Das Programm der diesjährigen Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen

Sammler und Beobachter

Bei den zweiten online stattfindenden Kurzfilmtagen Oberhausen steht neben der Pandemie das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine im Vordergrund.

Im vorigen Jahr gehörten die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zu den ersten Filmfestivals, die sich mit der durch die Covid-19-Pandemie veränderten Situation konfrontiert sahen. Anstatt 2020 als Unterbrechung des herkömmlichen Festivalbetriebs abzutun, entwickelten die Kurzfilmtage ihr Format weiter – neben dem normalen nationalen und internationalen Wettbewerb fanden zum ersten Mal die neuen Online-Wettbewerbe statt. Auch die diesjährigen Kurzfilmtage werden nicht in Oberhausen, sondern im Internet stattfinden. Während man das Festival unter Pandemiebedingungen erlebt, fallen einem sogleich verschiedene Beiträge auf, die das Virus, die Pandemie und den veränderten Alltag thematisieren.

»Covid Messages« von John Smith ließe sich als Beitrag zu einem eigenen Corona-Subgenre verstehen, das sich ausschließlich dem Parodieren von Pressekonferenzen der Regierungsvertreter widmet. Smith hat Ausschnitte aus Pressekonferenzen aus der 10 Downing Street montiert und gibt mit dem Zusammenschnitt ­seine ganz eigenen Erklärung für das Handeln der britischen Regierung, das mehr mit magischen Ritualen zu tun zu haben scheint als mit rationaler Gesundheitspolitik. Premierminister Boris Johnsons empfiehlt neben dem Händewaschen von einer Dauer von zwei »Happy Birthdays« die Trias »hand, face and space« – diese Tipps werden zu den Mantras einer Regierung, die wegen der Beratung durch einen Chief Magical Advisor an deren Wirkung glaube. Smith stellt diesen exzentrischen Momenten konstant steigende Todeszahlen gegenüber.

Obgleich es zu kurz gegriffen wäre, das Programm auf das übergeordnete Thema Corona herunterzubrechen, kann man sich als Betrachter nicht ganz davon frei machen.

In »Covid Messages« konterkariert Smith Johnsons Worthülsen, lässt die Downing Street zu einem seltsamen Setting werden und erlaubt sich mit neu kontextualisierten Entschuldigungen des Premierministers sogar kathartische Momente. Andere Filme hingegen, wie der tagebuchartige Kompilationsfilm »20-20« der Kanadierin Karen Trask und Adjani Arumpacs Filmessay »Count«, nehmen das Homeschooling, das Warten, Videokonferenzen und To-do-Listen in den Blick. Obgleich es zu kurz gegriffen wäre, das Programm auf das übergeordnete Thema Corona herunterzubrechen, kann man sich als Betrachter nicht ganz davon frei machen.

Mit der Einblendung »Gedreht im Frühjahr 2020« endet der beeindruckende Debütfilm »De-Collage« der Teheraner Regisseurin Erphaneh Sadeghzadeh. Zwei Freunde trennen sich. Der eine wird ins Ausland gehen, der andere bleibt im Iran zurück. Während des Frühstücks weicht jeder auf seine Weise einem Gespräch über Gefühle aus, beim Haareschneiden verpasst der eine dem anderen eine Frisur als trotziges Abschiedsgeschenk. Obwohl die beiden attraktiven Männer in dem offiziellen Programmtext als Mitbewohner bezeichnet werden, lässt sich »De-Collage« als eine queere Liebes- beziehungsweise Trennungsgeschichte aus dem Iran verstehen. Der junge Mann wäre demnach nicht nur als Tänzer von den restriktiven Gesetzen des Iran betroffen, in dem schwule »Verfehlungen« hart bestraft werden. Auch wenn »De-Collage« vor allem aus diesem Hintergrund Kraft zieht, handelt der Film zugleich von einer ­allgemeingültigen menschlichen Geschichte.

Im Gegensatz dazu scheinen viele Filme der diesjährigen Kurzfilmtage den Menschen hinter sich lassen zu wollen. Jayne Parker zum Beispiel versucht in »Triforium«, in einer menschenleeren und den Besuchern nicht zugänglichen Galerie in der Londoner Westminster Abbey ein Gefühl von religiöser Erhabenheit einzufangen.

