Der basisdemokratische ­Gewerkschaftsbund Koah LaOvdim gewinnt immer mehr Mitglieder

Die Prekären organisieren

Neben dem großen, einstmals quasistaatlichen Gewerkschaftsbund Histadrut gibt es in Israel mit Koah LaOvdim einen wesentlich kleineren Gewerkschaftsverband, der aber deutlich umtriebiger ist.

Jeden Tag muss der israelisch-arabische Busfahrer Majed Mabrook aus Ostje­rusalem eine knappe Stunde am Checkpoint warten, um zu seinem Arbeitsplatz in Israel und zurück zu gelangen. Seit der Privatisierung der Busgesellschaften haben sich die Arbeitsbedingungen der Busfahrer ständig verschlechtert, sie arbeiten durchschnittlich 250 Stunden im Monat. Deswegen hat sich Mabrook gewerkschaftlich organisiert.

»Unsere Mitglieder sind oft hervorragende Gewerkschafter und zugleich schreckliche Wähler.«

Die beiden aktivsten Gewerkschaftsverbände in Israel sind die Histadrut mit etwa 800.000 und Koah LaOvdim (Kraft den Arbeitern) mit 30.000 Vertretenen. Wer einem Tarifvertrag unterliegt, muss einen Beitrag an die Gewerkschaft entrichten, ob Mitglied oder nicht. Die Zahl der Mitglieder ist daher niedriger, Histadrut hat ungefähr 500.000,  14.000 sind es bei Koah La­Ovdim.

Die Histadrut war eine wichtige Kraft bei der Staatsgründung Israels vor 71 Jahren und erfüllte in ihrer Geschichte viele Funktionen, die mit Gewerkschaftsaufgaben wenig zu tun hatten. Aus dieser Zeit hat sie einen großen und schwerfälligen Verwaltungsapparat geerbt. Sie hat zudem nur selten zum Streik aufgerufen. Lange Zeit betrieb sie überwiegend Klientelpolitik und kümmerte sich weder um prekäre noch um arabische und migrantische Beschäftigte. Schwere Verstöße gegen das Arbeitsrecht gibt es auch in Betrieben, in denen die Histadrut die zuständige Gewerkschaft ist (siehe Seite 9). Seit einigen Jahren versucht die Histadrut allerdings, auch migrantische, ­prekäre und nichtjüdische Arbeiter stärker zu organisieren.

Motiviert dazu hat sie auch der Erfolg der 2007 gegründeten, basisemokratisch organisierten Koah LaOvdim. Damals kam der ehemalige Trotzkist Ami Vatury zusammen mit anderen zu dem Schluss, dass außerparlamenta­rische Politik in Israel am aussichtsreichsten im Bereich der gewerkschaftlichen Organisierung sei. Als Gegenmodell zur Histadrut rückten sie einzig die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder ins Zentrum. Koah LaOvdim äußert sich zu anderen politischen Geschehnissen nur, wenn die Mitglieder geschlossen hinter einer Position stehen.

 

So hat der Gaza-Krieg von 2014 viele arabische und palästinensische Mitglieder erregt, während jüdische Mitglieder meist die israelische Armee unterstützten. Deshalb äußerte sich Koah LaOvdim nicht dazu. Auch zur Besatzung im Westjordanland hat Koah keine offizielle Position. Sehr wohl allerdings dazu, wenn Israelis die Rechte palästinensischer Arbeiter einschränken.

Gegen mutmaßlich rassistisch motvierte Polizeigewalt stellten sich Araber und Juden von Koah LaOvdim einmütig – beispielsweise als vor einigen Monaten ein Polizist einen 16jährigen äthiopischstämmigen Jungen erschoss. So unterstützten damals die bei Koah LaOvdim organisierten Busfahrer die Straßenblockaden der äthiopisch­stämmigen Demonstranten.

2.000 Busfahrer organisieren sich bei Koah LaOvdim gegen die sich ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen. In Israel kann man sich beispielsweise über die zwölf gesetzlichen Urlaubstage hinaus den Feiertagskalender aussuchen. An den meisten jüdischen Feiertagen fahren in Israel kaum Busse, an den muslimischen Feiertagen hingegen schon.

