In Kassel kämpft eine Initiative für die Entfristung der Verträge wissenschaftlicher Angestellter

Unbefristeter Stress

90 Prozent des wissenschaftlichen Personals der Universität Kassel sind befristet beschäftigt. Eine Initiative fordert, die Arbeitsverträge der Angestellten zu entfristen.

Ende vergangenen Jahres wurde es eng im größten Hörsaal der Universität Kassel. Knapp 500 Beschäftigte der Hochschule nahmen am 13. Dezember an einer außerordentlichen Personalversammlung teil. Sie forderten eine verbindliche Regelung zur Entfristung der Verträge aller Beschäftigtengruppen der Universität. Einberufen hatte die Versammlung die Initiative »Uni Kassel Unbefristet«. Die Initia­tive hatte sich im Frühjahr 2017 nach einem Warnstreik der Gewerkschaft ­Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen gegründet. Sie arbeitet mit der GEW und mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zusammen, betont aber, dass sie »als Kampagne gewerkschaftsunabhängig« sei, wie es auf ihrer Website heißt.

Norma Tiedemann von »Uni Kassel Unbefristet« hält die Universität für unterfinanziert. Sie sieht aber nicht nur die Politik, sondern auch die Hochschulleitung in der Verantwortung. »Viele der Mittel, die mit begrenzter Laufzeit an die Universitäten weitergeleitet werden, werden stets wieder verlängert oder durch neue Finanzquellen ersetzt.

90 Prozent des wissenschaftlichen Personals der Universität Kassel sind befristet beschäftigt. Das Präsidium der Universität behauptet, es sei gezwungen, das wissenschaftliche Personal befristet zu beschäftigen, da auch die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, die es vom Land Hessen erhalte, befristet seien. Norma Tiedemann von »Uni Kassel Unbefristet« hält die Universität für unterfinanziert. Sie sieht aber nicht nur die Politik, sondern auch die Hochschulleitung in der Verantwortung. »Viele der Mittel, die mit begrenzter Laufzeit an die Universitäten weitergeleitet werden, werden stets wieder verlängert oder durch neue Finanzquellen ersetzt«, sagte sie der Jungle World. Den Verantwortlichen der Universität Kassel attestiert Tiedemann »eine enorm risikoscheue Personalpolitik«. Das ohnehin nur geringe finanzielle Risiko der Universität werde an die Angestellten weiterge­geben. Diese müssten das Risiko der Hochschule mit Pendelei, häufigen Umzügen, verschobener Familienplanung, Stresserkrankungen und der­gleichen individuell »abfangen«, so Tiedemann.

Der Initiative zufolge erhalten auch Beschäftigte, die in den Bereichen Technik und Verwaltung arbeiten, immer öfter nur noch befristete Verträge. »Für die prekär Beschäftigten heißt das ständige Unsicherheit, Arbeitsüber­lastung und häufig Pendeln aus allen Teilen der Republik – mit den ent­sprechenden Folgen für Freundschaften und Familien. Für die Festangestellten bedeuten die zunehmenden Befristungen häufig weitere Überlastung und Arbeitsverdichtung«, heißt es auf der Website der Initiative.

Arbeitsbedingte Erkrankungen entstehen nicht nur in Chemiebetrieben und Bergwerken, sondern auch an Schulen und Universitäten.

So lautet auch der Befund des Arbeitswissenschaftlers Wolfgang Hien. In seinen Büchern »Kranke Arbeitswelt« und »Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn« beschreibt Hien den Kampf der Arbeitergesundheitsbewegung in der Chemie­industrie der siebziger und achtziger Jahre, warnt aber auch vor der Vor­stellung, die »kranke Arbeitswelt« sei bloß ein Phänomen der fordistischen Industrie. »Wenn ich die Arbeitsbedingungen im Pflege- und im Logistik­bereich, aber auch in der Gastronomie, in vielen Bereichen der Hochschulen und der Dienstleistungsbranche betrachte, so kann ich nur sagen: Hier ist der Kampf um Gesundheit am Arbeitsplatz dringend notwendig«, sagte Hien am 14. Dezember bei einer Ver­anstaltung in Berlin. Er gibt zu bedenken, dass die Beschäftigten heutzu­tage oft vereinzelt seien, was Initiativen für mehr Gesundheitsschutz erschwe­re. In Kassel jedenfalls haben die Hochschulbeschäftigten ihre Vereinzelung durchbrochen.

Das Präsidium der Universität kündigte indes eine freiwillige Selbst­verpflichtung bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen an. »Noch kennen wir den Inhalt dieser Leitlinie nicht. Die Präsidiumsmitglieder betonten jedoch des Öfteren, dass es eine Balance zwischen entfristeten und befristeten Stellen brauchte«, sagt Tiedemann. Sie betont, dass die Beschäftigten eine umfassende Entfristung fordern und unter »Balance« etwas anderes ver­stehen als die Hochschulleitung. Über die weiteren Pläne der Initiative sagte sie der Jungle World: »Wir mobilisieren wieder möglichst viele Betroffene zur Personalversammlung im März und werden zudem die anstehenden Tarifverhandlungen im Auge behalten, denn auch hier muss des Thema Entfristung im öffentlichen Dienst und insbesondere an den Hochschulen noch viel stärker auf die Agenda.« Zudem diskutiere man, wie man konfliktfähiger werden könne. Die Kontakte zu ­anderen Hochschulen baue man aus. In letzter Zeit habe man immer wieder Anfragen von Beschäftigten aus anderen Hochschulstädten bekommen, die mit den gleichen Problemen konfrontiert sind.