Der Bluttest auf Trisomie wird zur Kassenleistung

Kein Grund zum Feiern

Am 21. März wurde der Welt-Down-Syndrom-Tag gefeiert, während die vorgeburtliche Suche nach dem Down-Syndrom in Deutschland bald zur Kassenleistung werden soll.

Weltweit gibt es etwa sieben Millionen Menschen mit der genetischen Besonderheit Trisomie 21, dem Down-Syndrom. Sie gelten als einfühlsam und lebensfroh, sind medial präsent als Models, Schauspielerinnen und Schauspieler. 2012 haben die Vereinten Nationen den 21. März offiziell als Welt-Down-Syndrom-Tag anerkannt und damit ein klares Zeichen für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Trisomie 21 gesetzt. Ebenfalls seit 2012 ist der Nicht­invasive Pränataltest (NIPT) in Deutschland auf dem Markt. Dieser Test filtert die DNA des Fötus aus der Blutprobe einer schwangeren Person und untersucht das fötale Erbgut auf genetische Varianten. Noch muss der Test in der Regel von den werdenden Eltern selbst gezahlt werden, das soll sich aber bald ändern. Die Tests können erhöhte Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen der Trisomien 13, 18 und 21 finden, das genetische Geschlecht feststellen sowie Hinweise auf zahlenmäßige Varianten der Geschlechtschromosomen, wie zum Beispiel das Klinefelter-Syndrom, bei dem ein männlicher Chromosomensatz mit einem zusätzlichen X-Chro­mosom vorliegt (XXY). Manche Firmen bieten auch die Untersuchung seltenerer genetischer Varianten an.

Das Down-Syndrom wurde zu einer Art Marker-Behinderung, an der sich die medizintechnische Entwicklung im Bereich der Pränataldiagnostik ablesen lässt.

Ein großer Teil der heutzutage zur Verfügung stehenden pränataldiagnostischen Verfahren zielt darauf ab, ge­netische Normabweichungen zu finden. Diese Tendenz ist nicht neu. Seit vor­geburtliche Untersuchungen technisch möglich sind, wird nicht nur versucht, die embryonale und fötale Entwicklung und Gesundheit zu kontrollieren und zu verbessern, sondern von Anfang an ging es auch darum, Beeinträchtigungen vor der Geburt zu erkennen. Das Down-Syndrom wurde zu einer Art Marker-Behinderung, an der sich die medizintechnische Entwicklung im Bereich der Pränataldiagnostik ablesen lässt. Die Trisomie 21 kommt verhältnismäßig oft vor, betroffene Föten entwickeln sich häufig zu lebensfähigen Kindern, anders als beispielsweise bei den Trisomien 13 und 18. Zudem sind Trisomien technisch vergleichsweise leicht zu erkennen, weil drei Chromosome statt wie üblich ein zweiteiliger Chromosomensatz vorliegen. Bereits im Jahr 1962 – nur zwei Jahre nachdem die US-Amerikaner Mark Steele und Roy Breg entdeckten, dass im Fruchtwasser fötale Zellen enthalten sind, die man im Labor vermehren und untersuchen kann – konnten Humangenetiker das Down-Syndrom erstmals mittels einer Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) diagnostizieren. Im Lauf der Zeit wurden die Verfahren technisch verbessert und neue kamen hinzu.

Ein weiteres bekanntes Beispiel aus dem breiten pränatalen Untersuchungsangebot für die vorgeburtliche Suche nach Föten mit Trisomie 21, mit dem werdende Eltern sich auseinandersetzen müssen, ist die Nackenfaltenmessung mittels Ultraschall, die Ärzte und Ärztinnen meist im Rahmen eines Ersttrimesterscreenings anbieten. Seit der NIPT auf dem Markt ist, stellen ­Gynäkologinnen und Gynäkologen das Down-Syndrom immer häufiger und früher in der Schwangerschaft fest. Die Zahl der mit Trisomie 21 geborenen ­Babys sinkt europaweit. In Ländern wie Dänemark, in denen der Test als allgemeines Screening eingesetzt wird, kommen kaum noch Kinder mit Down-Syndrom zur Welt. Der Test setzt die Ausweitung und Normalisierung der Pränataldiagnostik fort. Vorgeburtliche Untersuchungen zu nutzen wird zunehmend als verantwortungsvolles Verhalten werdender Eltern gerahmt. ­Allein die Existenz dieser Tests signalisiert werdenden Eltern, dass Geburten von Kindern mit Behinderung – zumindest teilweise – vermieden werden können. Eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung wird dieses Signal noch verstärken.

