Unkontrolliertes Wirtschaftswachstum führt in Bangladesh zu verheerenden Umwaltschäden

Bunte Flüsse, giftiges Wasser

Reportage Von Gilbert Kolonko

In Bangladesh wächst die Wirtschaft seit Jahren rasant und un­kontrolliert. Die ökologischen Folgen sind verheerend. Eine Reise entlang verseuchter Flüsse und versalzener Felder.

Der Gestank ist durchdringend. In den Fluss Turak im Norden Dhakas leiten die Pharmaindustrie und 30 000 andere Fabriken ihr farbiges Abwasser un­gefiltert ein. Es ist eine Brühe ohne Lebewesen. Im Süden der 18 Millionen ­Einwohner zählenden Hauptstadt Bangladeshs, am pechschwarzen Fluss Buriganga, herrscht noch mehr Betrieb. In Hunderten kleiner Fährboote pendeln täglich Zehntausende Menschen über die stinkende Kloake, in die allein 200 Gerbereien täglich 20 000 Kubikmeter mit Chrom verseuchte Abwässer leiten.

Bereits im Jahr 2001 hatte das Oberste Gericht die Regierung angewiesen, die Gerbereien aus der dicht besiedelten Wohngegend Hazaribagh umzusiedeln. Doch ein Rundgang durch die Gerbereigegend, die 2013 vom Blacksmith Institute in die Liste der zehn verseuchtesten Orte der Welt aufgenommen wurde, zeigt, dass vieles beim ­Alten geblieben ist: An Abwassergräben, durch die eine schwarze Brühe fließt, sitzen Familien und stellen aus den mit Chrom(VI)-oxid belasteten Lederresten Fisch- und Hühnerfutter her. Zwar wird auch in Bangladesh das für den Menschen ungefährliche Chrom(II)-oxid benutzt, um die nativen Eiweißstoffe der Tierhaut in Leder zu wandeln, doch Zusatzstoffe, die beim Gerben eine Umwandlung in das dunkel­rote und extrem saure Chrom(VI)-oxid verhindern würden, sind teuer und kommen daher kaum zum Einsatz.

Der neue Industriepark der Gerbereien ist knapp 15 Kilometer weiter westlich von Dhaka an der Gabtoli Road angesiedelt, in Hemayetpur-Savar am schwarzen Fluss Dhalesshwari. Einen modernen Industriekomplex hatte die Regierung angekündigt, doch davon ist hier nichts zu sehen. Auffällig ist allerdings, dass die Gerbereien zum Teil viermal so groß sind wie die in Ha­zaribagh – die Regierung möchte neben Textilien Leder als zweiten Exportschlager fördern. Auch hier fließen die mit Chrom(VI)-oxid verseuchten Abwässer durch die offene Kanalisation, so dass alles von einem beißenden, chemischen Geruch durchdrungen ist. Ein Teil der Abwässer rinnt direkt in den Fluss oder versickert im Boden. Neben zwei Feldern mit Kohlköpfen liegt auf 500 Metern Länge stinkendes Fisch- und Hühnerfutter auf Folien zum Trocknen ausgebreitet, daneben sind Haufen frisch gegerbter Lederabfälle.

Auf der Hauptstraße von Hemayetpur wird deutlich, dass nicht nur die Gerbereien die Umwelt belasten. Textilfirmen und Wäschereien leiten ihr Abwasser ungefiltert in einen lilafarbenen Bach. Am Rand der Hauptstraße entlässt ein Industriepark der Unternehmensgruppe Aji sein blaugefärbtes Abwasser in einen überlaufenden Graben, so dass die farbige Brühe bis an den Eingang von Restaurants und Verkaufsläden schwappt. Dabei gehört die Aji-Gruppe, die unter anderen für das Unternehmen C&A Textilien herstellt, noch zu den vergleichsweise vorbildlichen Unternehmen im Land: Sie bezahlt ihren Angestellten den Mindestlohn von 5 300 Taka (etwa 52 Euro) im Monat, während viele ausländische Firmen nach Aussage des Besitzers der Aji-Gruppe, Ananta Jalil, für die Produkte aus Bangladesh deutlich weniger zahlen als noch vor ein paar Jahren. Dies bestätigen auch verschiedene Studien, etwa eine der Pennsylvania State University von 2016: Die Preise für in Bangladesh produzierte Textilien sind in den vergangenen Jahren gesunken, obwohl die Produktionskosten gestiegen sind. Gespart wurde vor allem an den Löhnen.

