Die Demokratische Republik Kongo wird von zahlreichen Konflikten erschüttert

Mal mit, mal ohne Waffen

Von Alex Veit

In der Demokratischen Republik Kongo drängt die zivile Opposition auf die Abwahl des Präsidenten Joseph Kabila. Das Land wird von zahlreichen, teilweise bewaffneten Konflikten erschüttert.

»Achtung, Gefechte in Ibanda! Schwere Waffen im Einsatz! Alle in den Häusern bleiben!« Diese Warnung erscheint Anfang November in den Whatsapp-Gruppen der humanitären Helfer. Sie überrascht, denn Ibanda ist das beste Viertel von Bukavu, der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo. Hier befinden sich das Hauptquartier der UN-Stabilisierungsmission Monusco, die Wohnhäuser und Büros unzähliger internationaler NGOs, die besten Hotels und die besten Schulen.

Tatsächlich hat sich die Lage am Tag darauf bereits wieder beruhigt, bei Sonnenuntergang sind die Straßen allerdings noch ruhiger als sonst. Die Zerstörungen im Viertel sind zwar auf wenige Häuser beschränkt, von diesen ist jedoch nicht mehr viel übrig: Polizei und Armee haben mitten in einem Wohnviertel schwere Waffen eingesetzt, um den Chef der »Antikorruptionseinheit für Bodenschätze« festzunehmen. Oberstleutnant Abbas Kayonga hatte seine Position offenbar genutzt, um in großem Stil Bodenschätze illegal zu exportieren. Nachdem der Provinzgouverneur kürzlich von der Zentralregierung ausgewechselt worden war, sollte nun auch Kayonga seines Postens enthoben werden. Daraufhin hatte er sich mit seiner Leibgarde auf seinem Privatgrundstück verschanzt. Angesichts der Übermacht der Armee – und nachdem drei Soldaten und drei Zivilisten den Kämpfen zum Opfer gefallen waren – ergab er sich.

»Jeden Tag gibt es einen Grund mehr, dieses Land zu verlassen. Irgendetwas muss passieren, diese Regierung lähmt das ganze Land.« Paul*, Einwohner Bukavus

»Die Kinder haben zuerst gar nicht verstanden, was los ist«, erzählt Paul*, ein Anwohner Ibandas. »Trotz der Detonationen wollten sie wie jeden Sonntag zur Kirche. Erst als Soldaten zu Hunderten durch unseren Garten marschiert sind, haben sie verstanden.« Nun will Paul sie so bald wie möglich nach Südafrika schicken, wo bereits seine erwachsenen Kinder leben. »Jeden Tag gibt es einen Grund mehr, dieses Land zu verlassen.« Zugleich überlegt er, sich selbst wieder stärker in der Opposition zu engagieren: »Irgendetwas muss passieren, diese Regierung lähmt das ganze Land.«

Die Demokratische Republik Kongo ist das Land des andauernden Übergangs. In den neunziger Jahren hielt der damalige Präsident Mobutu Sese Seko eine jahrelange Nationalkonferenz ab, die er schließlich ergebnislos auflöste. Erst eine Invasion der Nachbarländer stürzte ihn und installierte Laurent Kabila als seinen Nachfolger. Nach dessen Ermordung übernahm 2001 sein Sohn Joseph Kabila mitten im Bürgerkrieg das Präsidentenamt. Er schloss einen brüchigen Frieden mit den größten Rebellengruppen und führte das Land durch eine mehrjährige »Transition«. Danach gewann er 2006 und 2011 die nationalen Wahlen, allerdings zumindest beim zweiten Mal nur dank großangelegter Fälschungen. Ein weiteres Mandat für Kabila verbietet die Verfassung, daher spielt er seitdem auf Zeit.

Obwohl spätestens 2016 Wahlen hätten stattfinden sollen, verkündete die Wahlkommission damals, zunächst eine Volkszählung vornehmen zu müssen, die Jahre dauern würde. Nach Protesten einigte sich Kabila mit der zivilen Opposition auf Wahlen in diesem Jahr. Wieder verstrichen Monate, bis die Wahlkommission behauptete, für die Organisation weitere zwei Jahre zu benötigen. Erst als die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, Präsident Kabila im Oktober während eines Besuchs mit einer Ausweitung der internationalen Sanktionen gegen dessen Regime drohte, wurde ein Wahltermin für Ende 2018 offiziell bekanntgegeben.

Die zivile Opposition, mehrfach gespalten und zum Teil vom Regime kooptiert, akzeptierte dies zähneknirschend. Nur der radikalere Teil, insbesondere die Jugendbewegung Lucha, will einen »Übergang ohne Kabila«. Sie fordern den Rücktritt des Präsidenten bis zum Jahresende. Aber die Proteste, zu denen Lucha und andere zivilgesellschaftliche Organisationen aufrufen, verpuffen. Zuletzt am 15. November unterband die Polizei Versammlungsversuche und verhaftete zahlreiche Protestierer. Immer wieder werden auch Demonstranten erschossen. Die Aufrufe zum Generalstreik, in der Form von villes morts (Geisterstädten), werden nur in einigen Städten und Vierteln und dort nur von wenigen Bewohnerinnen und Bewohnern befolgt. Viele meinen, solange die katholische Kirche, die mit ihren Gotteshäusern, Schulen, Krankenhäusern und sozialen Projekten einen Staat im Staat bildet, nicht auch zum Protest aufruft, sei keine große, landesweite Mobilisierung möglich. Bislang beschränken sich die Bischöfe aber auf eine vermittelnde Rolle.

