Der Paragraph 219a bleibt

Fauler Kompromiss

Union und SPD haben sich auf eine Reform des Paragraphen 219a des Strafgesetzbuchs geeinigt. Ärztinnen und Ärzten, die darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, drohen aber weiterhin bis zu zwei Jahre Gefängnis.

Am Mittwoch voriger Woche war es so weit: Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich Union und SPD auf einen Gesetzentwurf zur Reform des umstrittenen Paragraphen 219a des Strafgesetzbuchs. Dieser soll ergänzt werden. Gegnerinnen des Paragraphen wie die Gießener Gynäkologin Kristina Hänel hatten gefordert, ihn abzuschaffen. Am 12. Dezember vergangenen Jahres hat Hänel eine entsprechende Petition beim Bundestag eingereicht. Auch die Linkspartei, die Grünen und viele Abgeordnete der SPD hatten versucht, die Abschaffung von Paragraph 219a zu erreichen. Die CDU begrüßte die Reform. »Der Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes, hat für CDU überragende Bedeutung. Deshalb gut, dass Werbeverbot bleibt«, schrieb die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer am vorvergangenen Mittwoch auf Twitter.

So lange die in dem Paragraphen enthaltene Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Gefängnis bestehen bleibt, wird die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte weiterhin behindert.

Der Gesetzestext verbietet »Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft«. Als solche gilt auch, mit kommerzieller Absicht »Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung« anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen. Damit sei allerdings nicht ein kommerzialisiertes Anpreisen des »Rundum-Sorglos-Pakets mit Lavendelduft« gemeint, sagte Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ) der Jungle World. Es gehe einzig um die Information, dass in ­einer Praxis Abbrüche vorgenommen werden, sowie »medizinisch ausführ­liche Informationen« zu dem Eingriff. Dem Entwurf zufolge sollen künftig die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Listen von Praxen bereitstellen, die Abbrüche vornehmen. Das ist ­allerdings jetzt schon erlaubt, einer Gesetzesreform bedürfte es dazu nicht.

Solange die in dem Paragraphen enthaltene Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Gefängnis bestehen bleibt, wird die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte weiterhin behindert. Sie bleiben Zielscheiben für sogenannte Lebensschützer, die sie seit einigen Jahren vermehrt und systematisch mit Anzeigen überziehen. Zu diesen gehören beispielsweise die den Holocaust relativierenden religiösen Fundamentalisten vom Verein »Nie wieder e. V.«, die für mehrere Anzeigen gegen Hänel verantwortlich sind. Am 24. November vergangenen Jahres verurteilte das Amtsgericht Gießen die Ärztin gemäß ­Paragraph 219a zu einer Geldstrafe von 6 000 Euro.

Der VDÄÄ fordert, dass der Paragraph »endlich aus dem Gesetzbuch gestrichen wird«. Auch Terre des Femmes (TDF) »kritisiert und verurteilt den Kompromissvorschlag der Bundesregierung«, wie es in einer Pressemitteilung des Vereins heißt. »Die Informationen über medizinische Rahmenbedingungen dürfen nicht als Werbung verunglimpft werden«, sagte Christa Stolle, die Bundesgeschäftsführerin von TDF. Hänel zeigte sich vor allem von der SPD enttäuscht. Mit Sozialdemokratie habe die Neufassung des Paragraphen 219a »gar nichts mehr zu tun«, sagte die Ärztin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Jusos sehen das ähnlich: »Der Paragraph 219a ist in Wahrheit ein Informationsverbot und muss ersatzlos gestrichen werden«, heißt in einem unter anderen an alle SPD-Bundestagsabgeordneten gerichteten offenen Brief der SPD-Jugendorganisation.

Mandatsträgerinnen der Partei be­urteilen den Entwurf unterschiedlich. Die stellvertretende Parteivorsitzende und Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, sagte der Bild am Sonntag, der Entwurf sei »absolut okay«, da »Frauen gut informiert werden, Ärzte Rechtssicherheit haben«. Maria Noichl, die für die SPD im EU-Parlament sitzt, sagte dagegen im Interview mit der Süddeutschen Zeitung: »Letztendlich geht es um die Entmachtung der Frauen.« Mit dem Gesetzentwurf hätten sich »rechtspopulistische Gedanken« durchgesetzt. »So wird eine Studie in Aussicht gestellt, die sich mit den negativen seelischen Folgen der Schwangerschaftsabbrüche auseinandersetzen soll. Diese saublöde Rhetorik kenne ich aus dem Europaparlament von Vertretern extrem rechter Parteien, meistens Männern«, sagte Noichl.

Tatsächlich soll dem Gesetzentwurf zufolge auch eine Studie zum »Post ­Abortion Syndrome« erstellt werden.

Über die seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen gibt es bereits einige repräsentative Langzeitstudien, denen zufolge manche Frauen vor und unmittelbar nach der Entscheidung für einen Abbruch stark leiden. Eine Studie, die 2015 an der University of California 667 Frauen befragte, die sich für einen Abbruch entschieden hatten, stellt allerdings fest: Als die Frauen nach drei Jahren erneut befragt wurden, gaben 95 Prozent an, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Anscheinend sind es nicht so sehr wissenschaft­liche Ergebnisse, die dem Gesetzentwurf zugrunde liegen, sondern es ist die Verschiebung der öffentlichen Debatte nach rechts. »Es scheint sich einfach etwas in der grundsätzlichen Haltung zu ändern«, sagte Rakowitz. Dies werde auch daran deutlich, dass »mehr Staatsanwaltschaften bereit sind, entsprechend die Strafverfolgung aufzunehmen«.

Von einem Kabinett, das Jens ­Spahn (CDU) – bekannt für seinen Kom­mentar, die »Pille danach« dürfe nicht rezeptfrei werden, damit junge Frauen sie sich nicht »wie Smarties« konsumieren können – und Horst Seehofer (CSU) – der 1997 gegen die Kriminalisierung von Vergewaltigung in der Ehe stimmte – zu seinen Mitgliedern zählt, war allerdings wohl nicht zu erwarten, dass es das Selbstbestimmungsrecht von Frauen ernst nehmen würde.