Sieben Kilometer nördlich von Hemayetpur, in Sabhar, stürzte am 24. April 2013 das achtstöckige Gebäude Rana Plaza ein, in dem mehrere Textilfabriken ihren Sitz hatten, 1 135 Menschen starben, 2 438 wurden zum Teil schwer verletzt. Die anschließenden Versprechen der westlichen Textilein­käufer, sich für Verbes­serungen der Arbeitsbedingungen in den Pro­duktionsfirmen einzusetzen, von denen sie Textilien beziehen, scheinen angesichts der Preisdrückerei nicht ernst gewesen zu sein.

 

Fatale Wachstumshilfe

Bereits im Dezember 2016 zeigte eine von der WHO finanzierte Studie zum Thema Wasserverschmutzung, dass Dhaka in spätestens 20 Jahren das Grundwasser ausgehen werde, worauf der Minister für Wasserangelegen­heiten erklärte, dass er demgegenüber hilflos sei. Zudem belegt Dhaka dem US Air Quality Index (AQI) zufolge weltweit den fünften Platz der Städte mit der höchsten Luftverschmutzung. Als Gründe werden vor allem die Tausende Ziegelsteinfabriken genannt sowie die Nutzung von Fahrzeugkraftstoffen mit besonders hohem Schwefelgehalt und Bauarbeiten. Die Stadt wächst ­rasant. Allein 2017 sind 700 000 Menschen, vorwiegend vom Land, nach Dhaka gezogen.

Warum sie dies tun, verrät ein Blick in den Westen des Landes, in den Dis­trikt Khulna: Überall sind die ehemaligen Reisfelder mit Salzwasser geflutet. In den Teichen werden Garnelen und Krabben für den Export gezüchtet. Dadurch versalzen die Böden und das Grundwasser. »Als ich zwölf war, kam ein Großgrundbesitzer mit bewaffneten Männern in unser Dorf. Kurz darauf wurden unsere Reisfelder zu Garnelenteichen. So begann in den Achtzigern das vom IWF aufgezwungene Strukturanpassungsprogramm. Da Salzwasser von den Teichen auf die Reisfelder überschwappt, sind die Bauern gezwungen, das selbstzerstörerische Spiel mitzuspielen oder ihr Land billig an ­einen Großgrundbesitzer zu verpachten und nach Dhaka zu gehen«, erzählt der Menschenrechtler Hasan Mehedi. Dabei wüssten viele Bauern, dass die Garnelenzucht Selbstmord auf Raten ist. Die Garnelen sind auf engem Raum etwa sehr anfällig für Krankheiten.

In den achtziger Jahre begann der damalige Präsident Hossain Mohammad Ershad (1983–1990), das vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank »empfohlene« Strukturanpassungsprogramm (SAP) umzusetzen: Privatisierungen, Großgrundbesitz und Industrialisierung wurden forciert. Kurz darauf begann ein jährliches Wirtschaftswachstum um sechs Prozent, das bis heute anhält. Ohne Frage hat es geholfen, den Hunger in Bangladesh zu bekämpfen, doch die ökologischen und sozialen Kosten sind unübersehbar.

Auf die Frage, ob das Ausland an ­allen Problemen Bangladeshs Schuld sei, antwortet Mehedi mit einem Beispiel: »Dass heute noch 20 Millionen meiner Landsleute mit Arsen verseuchtes Trinkwasser trinken müssen, ist die Folge eines ›Unfalls‹ in den siebziger Jahren, als ausländische Hilfsorganisationen zehn Millionen Brunnen bohrten, um Cholera und andere Krankheiten zu bekämpfen.« Um den Gebrauch von verschmutztem Oberflächenwasser einzudämmen, installierte man damals in einer internationalen Kampagne für sicheres Trinkwasser Millionen von Wasserpumpen.

