Die Republikanische Partei in den USA nähert sich dem Modell der »illiberalen Demokratie«

Woher der Wind weht

Kommentar Von Jörn Schulz

Die Unterstützung der Republikaner für Donald Trump zeigt, dass die Partei sich einem autoritären Modell der »illiberalen Demokratie« nähert.

Demokraten in den USA und besorgte Beobachter in aller Welt konnten vergangenen Donnerstag nach etwa eineinhalb Stunden erleichtert aufatmen. In der letzten Fernsehdebatte mit Präsident Donald Trump am 22. Oktober wirkte der Herausforderer Joe Biden zwar einige Male etwas fahrig, doch immer fing er sich nach wenigen Sekunden wieder und gab Trump somit nicht die Chance, ihn als dementen Greis zu verhöhnen.

Weitgehend unbemerkt blieb, dass der demokratische Präsidentschaftskandidat von »complete zero emissions by 2025« sprach und damit aus Versehen den ambitioniertest möglichen Zeitplan für den Klimaschutz verkündete. Die korrekten Zahlen seines Programms nannte Biden wenige Minuten später: Dekarbonisierung der Energieproduktion bis 2035, Klimaneutralität bis 2050. Da dieser Übergangsprozess zum Verschwinden der Branchen führen dürfte, die fossile Brennstoffe herstellen, witterte Trump eine Chance: »Er wird die Ölindustrie zerstören. Wirst du dich daran erinnern, Texas?«

Aber ist Texas ohne Bohrtürme wirklich so unvorstellbar wie J. R. Ewing ohne Stetson? Einer im Juni veröffentlichten Umfrage des Pew Research Center zufolge befürworten 79 Prozent der Befragten, der Entwicklung alternativer Energien Priorität einzuräumen. Auch im Lone Star State weht inzwischen ein anderer Wind. Im Jahr 2019 hat Texas Windenergieanlagen mit einer Leistung von 28 000 Megawatt errichtet und würde mit dieser Kapazität als unabhängiger Staat zwischen Deutschland und Spanien weltweit den fünften Platz belegen – eine Entwicklung, die in den neunziger Jahren unter dem damaligen republikanischen Gouverneur und späteren Präsidenten George W. Bush begann. »Es ging nicht um Klimawandel oder Ideologie, es war rein ökonomisch«, sagt Robert Stavins, Ökonomieprofessor an der Harvard University.

Der Streit über die Klimapolitik ist symbolisch für die Konfrontation in dieser Wahl. Biden hat einen Plan, über den man im Detail streiten kann, der aber den einzigen im Kapitalismus möglichen Weg aufzeigt, mittels staatlicher Investitionen den Klimaschutz mit der Schaffung von neuen Industrien und Millionen Arbeitsplätzen zu verbinden. Trump appelliert an das Ressentiment und die Sehnsucht nach der Rückkehr zu einem romantisierten »wahren Amerika«. Nicht weil sie wirtschaftlich unentbehrlich wären, sondern weil sie für Pioniergeist und Schweiß auf der muskulösen Männerbrust stehen, sollen die Bohrtürme weiter pumpen.
Nicht nur in der Klimapolitik hat Trump die Mehrheit der US-Bevölkerung gegen sich. Dennoch könnte er die Wahl gewinnen, und dies nicht nur, weil es nicht auf die landesweite Mehrheit der einzelnen Stimmen ankommt, die ja bereits Hillary Clinton 2016 ­gewann, sondern auf die Ergebnisse in einigen wenigen Bundesstaaten. Obwohl die Zahl der Dissidenten unter prominenten Republikanern langsam wächst, hat Trump die Partei weiterhin unter Kontrolle und kann von ihrer Autorität und vermeintlichen Seriosität profitieren. Einer am Montag veröffentlichten Untersuchung des V-Dem Institute der Universität Göteborg zufolge waren die Republikaner 2018 »weit illiberaler als fast jede regierende Partei in einer Demokratie«, sie glichen immer mehr Parteien wie der ungarischen Fidesz und der türkische AKP.

Die Republikaner stellen nunmehr ideologische Ziele über die »wirtschaftliche Vernunft«, de facto die Vertretung von Unternehmerinteressen, und bemühen sich nicht mehr, wie noch unter Bush, um die Integration von Minderheiten mittels eines übergreifend geteilten konservativen Wertesystems. Kürzlich twitterte Mike Lee, republikanischer Senator für Utah: »Wir sind keine Demokratie.«

Tatsächlich ist die Staatsform der USA die Republik, und die Ausweitung des Wahlrechts musste mühsam und blutig erkämpft werden. Nun wollen die Republikaner das Wahlrecht für unliebsame Bevölkerungsgruppen wieder einschränken (siehe Interview mit Kat Calvin). Wenn dies gelingt und die Republikaner das archaische Wahlsystem, das ländlichen Regionen Überrepräsentation garantiert, geschickt nutzen, könnte ihnen ein landesweiter Stimmenanteil von 40 Prozent genügen, um den Kongress und das Weiße Haus zu kontrollieren. Immerhin besteht die Hoffnung, dass die konservative Basis vernünftiger ist als die Führung der Republikaner. Das traditionell republikanische Texas gilt mittlerweile als swing state, einer Umfrage der US-amerikanischen Statistikseite »Five Thirty Eight« vom Montag zufolge liegen Trump und Biden dort mit jeweils 47,5 Prozent gleichauf.