In der Steueroase Luxemburg blickt man nervös auf die Pläne der US-Regierung

Begrüßen und verwässern

Die US-Regierung will gegen Steueroasen vorgehen. Was bedeutet das für Luxemburg, die beliebte kleine Steueroase im Herzen Europas?

Von »Luxleaks« bis »Openlux«: Immer wieder stand Luxemburg bei Finanzskandalen der vergangenen Jahre im Blickpunkt der internationalen Medien, wenn Steuertricks enthüllt oder auf Geldwäsche aufmerksam gemacht wurde. Traditionell wehrt sich die luxemburgische Politik gegen den Vorwurf, das kleine Land sei ein Steuerparadies oder gar »das Schweizer-Armee-Taschenmesser unter den Steuerparadiesen«, wie es der französische Ökonom Gabriel Zucman einmal ausdrückte. Doch seinen Ruf hat Luxemburg nicht ohne Grund.

Die Geschichte des Finanzplatzes Luxemburg reicht länger zurück, als die meisten vermuten. Bereits 1929 erließ die damalige Regierung großzügige Gesetze, um Fondsgesellschaften anzuziehen. Doch nach dem Börsencrash im selben Jahr und der Nazi-Besatzung gerieten diese Gesetze in Vergessenheit. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren nutzten luxemburgische Wirtschaftsanwälte die günstige Rechtslage wieder, um Luxemburg international finanziell zu vernetzen.

Der Impuls kam aus der Privatwirtschaft; die Politik schaute dem Treiben passiv, aber wohlwollend zu, solange es Geld in die Kassen spülte. Erste Skandale, wie die IOS-Affäre Anfang der siebziger Jahre, bei der Tausende von Investoren ihr Geld verloren, blieben nicht aus. Das Firmennetz um die »Investors Overseas Services« (IOS) des Playboys und Unternehmers Bernard Cornfeld war zwar in Panama gegründet worden, die europäischen Firmensitze befanden sich aber in Genf und in Luxemburg.

Trotz solcher Skandale wuchs der Finanzplatz weiter, und zwar nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Breite. Dies unterscheidet das Großherzogtum von den meisten anderen Steuerparadiesen, die nur ein paar Nischen ausreizen – in Luxemburg gibt es von allem etwas: Fondsgesellschaften, große Unternehmensberatungsfirmen, Versicherungen, Transaktionsfirmen, ausländische Großbanken sowie eine Steuerverwaltung und Geschäftsbedingungen, die in der Branche als ausnehmend business friendly bezeichnet werden.

Eines hat das Land aber mit anderen Steueroasen gemein: die Verquickung von Politik und Akteuren des Finanzplatzes. Nachdem die luxemburgische Wochenzeitung Woxx 2018 die Namen von zwei Parlamentsabgeordneten und einem Staatssekretär in den sogenannten Panama Papers – einer 2016 veröffentlichten Datensammlung eines in Panama tätigen Offshore-Finanzdienstleisters – gefunden hatte, wurden diese dennoch wiedergewählt. Auch dass ein ehemaliger hoher Manager des internationalen Wirtschaftsprüfungskonzerns Ernst  oung 2013 eine Regierungsbildung begleitete und später in den luxemburgischen Staatsrat (vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat) berufen wurde und dort an Steuergesetzen mitschreibt, findet kaum jemand anstößig.

Von Amazon bis Pornhub – alle lieben Luxemburg

2014 erschütterte der sogenannte Luxleaks-Skandal das Großherzogtum, bei dem 28 00 Seiten Bescheide der luxemburgischen Steuerbehörde öffentlich wurden. Infolgedessen versuchte Luxemburg, das ramponierte Image wieder zu verbessern. Eine Werbekampagne für das Land und die Mitarbeit bei Programmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wie Base Erosion Profit Shifting (BEPS), das den Steuerwettbewerb eindämmen soll, sowie das schnelle Umsetzen von EU-Richtlinien haben es allerdings nicht vermocht, den Ruf weißzuwaschen. In luxemburgischen Fonds lagern nach einer konservativen Schätzung der »Openlux«-Rechercheure – einem von Le Monde, der Süddeutschen Zeitung, Le Soir, dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), der Woxx und über 20 anderen globalen Medienpartnern gebildeten Team, das Anfang 2021 das luxemburgische Handelsregister durcharbeitete – bis zu 600 Milliarden Euro. Der Vereinigung der Luxemburgischen Fondsindustrie (ALFI) zufolge sind es 548 Milliarden allein in Investmentfonds.

Erst vergangene Woche kam heraus, dass die Firma Amazon EU Sàrl, der ­Sitz von Amazon in Luxemburg, von dem aus der Vertrieb in fast alle europäischen Länder organisiert wird, im vergangenen Jahr zwar einen Umsatz von 44 Milliarden Euro machte, aber keinen Cent Steuern zahlte. Der Trick: Über eine andere Kommanditgesellschaft, die ebenfalls in Luxemburg sitzt, konnte Amazon Europa durch Hin- und Herschieben von Krediten seinen Gewinn zu einem Verlust von 1,19 Milliarden Euro umrechnen und erhielt deshalb noch 56 Millionen Steuerkredit, die der Konzern auf künftige Profite anrechnen kann.