 

Offenbar wurde jedoch nicht tief genug ­gebohrt, denn das chemische Element Arsen ist in den oberen Gesteinsschichten vorhanden und das von dort an die Oberfläche gepumpte Wasser daher verseucht. Das Problem wurde erst in den neunziger Jahren erkannt und konnte seither noch nicht gelöst werden.

»Auch als die Weltbank in den sechziger Jahren begann, Projekte zur Landgewinnung zu fördern, war es gut gemeint. Aber spätestens seit den Acht­zigern wissen wir, dass diese Art der Landgewinnung die Bodennässe und Überschwemmungen fördert, da das Regenwasser nach dem Monsun nicht ablaufen kann. Trotzdem wurden diese Projekte weitergeführt und wir dürfen bis heute die Kredite zurückzahlen«, kritisiert Mehedi. »Der IWF und unsere Regierung haben gemeinsam, dass sie keinen nachhaltigen Plan haben, um unsere zahlreichen Probleme zu lösen. Ihr Heilmittel, Steigerung des Wirtschaftswachstums durch Massenproduktion für den Export, vergrößert ­unsere Probleme nachweislich.«

 

Wettbewerb der Korrupten

40 Kilometer westlich von Khulna ist eine weitere dieser kurzfristig gedachten Unternehmungen zu bestaunen. Inmitten der Schutzzone der Mangrovenwälder der Sunderbans wird mit ­indischen Investitionen ein Kohlekraftwerk mit 1 320 Megawatt Leistung gebaut. Dazu sind Unternehmungsansiedlungen und ein Tiefseehafen in der Schutzzone geplant.

Etwa 300 000 Menschen leben in und von den Mangrovenwäldern, die Bangladeshs letzter natürlicher Schutzwall vor dem Eindringen des Salzwassers ins Landesinnere sind, sollte der Meeresspiegel wie vorausgesagt weiter ansteigen. Die Unesco hat die Regierung Bangladeshs mit Hinweis auf die langfristigen Schäden aufgefordert, den Bau zu stoppen.
»Premierministerin Hasina Wajed hat anfangs Gutes gewollt und verstärkt in die Infrastruktur investiert. Doch sie ist zu sehr damit beschäftigt, ihre Macht zu erhalten«, sagt der Journalist Gouranga Nandy. Der Organisation Transparency International zufolge belegt Bangladesh im Korruptionswahrnehmungsindex derzeit Platz 143 von 180; je höher ein Land platziert ist, als desto weniger korrupt gilt es. »Das deutet an, was mit dem Geld passiert, das eigentlich investiert werden müsste, um Bangladesh auf ein Leben ohne Billigindustrien vorzubereiten«, so Nandy.

Seit knapp 30 Jahren bestimmen zwei Frauen die Politik des Landes. Ob Hasina Wajed mit ihrer Awami-Liga regiert oder Khaleda Zia mit ihrer Bangladesh Na­tionalist Party, ist jedoch fast nebensächlich. Die jeweilige Premierministerin beschuldigte stets die andere, eine Terroristin zu sein, und ließ deren Parteimitglieder verhaften. Diejenige in der Opposition schimpfte die andere eine Diktatorin und legte das Land mit Streiks lahm. Alle paar Jahre wurden die Rollen getauscht – 2007 übernahm die Armee für kurze Zeit. Seit 2009 ist Wajed Premierministerin. Ihre Widersacherin wurde im Februar in einem fragwürdigen Prozess wegen Unterschlagung zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, aber Ruhe wird Wajed deswegen nicht haben. Für Dezember sind Parlamentswahlen angesetzt, landesweite Streiks der Opposition sind zu erwarten.

