Homestory #23

Die Reichweite, die Reichweite, die verdammte Reichweite – die Sorge um sie treibt Medienproduzenten derart um, dass eine ganze Branche damit beschäftigt ist, Fernsehsendern, Radiostationen, Zeitungsverlagen und Betreibern von Websites Aufschluss darüber zu liefern, wie viele Personen das jeweilige Erzeugnis konsumieren. Und da sich Medienanalysten gut bezahlen lassen, setzen sie einiges daran, ihrer Arbeit den Anschein enormer Wichtigkeit zu geben. Deshalb gibt es in der Branche nicht einfach »die Reichweite«. Nein, Experten kennen Nettoreichweite, Bruttoreichweite, Tagesreichweite, technische Reichweite, geographische Reichweite, Nutzerkreise, Leserkreise, Hörerkreise, Streupläne, Mediapläne und allerlei weiteren wichtigen Schnickschnack. Zugegeben: Auch die Redaktion der Jungle World steht nicht über diesen Dingen. Um es idealistisch zu sagen: Wir bemühen uns, Texte zu veröffentlichen, die größtmögliche Verbreitung verdienen, da sie die gesellschaftlichen Aufklärung befördern. Und um es materialistisch zu sagen: Wir verdienen mit dieser Zeitung unsere Brötchen, da kann eine erweiterte Reichweite nicht schaden.

So freut es die Redaktion, wenn die Zeitung gelegentlich auch außerhalb der üblichen Kreise (Leserkreise, Nutzerkreise, Sie wissen schon, es ist kompliziert) öffentlich wahrgenommen wird. Am 27. Mai kam ein ganz besonderer Kreis auf einen Beitrag der Jungle World zu sprechen: Michael Fischer, der Präsident des Berliner Landesverfassungsschutzes, mühte sich in der 32 Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz im Berliner Abgeordnetenhaus darzulegen, dass die Organisation »Ende Gelände« den Klimaschutz instrumentalisiere, um extremistischen Bestrebungen nachzugehen, die »auf eine grundlegende Änderung des politischen Systems in Deutschland abzielen«. Zur Beweisführung verwies Fischer auf einen Diskussionsbeitrag der Pressesprecher von »Ende Gelände« in der Jungle World 35/2017 und das darin enthaltene Plädoyer, »Deutschland, das ›miese Stück Scheiße‹, wie das antinationale Bündnis ›Ums Ganze‹ sich auszudrücken pflegt, ganz und endgültig abzuschalten«. Zudem wies Fischer auf Folgendes hin: »Der Text in der Jungle World schließt dann mit den Worten: ›Deutschland ist tatsächlich ein mieses Stück Scheiße. Gemeinsam wollen wir Deutschland runterfahren.‹«

Was die Redaktion der Jungle World hier freilich vorwiegend interessiert, ist die sich aus der Mehrfachnennung der Zeitung ergebende Reichweite. Das auf dem Youtube-Kanal des Berliner Abgeordnetenhauses veröffentlichte Video der Sitzung des Verfassungsschutzausschusses hatte bei Redaktionsschluss 215 Aufrufe. Es bedarf keines Medienanalysten, um festzustellen: Da geht noch mehr, sowohl brutto als auch netto.