil es nicht notwendig ist, dass Frauen Cricket spielen«, sagte der stellvertretende Leiter der Kulturkommission der Taliban, Ahmadullah Wasiq, in einem Interview mit dem Australischen Sender SBS, als er auf das afghanische Cricketteam der Frauen angesprochen wurde. »Beim Cricket können sie sich einer Situation wiederfinden, in der ihre Gesichter und ihre Körper nicht bedeckt sind. Der Islam erlaubt es nicht, dass Frauen so gesehen werden.«

Neu ist in Afghanistan allenfalls, dass Taliban-Anführer mit westlichen Medien reden; was sie dort sagen, ist altbekannt. Wenn sie nicht gleich lügen, dass sich die Balken biegen: Mitarbeitern der Nato-Truppen, denen in Interviews mit westlichen Korrespondenten in Kabul eine Amnestie versprochen wurde, schnitten Kontrollposten im Umland am Straßenrand die Kehlen durch.

Nach Aussage des Afghanischen Cricketverbands gibt es noch keine offiziellen Anweisungen der neuen Regierung zum Frauencricket, trotzdem habe man alle Programme erst einmal zu suspendieren gehabt. Aber afghanischen Sportlerinnen droht nicht nur ein Betätigungsverbot. Viele von ihnen sind gleichzeitig auch Frauenrechtlerinnen – schließlich haben sie sich ihr Recht, den Sport auszuüben, mühsam und langwierig erstreiten müssen. In der Anfangszeit der Fußballnationalmannschaft der Frauen Afghanistans konnten die Sportlerinnen nur in Militärbasen der Nato trainieren. Dann kam es sogar dort einmal während einer Trainingszeit zu einem Anschlag. Zum Glück war dieses Training kurz vorher abgesagt worden. Von da an hat die Nationalmannschaft auf afghanischem Boden nicht mehr trainieren können, und auch ihre Heimspiele mussten im Ausland stattfinden.

Das in westlichen Medien ausgiebig protokollierte allgemeine Chaos der Evakuierungen betraf auch die Spielerinnen der Frauennationalmannschaft im Fußball mit ihren Angehörigen. Mit Hilfe der internationalen Spielervereinigung Fifpro war es gelungen, allein am 23. August 77 afghanische Athletinnen und Familienmitglieder in einem Flugzeug ­außer Landes zu bringen. Die Gesamtzahl der Geretteten beläuft sich derzeit auf bis zu 200 Personen.

Die früheren Trainerinnen des Teams, Kelly Lindsay und Haley Carter, arbeiten bei der Rettung mit der Kapitänin und Gründerin der Mannschaft, Khalida Popal, zusammen. Jonas Baer-Hoffmann, der ­Generalsekretär der Fifpro, hatte Kontakt zu Popal aufgenommen und anschließend Lindsay informiert. Mitgeholfen hat die Anwältin Kat Craig, die bereits vor drei Jahren afghanische Spielerinnen unterstützt hatte. Damals hatte es gegen Keramuddin Keram, den damaligen Präsidenten der Fußballverbands, eine Untersuchung wegen sexueller Belästigungen, Bedrohungen und Gewalt gegeben, der daraufhin im Juni 2019 von der Fifa gesperrt wurde und sich seiner Verhaftung durch Flucht entzog.

Beginnend am 16. August, einen Tag nachdem die afghanische Regierung vor den Taliban kapituliert ­hatte, versuchten die Helferinnen und Helfer, die Frauen in die Evakuierungslisten eintragen zu lassen, ihnen Visa zu beschaffen und sie dann zum Flughafen zu lotsen. Wie viel Zeit ihnen bleiben würde, wussten sie nicht, deswegen – so berichtete Craig dem Guar­dian – beschlossen sie, jeden Tag so anzugehen, als sei er die letzte Möglichkeit, Menschen außer Landes zu schaffen. Sie fingen mit vier als besonders ­gefährdet eingestuften Fußballerinen an, doch schnell kamen andere Frauen in deren Netzwerk hinzu, darunter Kampfsportlerinnen, Paralympionikinnen und Crossfit-Athletinnen, aber auch Richterinnen, Lehrerinnen, eine Frau, die im mit nach sexuellem Missbrauch traumatisierten Frauen arbeitet, und Journalisten, die über Frauenfußball berichtet hatten. Um überhaupt zum Flughafen zu gelangen, mussten die Frauen mehrere Taliban-Checkpoints passieren; einige wurden verprügelt, andere gerieten in Schusswechsel.