Derweil geht die schleichende Radikalisierung des an sich tolerant ausgelegten Islam im Land weiter. Allein drei Millionen Bangladeshis leben als Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien. Viele eröffnen nach ihrer Rückkehr Moscheen, in denen sie den in Saudi-Arabien vorherrschenden, rigiden wahhabitischen Islam verbreiten. Die Angriffe auf Liberale, Hindus und Atheisten, die bis zum Mord gehen, nehmen seit Jahren zu. Die Regierung reagiert darauf einerseits mit Massenverhaftungen von vermeintlichen Islamisten, die jedoch auch dazu benutzt werden, ­politische Widersacher zu beseitigen. Andererseits gibt es Anklagen und ­Verhaftungen von Menschenrechtlern und Journalisten, die angeblich den ­Islam oder den Staat verunglimpfen. So wurde vergangenes Jahr etwa der in Khulna ansässige Journalist Abdul ­Latif Moral verhaftet, weil er auf Facebook gepostet hatte, dass eine Ziege, die vom Fischereiminister Narayan Chandra Chanda an notleidende Bauern gespendet worden war, ein paar Stunden nach der Übergabe gestorben sei.

 

Flüssige Versprechen

Das Verhältnis zum großen Nachbarn Indien gestaltet sich schwierig. Auf der einen Seite beschwert sich die Regierung zu Recht, dass Indien während der Regenzeit die Schleusen seiner Staudämme öffnet, so dass noch mehr Wasser nach Bangladesh fließt und die Felder zum Teil für Monate überschwemmt. Wenn die bengalischen Bauern dann in der Trockenzeit das Wasser dringend benötigen, schließt Indien die Schleusen. Dadurch drückt Meerwasser in die Flüsse und fördert die Versalzung. ­Anderseits buhlt die Regierung um indische Investitionen und bietet ihr Land als Durchgangsstrecke für die indischen Expansionspläne gen Osten an.

Indien passt sich dem an. Der indische Premierminister Narendra Modi preist zwar die Regierung Hasina Wajeds als wichtigen Partner, dennoch will er den Bau eines Zaunes an der 4 156 Kilometer langen Grenze zu Bangladesh forcieren, um den Kuhschmuggel und die illegale Immigration zu unterbinden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Bangladesh wegen des steigenden Meeresspiegels bis zu 20 Prozent seiner Landfläche verlieren könnte. Dies könnte große Fluchtbewegungen auslösen, gegen die sich Indien offenbar abschotten will.

Dabei könnte Modi zur Lösung des Problems beitragen, wenn er sein Versprechen halten würde, den Ganges zu reinigen. Dieser fließt in das größte Flussdelta der Erde, dessen Einzugs­gebiet sich auch auf Bangladesh erstreckt. Würde man das Ganges-Brahmaputra-Delta reinigen, wäre Bangladesh nicht nur in der Lage, Dhaka mit Trinkwasser zu versorgen, sondern auch, seine Bevölkerung mit Hilfe nachhaltiger Landwirtschaft selbst zu ernähren. Doch eine Untersuchung der indischen Kontrollbehörde Comptroller and Auditor General of India (CAG) von Ende Dezember 2017 kam zu dem Schluss, dass die Regierung zwischen April 2015 und März 2017 nur rund ein Viertel der versprochenen Summe für das Flussreinigungsprogramm National Mission for Clean Ganga (NMCG) aufgewendet hat. Die Wasserqualität in acht von zehn untersuchten Städten am Ganges-Ufer unterschreite die Standards für das Baden im Fluss. Vorgesehen war, dass der Ganges bis 2018 gereinigt werde, nun wurde als Ziel das kommende Jahr ausgegeben.

Der CAG zufolge weist der Ganges an vielen Stellen eine stärkere Verschmutzung auf als zum Zeitpunkt von Modis ­Versprechen im Jahr 2014. Auch in Indien werden immer noch Abwässer von zahlreichen Fabriken und Färbereien ungefiltert in den Fluss geleitet. Das unkontrollierte Wirtschaftswachstum hat Vorrang.