Majed Mabrook als Beschäftigter im öffentlichen Transportwesen muss die jüdischen Feiertage einhalten. Er hat sich vor viereinhalb Jahren der Busfahrergewerkschaft von Koah LaOvdim angeschlossen. ­Gemeinsam versuchen die Gewerkschafter, bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen, zum Beispiel dass an den Stellen, an denen Fahrer Pause machen müssen, Toiletten bereitgestellt werden.

In Israel benötigen Gewerkschaften eine Zulassung; das ist zu viel Aufwand für kleine Betriebsgewerkschaften. Der Dachverband Koah LaOvdim stellt einen rechtlichen und organisatorischen Rahmen zur Verfügung, in dem sich Betriebsgewerkschaften selbständig organisieren können. Die Gewerkschaftssekretäre von Koah stellen ihre Erfahrung zur Verfügung und helfen bei der Formulierung von Tarifverträgen. Zudem sind viele Mitglieder wie Lehrer, Fahrer und Kinderbetreuer­innen in landesübergreifenden Bran­chenge­werk­schaften organisiert.

Koah führt im Vergleich zu den anderen israelischen Gewerkschaften mit Abstand die meisten Arbeitskämpfe. Die interne Demokratie bei Koah konsequent zu verwirklichen, ist aufwendig, weil alle wichtigen Entscheidungen von der Basis getroffen werden müssen. Das Zentralkomitee besteht aus sechs Juden und vier Arabern, die Hälfte des Komitees besteht aus Frauen. Auch gut die Hälfte aller Mitglieder sind Frauen. Der Anteil variiert allerdings je nach Branche erheblich. Die Busfahrergewerkschaft etwa hat vorwiegend männliche Mitglieder. Bei den Kinderbetreuerinnen ist es umgekehrt. In dieser Branche sind auch die meisten der ultraorthodoxen Mitglieder von Koah LaOvdim organisiert.

 

Mit Blick auf die Knessetwahlen am 17. September sagt Vatury im Gespräch mit der Jungle World: »Unsere Mitglieder sind oft hervorragende Gewerkschafter und zugleich schreckliche Wähler.« Gewerkschaftsfreundliche Parteien dürften bei der Wahl jüngsten Umfragen zufolge weniger als 20 Prozent der Stimmen erringen. Jemanden als Linken zu bezeichnen, gilt in weiten Teilen der israelischen Gesellschaft als Beleidigung. Viele Gewerkschafter, die klar linke Positionen vertreten, bezeichnen sich selbst folglich lieber nicht als links. Einen Tarifvertrag streben dennoch viele Israelis an und sind deshalb Gewerkschaftsmitglied.

Koah LaOvdim erhält keine Zuschüsse vom Staat oder anderen Organisationen. Nur die Mitgliedsbeiträge stehen als Geldquelle zur Verfügung. Ein ­internationales Sekretariat kann sich Koah noch nicht leisten, dennoch wird der Gewerkschaftsverband immer häufiger auf Konferenzen eingeladen, zuletzt von der italienischen CGIL und der französischen CGT. Auch mit skandinavischen Gewerkschaften intensiviert sich der Kontakt. Es gab den Versuch, in Zusammenarbeit mit einer schwedischen Gewerkschaft ein Großprojekt zu beginnen, das eine umfassende Organisierung in Ostjerusalem ermöglicht hätte. Der schwedische Staat war bereit, das Vorhaben im Rahmen eines EU-Programms zu unterstützen, konnte sich damit aber innerhalb der EU nicht durchsetzen.

Jenseits der sogenannten Grünen Linie, der Grenze von 1967 zwischen ­Israel und den späteren palästinensischen Gebieten Westjordanland und Gaza-Streifen, schwinden die Möglichkeiten für Koah LaOvdim und Histadrut. Viele Mitglieder leben in Ostjerusalem, etliche prekär Beschäftigte wohnen aufgrund geringerer Lebenshaltungskosten in israelischen Siedlungen jenseits der Grünen Linie.

Die PGFTU, der Gewerkschaftsdachverband in den palästinensischen Gebieten, gehört zur Autonomiebehörde. Die palästinensische Führung verweigert ihren Bewohnern grundlegende Arbeitsrechte, es gibt weder Kündigungsschutz noch Streikrecht. Die Polizei in der Westbank ordne jede Orga­nisierung als Bedrohung ein und gehe dagegen vor, sagt Vatury. Eine Anfrage der Jungle World an die Zentrale der PGFTU in Nablus blieb unbeantwortet.