Der wirklich letzte linke Kleingärtner

Bye Bye Love

Kolumne Von Roland Röder

Abschiedsgrüße aus dem Garten. Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, letzter Teil.



Dies ist die letzte Gartenkolumne in der Jungle World. Am Erscheinungstag, dem Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2020, ist Schluss mit Ackerbau und Viehzucht in dieser Zeitung. Seit Februar 2016 quälte der letzte linke Kleingärtner Leser und Leserinnen sowie bearbeitende Redakteure mit Geschichten aus einer Welt, mit der die politische Linke weiterhin fremdelt – sofern sie überhaupt ein Verhältnis zu ihr hat. Über Landwirtschaft und Agrarpolitik hat sich die Linke in den vergangenen Jahrzehnten wenig bis gar keine Gedanken gemacht, und so bleibt es auch. Fortan ist wieder mehr Platz für die richtigen und wichtigen linken Themen und Analysen. Und es wird hier viel seltener die Rede sein von Bob Dylan sein, Bonnie Raitt, kleingärtnerische Heimatgefühle und ein Musikgeschmack fernab vom innerlinken subkulturellen Kodex werden gar nicht mehr vorkommen.

Aber immerhin, es gab fast fünf Jahre lang eine Gartenkolumne in einem linken Periodikum. Das ist schwer preisverdächtig und nötigt allen Beteiligten Respekt ab: den Lesern und Leserinnen sowie den Redakteuren, die die mäandernden Geschichten vom Kartoffel- und Kohlanbau, von geraden und weniger geraden Erbsen- und Möhrenreihen sowie von lebenden und toten Hühnern ertragen mussten. Und mir, dem großen Kleingärtner, der wusste, dass er für ein schwieriges Publikum schrieb, das ihn trug und ertrug. Dafür sage ich danke.

Ich habe mir redlich Mühe gegeben, jeden und jede zu beleidigen und in den Schmutz zu ziehen: Ökos, Metropolenlinke, Bios, Veganer, Kämpfer für dies und das, Mitmenschen, Verbraucher, Nachbarn. Alle habe ich sie nach den Regeln der kleingärtnerischen Kunst gemobbt, niemand wurde vergessen. Meine Unfehlbarkeit zeigt sich in der Praxis.

Warum wird die Kolumne eigentlich eingestellt? Dies hat garantiert mit der innerlinken Langeweile und Erfolglosigkeit zu tun. Das fühle ich. Und Gefühle sind wichtig, was ich ebenfalls fühle. Mir ist es nicht gelungen, diese Zielgruppen nachhaltig und bleibend in den Senkel zu stellen. Immer wieder konnten sie sich aus meiner Umklammerung befreien. Mit der Zeit summierte sich dies zu einer Erfolglosigkeit, die tonnenschwer auf meinem Gemüt lastet.

Wer hat die Einstellung entschieden? Die Redaktion, wer sonst. Also die Chefetage oder so ähnlich. Nein, in linken Zusammenhängen sagt man eher Kollektiv oder Team – früher, aber wirklich nur früher, war es das unfehlbare Zentralkomitee. Bei den bösen Kapitalisten, was unsereiner ja nie sein will, ist dies einfacher. Dort entscheidet der Chef. Fragen werden entweder nicht gestellt oder auf das nächste Achtsamkeitsseminar verschoben, was man bei guter Führung, gemeint ist gute Arbeitsleistung, schon mal bezahlt bekommt, damit alles bleibt, wie es ist.

Am linken Fremdeln mit der Landwirtschaft ändern auch Ökos nichts, selbst wenn sich mal ein linker Gedanke in ihr Vokabular verirrt. Die haben mit Politik und Ökonomie so viel zu tun wie der Veganer mit dem Wiener Schnitzel. Man kennt sich vom Sehen, mehr nicht. Man hält Distanz und belässt es beim moralisierenden Gezwitscher von der heilen Biolandwirtschaft und dem bösen Monster der Agrarindustrie.

Das zeigt sich jedes Jahr bei der Demonstration »Wir haben es satt« des Agrarbündnisses »Meine Landwirtschaft«, in dem ich für die Aktion 3. Welt Saar e. V. mitwirke. Mit schlafwandlerischer Sicherheit wachen die braven Ökos darüber, dass dort der letzte linke Kleingärtner nicht reden darf. Auch für die pandemiebedingte Rumpfkundgebung, die am 16. Januar stattfinden soll, bleibt es bei dem Auftritts- und Redeverbot. Da lassen die Ökos nicht mit sich spaßen, verzichten auf die ansonsten geliebte Vielfalt und halten die Reihen ökologisch-dogmatisch geschlossen. Etwas Linkes kommt einem gesunden deutschen Öko nicht in die Tüte.

Was macht der letzte linke Kleingärtner nach dem Ende der Gartenkolumne? Nun, gegessen wird immer. »Erst kommt das Fressen, dann die Moral«, wusste Bertolt Brecht. Ich bleibe im Geschäft und kümmere mich weiter um die Ernährung der Menschheit. Aber mit der Gartenkolumne werde ich zum Migranten, suche mir einen Schlepper, dem ich mich andiene und dem ich für Bares oder gegen Naturalien eine teure Fahrkarte nach Nirgendwo abkaufe. Aber welche linke Publikation will schon eine Gartenkolumne, die mehr liefert als reine Pflanzentipps? Letzteres könnte man noch im Öko-Blätterwald unterbringen. Mist, als Linker steht man sich mit seinen Gedanken zu Politik und Ökonomie immer selbst im Weg.

Und in das große Finale, das ich in meiner inneren Einöde begehe, lasse ich den wundervollen Song »Bye Bye Love« der Everly Brothers hineinplätschern, allerdings in der Version des großartigen David Lindley mit seiner Kapelle El Rayo-X: »Bye bye love, bye bye happiness, hello loneliness, I think I’ma gonna cry. Bye bye love, bye bye sweet caress, hello emptiness, I feel like I could die.«

In diesem Sinne, haltet Euch munter. Ich denke an Euch und komme auch zu einer Lesung. Unkraut, Kräuter, Anarchie und Autonomie vergehen nicht. Versprochen. Großes Kleingärtnerehrenwort.