Erfolg für Umweltschützer in Kenia

Pfeift auf die Kohle

In Kenia wollen internationale Investoren ein Kohlekraftwerk bauen. Umweltaktivisten bezeichnen das Vorhaben als Kolonialismus und kämpfen gegen den Bau – mit Erfolg.

Es war ein außergewöhnlicher Schritt. Anfang Juli lud der chinesische Botschafter in Kenia, Wu Peng, Vertreter der Kampagne »Decoalonize« ein. Er wollte mit den Umweltschützern über die umstrittenen Pläne für den Bau eines Kohlekraftwerks in der Küstenstadt Lamu auf der gleichnamigen Insel im Südosten Kenias diskutieren. Das ist ungewöhnlich, weil die chinesische Botschaft ebenso wie die chinesische Regierung bisher jegliche Kontaktgesuche der Initiativen »Save Lamu« und »Decoalonize« ignoriert hatten. Erst am 12. Juni hatte diese Koalition gegen Kohleprojekte in Kenia einen Brief an die chinesische Botschaft sowie an das Energieministerium übergeben und darin die beteiligten Unternehmen aufgefordert, die Investitionen in das Kraftwerk Lamu und den Kohleabbau in Kitui einzustellen. Ungewöhnlich ist auch der Zeitpunkt der Einladung Wu Pengs: Nur zwei Tage zuvor, am 29. Juni, hatte Kenias Nationales Umwelttribunal ein richtungsweisendes Urteil gefällt und das umstrittene Bauvorhaben in Lamu vorerst blockiert.

Kenia würde seine klimaschädlichen Emissionen um 700 Prozent steigern, wenn das Kraftwerk in Lamu realisiert wird.

Wu Peng gab sich plötzlich verständnisvoll und meinte bei dem Treffen mit den Umweltschützern, dass es »immer die Menschen in Kenia waren und sein werden, die entscheiden können, ob es ein Kohlekraftwerk geben wird oder nicht«. Diesen Eindruck hatte man bisher keineswegs. In seinem Urteil vom 29. Juni war das Tribunal zum Schluss gekommen, die Menschen in Lamu seien von den Investoren weder ausreichend über die Auswirkungen des geplanten Kraftwerks auf ihre Umwelt und ihre Gesundheit informiert noch angemessen in die Planung einbezogen worden. Auch bemängelte das Tribunal, dass die Kommune und die Bevölkerung nicht in der gebotenen Form an der Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie (USVP), die zur Genehmigung des Projektes geführt hatte, hätten partizipieren können.

Ein Erfolg also für die Gegner des Kraftwerks. Umweltschützer hatten befürchtet, der Warmwasserabfluss aus dem Kühlsystem des Kraftwerks könne das marine Ökosystem und den Fischreichtum erheblich beeinträchtigen – davon wären drei Viertel der Haushalte auf der Insel Lamu, die von der Fische­rei leben, unmittelbar betroffen. Hinzu kommen Gesundheitsrisiken. Der Baustopp für das mit einer Kapazität von 1 050 Megawatt geplante Kraftwerk ist das – vorläufige – Ergebnis eines harten Kampfs. Die Mitglieder von Save Lamu hatten 2016 beim Umweltgericht eine Beschwerde gegen den Betreiber Amu Power und die kenianische Umweltbehörde eingereicht und gefordert, die vorliegende USVP nicht anzuerkennen. Amu Power hatte als Konsortium Centum Investment und Gulf Energy für den Bau und Betrieb des Kohlekraftwerks zusammengebracht und eine Lizenz für seinen Bau erhalten, für deren Erteilung die USVP Voraussetzung war.

Ein ambitioniertes Projekt

Das Urteil ist auch deshalb ein besonderer Teilerfolg, weil Umweltschützer und Menschenrechtler in Kenia wenig Vertrauen in die Justiz haben. Prozesse sind oft langwierig, werden verschleppt oder Urteile am Ende umgangen. Tatsächlich mussten Umweltschützer und Kraftwerksgegner gegen große Widerstände angehen. Erst im Mai 2018 waren zwei Mitglieder von Save Lamu und der Lamu Youth Alliance (Bündnis der Jugend Lamus) wegen Anstachelung zum Protest festgenommen worden. Lokale Politiker und ­Parlamentsvertreter warben mit teils populistischen Parolen für das Projekt und betonten die sozialen Begleitprogramme wie Wassertanks und Ausbildungsinitiativen, die von Amu Power in Aussicht gestellt wurden. Presseberichten zufolge beschwerten sich auch einige Bauern, denen Entschädigungen für ihr Land versprochen worden waren. Sie wollen endlich Klarheit.

»Mehr Kohle wird die Armut verschärfen.«

Erst im Mai hatte Amu Power mitgeteilt, mit dem US-amerikanischen Mischkonzern General Electric (GE) einen Vertrag über rund 450 Millionen US-Dollar abgeschlossen zu haben, um das Kohlekraftwerk in Lamu nach neuesten Standards zu bauen und zu warten. Doch der Versuch, mit diesem Geschäft die geplante Kohleverstromung als modern, nachhaltig und hocheffizient zu präsentieren, scheiterte.