Die Kritik von Betroffenen wird nur selten gehört, dabei wäre es dringend nötig, das vorherrschende defizitorientierte Bild von Behinderung endlich durch ein realistisches zu ersetzen. Die Annahme, ein Leben mit Behinderung sei leidvoll und unglücklich, ist ein wenig hinterfragtes Vorurteil, das weit entfernt ist von der Wahrnehmung Betroffener und ihrer Familien. Arthur Hackenthal, der mit dem Down-Syndrom lebt, sagt dazu: »Das Down-Syndrom ist keine Krankheit. Wir leiden nicht am Down-Syndrom. Wir sind einfach normal, wie jeder andere auch.«

Firmen, die den NIPT anbieten, werben damit, dass es ein »sicherer Test ohne Risiko für das Kind« sei. Ein positives Testergebnis kann jedoch für werdende Eltern eine unsichere Situation erzeugen. Für genetische Varianten gibt es keine Therapie. Der vorgeburtliche Befund geht also nicht mit einer Behandlungsmöglichkeit einher, wie es bei anderen, medizinisch sinnvollen vorgeburtlichen Untersuchungen der Fall ist. Auch Aussagen hinsichtlich des Ausprägungsgrads der Beeinträchtigung und der Lebensqualität des potentiellen Kindes sind nach wie vor nicht möglich. Zudem kommt es insbesondere bei jungen Schwangeren zu falsch-positiven Testergebnissen – in der Gruppe von 25- bis 29jährigen Schwangeren ohne Hinweise, beispielsweise aus einer Ultraschalluntersuchung, auf eine erhöhte Wahrscheinlich für eine Trisomie 21 beim Fötus, ist ­eines von drei Testergebnissen falsch-positiv. Wer nach einem auffälligen NIPT eine sichere Diagnose haben möchte, muss eine Fruchtwasseruntersuchung vornehmen lassen, die eine Fehlgeburt auslösen kann.

Kritik am NIPT gab es bereits vor seiner Zulassung in Deutschland. 2019 ­bekam diese Kritik wieder mehr Aufmerksamkeit, als im April der Bundestag auf Initiative zahlreicher Abgeordneter aus verschiedenen Fraktionen eine Orientierungsdebatte zum NIPT führte. Die meisten Rednerinnen und Redner stimmten der geplanten Kassenzulassung zu, argumentierten aber ­gegen ein Screening auf das Down-Syndrom für alle Schwangere und für mehr Inklusion. Im September beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das oberste Entscheidungsgremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, die Kostenübernahme für den NIPT auf Trisomien durch die gesetzliche Krankenversicherung. In seiner Pressemitteilung zum Beschluss sprach der G-BA sich explizit gegen ein Screening auf Trisomien aus, da dieses ethisch nicht vertretbar sei – der Beschluss selbst spricht jedoch eine andere Sprache. Die im Beschluss vorgesehene Änderung der Mutterschaftsrichtlinien schafft die Grundlage für ein pränatales Screening auf das Down-Syndrom. Denn darin heißt es: »Der Test kann durchgeführt werden, wenn er geboten ist, um der Schwangeren eine Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Situation hinsichtlich des Vorliegens einer Trisomie im Rahmen der ärztlichen Begleitung zu ermöglichen.« Wenn die ­werdenden Eltern es möchten und die schwangere Person angibt, so einen Test für ihre individuelle Auseinandersetzung zu brauchen, kann der Test also als Kassenleistung abgerechnet und in Anspruch genommen werden.

Hackenthal sagte auf der Kundgebung »Inklusion statt Selektion« im September 2019 in Berlin, er sei »sehr wütend und enttäuscht vom G-BA«. Damit machte das Gremium klar, »dass sie denken, dass Menschen mit Down-Syndrom kein lebenswertes Leben haben. Das stimmt nicht! Das ist Dis­kriminierung. Ich fühle mich dabei schlecht.«

Der Berufsverband der Frauenärzte prognostiziert, dass nach Inkrafttreten des Beschlusses 90 Prozent aller Schwangeren den Test in Anspruch nehmen werden. Ein breites ­zivilgesellschaftliches Bündnis aus Elternvereinen, Selbstvertretungen behinderter Menschen, pränatalen Beratungsstellen, Medizinern und anderen Un­terstützerinnen hat sich anlässlich der kurz bevorstehenden Kassenzulassung des Tests ­erneut an den G-BA und den Deutschen Bundestag gewandt und ein Aussetzen des Verfahrens gefordert.

Corinna Rüffer, die behinderten­politische Sprecherin der Bundes­tags­frak­tion von Bündnis 90/Die Grünen, brachte ihre Kritik bereits in der Orientierungsdebatte 2019 auf den Punkt: »Wir leben in einer Gesellschaft, die leider immer noch außerordentlich ungeübt ist im Umgang mit Behinderungen. Dafür ist sie geübt in der Erwartungshaltung nach Leistungsfähigkeit und Gesundheit.« Diese Erwartung geht klar zu Ungunsten von Menschen mit Behinderung. Der NIPT auf Trisomie 21 und seine Einstufung als Kassenleistung belasten Menschen mit Down-Syndrom und sind Ausdruck eines negativen Bilds von Behinderung. Darüber kann auch das Feiern von Menschen mit dieser Beeinträchtigung einmal im Jahr nicht hinwegtäuschen.