Su Zhongs »8’28’’« beginnt mit Bildern von Verkehrsunfällen, die Überwachungskameras aufgezeichnet haben. In einer langen Fahrt entfernt sich die Kamera langsam von den Monitoren, auf denen diese entsetzlichen Aufnahmen zu sehen sind, hin zu Getrieben, Zahnrädern und anderen ausgetüftelten Maschinen, die wie geschlossene Systeme zu funktionieren scheinen. Sobald der Mensch ausgeschaltet worden ist, kann die Maschine endlich für sich sein, die letzten Menschen bewegen sich lediglich in ihrem Takt. Der Titel verweist denn auch nur auf die Laufzeit des Films.

Das Motiv der vom Menschen unabhängigen Maschine ist in vielen Filmen präsent, zum Beispiel in »feminism is a browser_materialisation« und »My Favorite Software Is Being Here«, deren Protagonistinnen an die Maschinenfrauen der Romantik erinnern. Die »Cyber-Entität« Yeva, deren neonfarbene Haare an den Cyberpunk der neunziger Jahre erinnern, verlässt ihre digitale Umgebung, um ihre realen »Mütter« zu treffen – diese Handlung rahmt Charlotte Eiflers Zeitzeugenprojekt »feminism is a browser_materialisation«, in dem Netzpionierinnen wie Perry Bard und Diana McCarty zu Wort kommen.

Nach einer langen Fahrt auf einer Sitzecke, die von oben betrachtet wie das rote Kameraauge des Computers HAL 9 00 aus Stanley Kubricks »2001. A Space Odyssey« wirkt, stellt sich in Alison Nguyens »My Favorite Software Is Being Here« Andra8 vor, die verspricht, als Avatar den Menschen Arbeiten abzunehmen, damit sie sich den Dingen zuwenden können, die sie gerne machen: »You can return to the things you like. What do you love? Share in the comments below!« Andra8 lebt von der permanenten »content creation« des Internets; werden ihre Daten weniger, so wird sie auch schwächer und muss sich auf einer Lays-Chipstüte aus­ruhen.

Wie kann der Mensch diese Bühne wieder betreten? Im Oberhausener Programm tut er es durch die Hintertür, nämlich als Sammler und Beobachter. Der geniale niederländische Minimalist Bernard Lier folgt in dem programmatisch betitelten Film »Een man in het licht van zijn schaduw« (»Ein Mann im Licht seines Schattens«) einem Mann beim Blättern durch ein Buch in gleißender Nachmittagssonne. Der Film verströmt ansteckende Gelassenheit.

Dass das größte Glück eines Films in der ruhigen, heiseren Stimme seines erzählenden Protagonisten liegen kann, beweist Sam Williams »See What I See« über den norwegischen Künstler und Sammler Guttorm Guttormsgaard, der auf die Kleinigkeiten in seinem Haus hinweist, auf das Nebeneinander von Wasser, Holz und Papier. Ob er zu leise sei, fragt der hochbetagte Mann vorsichtig nach. Vor dem Hintergrund großer Themen wie Pandemiebekämpfung oder ­Digitalisierung erscheint der Sammler weltentrückt und eskapistisch.

Gerade durch die kleinen Gesten entfaltet sich in einigen Filmen Beeindruckendes. In Alžběta Bačíkovás »Slavnostní problém« (»Lavish Issue«) bewegt sich die Roma-Aktivistin Edita Stejskalová durch die von Adolf Loos entworfene Villa Müller in Prag. Sie erzählt von dem modernen Wohnblock, in dem sie aufwuchs. In diesem waren die Geräusche der Bewohnerinnen und Bewohner über alle Stockwerke zu hören, was in krassem Gegensatz zur Stille der Villa steht. Wie unangenehm diese von der Architektur eingeforderte Ruhe für einen Menschen sein kann, macht sie durch ihre aus hartem, festem Plastik gefertigte schwarze Jacke deutlich. Bei jeder Bewegung wird die Villa von einem knisternden Geräusch erfüllt, was die von dem Nationaldenkmal geforderte Zurückhaltung konterkariert. Stejskalová behauptet als Mensch ihre Präsenz. Größerer Lärm scheint augenblicklich eh nicht möglich zu sein.

 

Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen finden vom 1. bis zum 10. Mai statt, das Programm kann unter kurzfilmtage.de abgerufen werden.