Einige hoffen auf einen großen bewaffneten Aufstand, den zugleich die meisten fürchten. Denn auch wenn das Land bereits in den neunziger Jahren heruntergewirtschaftet war, so haben doch die unzähligen bewaffneten Konflikte seither die Infrastruktur wie auch den sozialen Zusammenhalt weiter zerstört.

Statt eines großen Konflikts gibt es viele kleine. In den zentralen Kasai-Provinzen wuchs sich ein lokaler Streit um die Nachfolge eines Stammesführers zu einem lokalen Bürgerkrieg aus. Das war der Wahlkommission ein willkommener Anlass, dort die Wählerregistrierung zu verschieben. In der Hauptstadt Kinshasa kommt es immer wieder zu Angriffen von Unbekannten auf Polizeistationen und Märkte. Fast sieht es so aus, als sollten die Neuwahlen durch immer neue begrenzte Konflikte unmöglich gemacht werden.

An einer Privatuniversität in Uvira bin ich zu einem Vortrag über Forschungen zu Projekten gegen sexuelle Gewalt eingeladen. Uvira liegt strategisch ungünstig. Vor der Stadt liegt der Tanganjika-See, in ihrem Rücken befinden sich steil abfallende Berge, die seit Jahren von nicht-staatlichen Milizen kontrolliert werden. Knapp drei Wochen zuvor hatten die Rebellen versucht, die Stadt einzunehmen. Wie ihr Sprecher behauptete, als ersten Schritt zur Vertreibung der Regierung. Erst der Einsatz von UN-Kampfhubschraubern konnte sie zurückschlagen.

In Katagota, eine gute Autostunde vor Uvira, steigt dichter Rauch in den Himmel. Busse, Allradfahrzeuge der humanitären Organisationen, Polizei­transporter und gepanzerte UN-Fahrzeuge stauen sich: Wütende Bauern haben die Straße blockiert und Müllhaufen angezündet. Alle steigen aus dem Bus, keiner weiß, wie es weitergeht. »Man muss Geduld haben«, lautet der allgemeine Konsens. Ein Dorfbewohner erklärt den Grund der Bauernproteste: Der von der Zentralregierung eingesetzte Dorfchef sei im Begriff, die kommunalen Ländereien an eine Privatperson zu verkaufen. Nun sei ein Anführer der Bauern verhaftet worden. Erst wenn er freikomme, gäben die Bauern die Blockade auf.

In wenigen Stunden wird es dunkel, dann könnte es gefährlich werden in diesem Dorf ohne Strom inmitten der unruhigen Grenzregion, in der sich kongolesische und burundische Rebellen herumtreiben. Auf die Frage, wie lange die Blockade noch dauern werde, entgegnet ein Polizeioffizier, der sich auf einem Plastikstuhl am Rande der Straße niedergelassen hat: »Keine Ahnung. Wir warten einfach ab, bis alle wieder nach Hause gegangen sind.« Das scheint das Vernünftigste zu sein; unverrichteter Dinge begebe ich mich auf den Rückweg.

In Bunia, der letzten Station meiner Recherche- und Vortragsreise, ist bei der Ankunft abermals eine Hauptstraße blockiert. Studierende protestieren, weil die staatliche Universität von ihrem Campus vertrieben werden soll. Angeblich hält ein lokaler Geschäftsmann einen Besitztitel auf das wertvolle innerstädtische Gelände mit den halbverfallenen Seminargebäuden. In der Stadt im Nordosten des Landes kursieren allerhand Gerüchte. Nur ein Richter glaubt an die Rechtmäßigkeit des privaten Besitztitels. Alle Bewohnerinnen und Bewohner, die man darauf anspricht, sind hingegen davon überzeugt, dass Politik und Justiz bestochen worden seien.

Bei der Begrüßung an der Universität in Bunia sagt der Rektor, er könne leider nicht bis zum Ende bleiben, da er in die Hauptstadt Kinshasa fliege, um sich für die Sache der Universität einzusetzen. Die Studierenden jubeln. Doch der Rektor gibt später im Stillen zu, dass die Sache bereits entschieden sei. Die Universität werde auf ein Grundstück außerhalb der Stadt ziehen, es gehe nur noch darum, von der Regierung Mittel für den Neubau zu erhalten.

Abends flimmern in einer Bar Bilder aus Zimbabwe über den Fernseher: Der dortige Präsident Robert Mugabe ist zurückgetreten. Einer der Zuschauer sagt: »Jetzt bekommt auch Kabila Angst.« Ein anderer erwidert: »Mugabe ist 93 Jahre alt. Kabila ist erst 46. Mal sehen, wie lange er durchhält.« Manche lachen, doch die meisten schauen eher hoffnungslos auf den Bildschirm. Schließlich schaltet jemand auf den Sportkanal um.

 

* Name von der Redaktion geändert.