Eine andere Wahl hatten die Athletinnen nicht. Viele waren in Afghanistan ziemlich bekannt und traditionell-muslimischen Verbünden, die in ihrer Nachbarschaft aktiv waren, häufig bereits lange vor der Rückkehr der Taliban ein Dorn im Auge. »Während die Taliban näher kamen, gab es all diese traditionalistischen Gruppierungen, die sich mit den Taliban verbanden«, erklärte Kelly Lindsay später die lebensbedrohliche Situation der Sportlerinnen. »Zu diesem Zeitpunkt wussten wir, dass die Informationen, einschließlich des Standorts von Personen, weitergegeben würden. Später verdich­teten sich Hinweise, dass diese Gruppen buchstäblich an die Türen der ihnen verhassten Aktivistinnen und ihrer Familien klopften.«

Khalida Popal verdeutlichte an einem konkreten Beispiel, wie verzweifelt die Sportlerinnen waren. Sie ­zitierte eine Mitspielerin, mit der sie telefoniert hatte. Diese habe berichtet, dass sie die Waffe ihres Bruders an sich genommen habe und am Fenster sitze, um zu schauen, wer sich ihrer Wohnung nähere. Zu schlafen sei unmöglich: »Wenn die Taliban an meine Tür klopfen, werde ich mir in den Kopf schießen, weil ich mich lieber umbringen möchte, als mich von den Taliban erwischen zu lassen.«

Beim Versuch, zum Flughafen von Kabul zu gelangen, waren die Spielerinnen und die anderen Frauen auf sich allein gestellt. Ihre Dokumente trugen sie versteckt in ihrer Unterwäsche bei sich, ansonsten konnten die Helfer und Helferinnen ihnen nur einen Tipp geben, den Lindsey so wiedergab: »Wenn die Taliban am Kontrollpunkt fragen, was ihr macht, sagt, euer Mann ist drinnen und ihr seid wirklich sehr besorgt, und er wird sehr, sehr wütend, wenn ihr nicht zu ihm kommt. Geratet in Panik, weil euer Mann wütend auf euch ist.«

Gleichwohl gelangte keine der zu Rettenden ohne Zwischenfall zum Flughafen. Die Frauen wurden geschlagen, mit Waffen bedroht, ­abgewiesen und zurückgeschickt. Wenn das Rettungsteam davon ­erfuhr, konnte es nichts tun, außer sie zu motivieren, es noch einmal zu versuchen. Die jüngsten Frauen der Gruppe sind erst 16 Jahre alt. »Das war wirklich hart«, sagte Popal. Manche der Frauen mussten durch offene Kanalisationskanäle klettern, um den Flughafen zu erreichen. Selbst als die Nachricht verbreitet wurde, dass die Flughafentore zugeschweißt würden, wollten die Nachzüglerinnen nicht umkehren.

Nicht alle haben es rechtzeitig zum Flughafen geschafft. Doch aufgeben können und wollen sie nicht. Zwei Wochen nachdem das letzte US-Flugzeug Kabul verlassen hatte, konnte eine weitere Gruppe Sportlerinnen aus Afghanistan fliehen. Insgesamt 96 Fußballnationalspielerinnen, einige Nachwuchsspielerinnen sowie Teammitglieder des letzten afghanischen Meisterinnenteams aus Herat schafften es, mit Hilfe des Vizepräsidenten des pakistanischen Fußballverbands, Sardar Naveed, und mit von der pakistanischen Botschaft ausgestellten kurzfristigen Visa die Grenze nach Pakistan überqueren. Kurz zuvor hatten die Taliban einige der Väter und Brüder der Frauen verhaftet, die sich vor den neuen Machthabern versteckt hatten. Dies den Sportlerinnen mitzuteilen, sei sehr hart gewesen, sagte Khalida Popal dem Guardian: »Sie weinten, sie weinen immer noch. Es war schwierig, sie zur Grenze zu bringen.«