Dass dies trotz der 2016 erlassenen Antisteuervermeidungsrichtlinie der EU immer noch möglich ist, könnte die Zustimmung zu der von der US-Regierung geplanten globalen Steuerreform in Europa steigern. Besonders zwei von deren Zielen könnten das luxemburgische Wirtschaftsmodell gefährden: der Angriff auf die Praxis, Gewinne zum Zweck der Steuervermeidung in Niedrig­steuerländer zu verschieben, sowie der globale Mindestsatz für die Unternehmensteuer, um den diesbezüglichen Unterbietungswettbewerb zu beenden. Beides sind Mittel, mit denen Luxemburg in den vergangenen Jahrzehnten internationale Großkonzerne wie Amazon und Google angezogen hat, aber auch anrüchigere Firmen wie Mind­geek, den weltgrößten Pornoanbieter, dem unter anderem Pornhub und Youporn angehören und der sich in der katholischen Monarchie pudelwohl fühlt.

Besonders der Vorschlag der US-­Regierung, den globalen Steuerwettbewerb mit einem Mindestunternehmensteuersatz von 21 Prozent einzuhegen, wurde weltweit positiv aufgenommen, und zwar überraschenderweise auch in Luxemburg. Der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna sagte der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg, man brauche »mehr Solidarität«, eine Abwärtsspirale bei den Unternehmensteuersätzen müsse unbedingt verhindert werden.

Da drängt sich die Frage auf, wieso der Finanzminister eines Landes, das sich stets bemüht hat, multinationale Firmen und sogenannte HNWIs (high-net-worth individuals) mit Möglichkeiten der Steuervermeidung anzulocken, auf einmal solche Töne von sich gibt. Hat Luxemburg Angst vor dem Druck der USA und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oder wird das Land versuchen, auf Zeit zu spielen? Dass die luxemburgische Regierung den US-amerikanischen Vorstoß nämlich nicht nur begrüßt, sondern auch besorgt über ihn ist, zeigt ein anderes Dokument. Vorige Woche präsentierte derselbe Finanzminister dem luxemburgischen Parlament seinen sogenannten Stabilitäts- und Wachstumsplan. Die Pläne der US-Regierung werden hier in dem Kapitel »Risiken und Unsicherheiten« behandelt.

Angst vor dem Kuddelmuddel

Das sei nur scheinbar paradox, meint der Professor für europäisches und internationales Steuerrecht an der Universität Luxemburg, Werner Haslehner. »Zuerst einmal ist zu begrüßen, dass die USA überhaupt wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren«, sagte er der Jungle World. »Dies kam ein wenig überraschend, nach all den Jahren Abwesenheit unter Obama und Trump. Es ist daher auch keine Überraschung, dass Luxemburg das als Risiko deutet. Jede Veränderung auf internationalem Gebiet ist zuerst einmal ein Risikofaktor.« Was die Abhängigkeit der Luxemburger Wirtschaft von seiner Finanzbranche, insbesondere der Steuerbe­ratung von internationalen Großkonzernen, angeht, so meint Haslehner, dass das Land zwar sehr auf die Körperschaftssteuer angewiesen sei und es problematisch wäre, wenn viele Firmen das Land wegen der Steuerlage verließen. Das werde aber nicht unbedingt eine Konsequenz der Pläne der US-Regierung sein.

Der Finanzexperte Muriel Bouchet vom Think Tank Idea, den die luxemburgische Handelskammer, eine der Lobbyorganisationen des Finanzplatzes, gegründet hat, hofft offenbar, die Initi­ative werde noch verwässert: »Wir wissen ja noch keine Details. Der Steuersatz von 21 Prozent zum Beispiel – auf was bezieht der sich genau? Auch ob so alle Steuernischen geschlossen werden, ist nicht bekannt«, sagte er der Jungle World. Hinzu komme, dass erst einmal der internationale Dialog organisiert werden müsse, was angesichts der unterschiedlichen Werkzeuge von EU und OECD nicht einfach werden könnte. »Im Schlimmsten Fall haben wir nachher ein schreckliches steuerliches Kuddelmuddel, in dem sich niemand, weder Regierungen noch Firmen, wiederfinden wird«, warnt er.

Mit anderen Worten: Luxemburg verfolgt die Pläne der US-Regierung mit einer gewissen Nervosität und sucht bereits nach Wegen, deren Auswirkun­­­gen zu minimieren. In der EU wird das Großherzogtum damit nicht alleine dastehen: Auch in Irland, den Niederlanden, Zypern und Malta wird man sich ähnliche Gedanken machen und zumindest auf EU-Ebene versuchen, den Eifer zu bremsen.