Save Lamu und Decoalonize wollen mit ihrer Kampagne erreichen, dass der fossile Energieträger Kohle im Boden bleibt. Ein hochgestecktes Ziel in Anbetracht der Projektpläne, denn neben dem Kohlekraftwerk in Lamu ist ein anliegender Tiefseehafen mit 32 Ankerplätzen geplant – unter anderem für den Umschlag von Rohöl –, der mit Strom aus dem Kraftwerk versorgt werden soll. Das ambitionierte Projekt soll Kenia bis 2030 zu einem Schwellenland mit mittlerem Pro-Kopf-Einkommen machen.

Neue Energien heißen nicht Energiegerechtigkeit

Zudem hängt an dem Projekt ein weiteres Vorhaben: der Kohleabbau im Mui-Becken im Kreis Kitui im Landes­inneren. Für das Kraftwerk in Lamu sollte die Kohle zunächst aus Südafrika importiert werden, denn der Abbau von Kohle im Mui-Becken steckt in der Planungsphase – und ist ebenfalls umstritten – und die Bahnlinie für den Transport nach Lamu ist noch nicht gebaut. Das Urteil hilft deshalb auch denen, die die Kohleabbauvorhaben im Kreis Kitui kritisch sehen.

In Nairobi protestierten Umweltschützer gegen die »Kolonisierung« der Energiepolitik.

Beim dortigen Lizenzvergabeverfahren soll es bereits zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein. Benson Kibiti von der Kenya Climate Working Group sagte 2017 auf der Klimakonferenz in Bonn: »Mehr Kohle wird die Armut verschärfen. Frauen, die alleine einen Haushalt führen und in aller Regel keine Besitztitel haben, werden nicht gehört und erhalten keine Kompensationszahlungen für ihr Land. Vertreibungen finden so auf Umwegen statt.«

In Nairobi gingen im März Umweltschützer auf die Straße, um gegen die »Kolonisierung« der Energiepolitik in Kenia zu protestieren. Sie warben für grüne Energieprojekte, eine dezentrale Energieversorgung und Klimaschutz. Denn wenngleich Kenia derzeit mehr Energie produziert, als in Zeiten mit Spitzenlasten verbraucht wird, leben dennoch viele Menschen im Land ohne Strom. Schülerinnen lernen im Licht von Petroleumlampen, Krankenhäuser sind im Notfall auf Generatoren angewiesen, die nur wenige Stunden laufen, wenn die Dieselvorräte gerade knapp sind. »Mit dem Zugang zu Wind-, Solar-, Geothermie- und Gezeitenkraftwerken ist Kenias Potential für erneuerbare Energien kosteneffizient und verursacht keinen Schaden für Mensch und Umwelt«, so der Koordinator für Decoalonize-Kampagnen, Omar ­Elmawi.

Allerdings führt die Nutzung erneuerbarer Energien nicht automatisch zu mehr Energiegerechtigkeit, wie das Beispiel des im vergangenen Jahr in Betrieb genommenen Windkraftparks Turkana-See im Norden Kenias zeigt. Mit 365 Windkraftanlagen ist er der größte Afrikas. Einen Stromanschluss hat in dieser Region kaum jemand, und die erzeugte Energie wird per Hochspannungsleitung über 400 Kilo­meter ins zentrale Stromverteilungswerk ­Suswa im Süden des Landes transportiert.

Umweltschützer gewinnen Zeit

Die geplante Kohleverstromung in Lamu kann die Energiegerechtigkeit im Lande aber sicher nicht verbessern, es braucht dezentrale, ökologisch verträgliche Energieproduktion und den Ausbau und die Instandhaltung der Netze, auch in urbanen Zentren, statt zentraler fossiler Großprojekte. Mit dem Kraftwerk in Lamu würde Kenia seine klimaschädlichen Emissionen Umweltschützern zufolge um 700 Prozent steigern.

Mit dem Urteil gewinnen die Umweltschützer Zeit, um die Landbevölkerung, die vorwiegend mit der Sorge für Bildung, Essen und Sicherheit beschäftigt ist, über die Gefahren durch Kohleabbau und -verstromung aufzuklären. Die chinesische Botschaft wird hier trotz versöhnlicher Worte kaum behilflich sein. China investiert dem Global Coal Plant Tracker zufolge etwa in die Hälfte der rund 90 Kohlekraftwerke, die auf dem afrikanischen Kontinent geplant oder in Entwicklung sind.

Um den weltweit prognostizierten Anstieg der Kohleverstromung aufzuhalten, müssten noch Hunderte Projekte gekippt werden. Der Fall Lamu hat gezeigt, dass Rechtsverfahren unter Umständen erfolgreicher sein können als das Hoffen auf eine grüne Energiepolitik der Staaten und auch, dass eine relativ kleine Gemeinde nicht ohne Einfluss ist. Sollte das Unternehmen das Kohlekraftwerkprojekt fort­setzen wollen, muss es eine umfassendere USVP vorlegen, so verlangt es das Urteil. Allerdings kann Amu Power bis Ende Juli Berufung einlegen.