Small Talk mit einem Göttinger Antifaschisten über das Gedenken an Alexander Selchow

»Die Umbenennung kann nur der erste Schritt sein«

Small Talk Von Markus Winter

In der Silvesternacht jährte sich der Mord an Alexander Selchow zum 30. Mal. Der 21jährige war am 1. Januar 1991 kurz nach ­Mitternacht in Rosdorf nahe Göttingen auf offener Straße von zwei 17jährigen Neonazis aus dem Umfeld der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) erstochen worden. Göttinger Antifaschisten nahmen den Jahrestag zum Anlass, um symbolisch an Selchow zu ­erinnern. Einer von ihnen hat mit der »Jungle World« gesprochen.

Weshalb wurde Alexander Selchow vor 30 Jahren getötet?

Die Täter kamen von einer Silvesterparty von Neonazis und wollten »herumschwirrende Linke durchklopfen«, wie sie später aussagten. Alex war zwar Nazigegner, aber er wurde wohl zufällig zu ihrem Opfer. Er kleidete sich als »Grufti« und passte somit nicht in ihr Weltbild. Die Neonazis waren unter dem FAP-Kader Karl Polacek ideologisch geschult und im Straßenkampf ausgebildet worden. »Wir haben einen erwischt«, sollen sie nach der Tat stolz erzählt haben.

Ein Jahr zuvor war bereits die Antifaschistin Kornelia »Conny« Wessmann auf der Flucht vor der Polizei in Göttingen von ­einem Auto erfasst worden und ums Leben gekommen. Was geschah nach den beiden Todes­fällen?

Die achtziger Jahre waren in Südniedersachsen geprägt von neonazistischer Gewalt und antifaschistischer Gegenwehr. Die Tode von Conny und Alex sind Mahnung und Erinnerung an diese Zeit. Tausende gingen damals auf die Straße, weil nicht noch mehr sterben sollten und der Staat nichts unternahm. Die Polizei wollte von einer organisierten rechten Szene nichts wissen und sprach nur von einer Handvoll ­jugendlicher Skinheads. Erst der Mord an Alex führte dazu, dass niemand mehr die Augen vor der alltäglichen Gewalt verschließen konnte. Die Täter kamen dennoch mit vergleichsweise milden Strafen davon.

In diesem Jahr haben Sie und andere an Alexander Selchow ­erinnert. Was haben Sie getan?

Wir haben am Silvestertag die Friedensstraße, in der Alex damals umgebracht wurde, eigenhändig in Alexander-Selchow-Straße umbenannt. Dazu haben wir mit Kerzen und Plakaten einen Ort des Gedenkens geschaffen. Andere haben Poster verteilt, auf denen die Geschichte des Mordes nacherzählt und in Erinnerung gerufen wird. Die linke Göttinger Radiosendung »Kein Schlussstrich« brachte außerdem einen Beitrag zum Thema.

Wie steht es darüber hinaus mit dem Gedenken?

Es gibt praktisch keine andere Form des Gedenkens. Antifaschis­tische Gruppen erinnerten in den ersten Jahren mit Kundgebungen an Alexanders Tod, zuletzt im Jahr 2011. Aber in Göttingen und Rosdorf wissen nur noch wenige über die Ereignisse vor 30 Jahren Bescheid. Das liegt auch daran, dass offizielle Stellen das Gedenken verweigern. Der Mord an Alexander Selchow ist bislang nicht als politisch rechte Straftat anerkannt. Vor knapp zwei Jahren bestätigte das niedersächsische Innenministerium, dass sich daran nichts ­ändern soll.

Was stellen Sie sich für die Zukunft vor?

Wir fordern, dass die von uns nur symbolisch vorgenommene Straßenumbenennung Wirklichkeit wird. Wir werden uns mit diesem Anliegen bald an den Rosdorfer Bürgermeister wenden. Es braucht einen Ort in Rosdorf, der an den Mord erinnert und über die Hintergründe aufklärt. Dafür kann die Umbenennung in Ale­xander-Selchow-Straße nur der erste Schritt sein; auch in Göttingen sollte es einen Ort der Erinnerung geben. Klar ist, dass die Tat endlich als rechter Mord anerkannt werden muss. Sie muss in den offiziellen Statistiken auftauchen, um das tatsächliche Ausmaß rechter Gewalt aufzuzeigen. Wir wollen zukünftig in jedem Jahr an Alexanders Tod erinnern.