Wohnungslose in NRW

Kein Zuhause im Pott

In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Wohnungslosen dramatisch gestiegen. Die Landesregierung will die Entwicklung stoppen – und arbeitet dabei mit fragwürdigen Partnern zusammen.

Ende Juni stellte der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) Zahlen vor, die das Bundes­land schlecht aussehen lassen. Die von seinem Ministerium erstellte sogenannte Wohnungsnotfallberichterstattung für das Jahr 2018 beziffert die Zahl der Wohnungslosen in Nordrhein-Westfalen mit 44 434 – das sind fast 38 Prozent mehr als im Vorjahr. Als wohnungslos gilt, wer keine mietvertraglich gesicherte Wohnung hat. Für die landesweite Erhebung melden die Kommunen dem Sozialministerium jedes Jahr, wie viele Menschen ordnungsrechtlich in kommunalen Notunterkünften oder städtischen Wohnungen sowie bei freien Trägern, zum Beispiel in diakonischen Wohnheimen, untergebracht sind.

Den börsennotierten Unternehmen Vonovia und LEG wird seit Jahren vorgeworfen, Mieten in die Höhe zu treiben.

Die Statistik hat Schwächen. Sie erfasst nur diejenigen Personen, die Hilfe in Anspruch nehmen und in Einrichtungen ankommen, die ihre Zahlen an die Landesregierung weitergeben. Wer ohne jeden Kontakt zu den entsprehenden Stellen draußen schläft, wird nicht registriert. Dennoch liefert die Statistik deutliche Anhaltspunkte.

Nordrhein-Westfalen ist das einzige Bundesland, das überhaupt solche Zahlen erhebt, eine bundesweite Wohnungslosenstatistik existiert nicht. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) schätzte die Zahl der Wohnungslosen im gesamten Bundesgebiet für das Jahr 2017 auf 860 000, darunter 52 000 Menschen, die obdachlos, also ohne jede Unterkunft, lebten. In den kommenden Monaten ist die Schätzung für 2018 zu erwarten, die BAGW rechnet mit einem Anstieg auf annähernd 1,2 Millionen Personen.

Die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen ist nicht überraschend, denn die Zahlen der Wohnungsnotfall­berichterstattung steigen seit Jahren kontinuierlich. Zum einen werden tatsächlich immer mehr Menschen wohnungslos, die Hilfs­systeme sind überlastet. Zum anderen erfasst die Statistik mehr Gruppen als in der Vergangenheit. Mittlerweile werden auch wohnungslose Flüchtlinge mitgezählt, die nach ­ihrer Anerkennung weiter in Unterkünften ­leben müssen, weil sie nicht selbständig an Wohnraum gelangen.

Auch Normalverdienende bekommen Probleme

Wie Menschen mit geringen Einkommen, Arbeitslose, Ältere und kinderreiche Familien haben sie erhebliche Schwierigkeiten, auf dem Wohnungsmarkt bezahlbare Räumlichkeiten zu finden. Mit solchen Problemen haben immer öfter auch Normalverdienende zu kämpfen.

Junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren sind die am stärksten betroffene Altersgruppe, sie stellen 28 Prozent der Wohnungslosen; knapp 19 Prozent sind zwischen 30 und 40, jeweils fast 15 Prozent sind zwischen 40 und 50 beziehungsweise zwischen 50 und 60 Jahren alt. Auch die Gruppe der Personen unter 18 Jahren ist größer geworden, mittlerweile ist etwa ein Fünftel der Wohnungslosen in Nordrhein-Westfalen minderjährig. Insgesamt bilden Männer mit 67,4 Prozent die Mehrheit, doch der Anteil wohnungsloser Frauen steigt. Knapp die Hälfte der Wohnungslosen – wegen der mitgezählten Flüchtlinge zwölf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr – hatte nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die Landesregierung will etwas gegen die gesamte Entwicklung tun. »Endlich ein Zuhause« heißt die Initiative, mit der Sozialminister Laumann, in Zusammenarbeit mit Wohlfahrtsverbänden, Landschaftsverbänden und der Wohnungswirtschaft, die Wohnungslosigkeit bekämpfen will. Fast fünf Milli­onen Euro sollen in diesem Jahr in die Wohnungslosenhilfe fließen.

Fragwürdige Partner

Für die kommenden Jahre ist der Ausbau der mobilen medizinischen Dienste, der Suchtberatung und der psychosozialen Betreuung für Obdach- und Wohnungslose geplant; auch die Jobcenter sollen Personen, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind, besser unterstützen. Zudem soll das Aktionsprogramm »Hilfen in Wohnungsnotfällen« ausgebaut werden.

Darüber hinaus sollen mehr Wohnungslose sofort Wohnungen beziehen können, statt in Unterkünften untergebracht zu werden. Das klingt gut, ist aber schwierig, weil diesen Personengruppen der Zugang zum Wohnungsmarkt erschwert wird. Wer Schulden und Schufa-Einträge hat oder schon einmal aus einer Wohnung geflogen ist, rutscht auf der Bewerberliste ganz schnell sehr weit nach unten, schließlich suchen sich Vermieter ihre Mie­ter nach einschlägigen Kriterien aus. Der Neubau vor allem preisgünstiger Wohnungen bleibt hingegen weit hinter dem Bedarf zurück.

Laumann will auch Wohnungsunternehmen zur Mitarbeit bewegen. Gemeinsam mit den Firmen Vonovia, Vivawest und LEG, die ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen haben, wolle man »nach Wegen suchen, Wohnungsverluste zu vermeiden und wohnungslose Menschen besser und schneller mit Wohnraum zu versorgen«, teilte das Ministerium mit. Gerade den börsennotierten Unternehmen Vonovia und LEG wird seit Jahren vorgeworfen, etwa mit Modernisierungen Mieten in die Höhe zu treiben. Auf der jüngsten Hauptversammlung hat LEG Ende Mai die Ausschüttung an die Aktionäre kräftig erhöht. Zum 1. August hat das Unternehmen ungefähr 2 700 Wohnungen im Ruhrgebiet und Bergischen Land an einen Investor mit Sitz auf den Britischen Jungfern­inseln verkauft. Für einen Partner im Kampf gegen die Wohnungslosigkeit ist das eine fragwürdige Geschäftspolitik.