Der Sound der Jungle World

Der Ton macht die Musik

Der spezielle Sound der »Jungle World« hat viel mit Uwe Nettelbeck und der Distanz zum revolutionären Subjekt zu tun.

Wer eine Redaktion besetzt und ­unter diesen Umständen versucht, eine Zeitung zu machen, denkt über viele Sachen nach. Wer was in die Streikzeitung schreibt. Wo man drucken kann. Wie man die Türen für den Fall sichert, dass sich jemand Zutritt verschaffen will. Ob noch genug Kaffee da ist. So gesehen ist es fast ein wenig enttäuschend, wie die Jungle World zu ihrem Namen gekommen ist. Darüber wurde nämlich überraschend wenig nachgedacht: Der Fileserver der Jungen Welt hieß so. Das war der Server, auf dem Dateien lagen. Irgendjemand hatte ihn so genannt. Irgendjemand schlug auf einer der zahllosen Konferenzen vor, so könne man ja auch das Medium nennen, das man nun macht. Und so passierte es dann.

Die klügsten Köpfe sitzen in der Schlussredaktion, sie rücken Sätze zurecht und schmeißen überflüssige Wörter raus.

Ziemlicher Zufall also. Broken Englisch. Aber jedes Nachdenken über die Sprache der Jungle World muss mit ihrem Namen beginnen.
Zwischen den mittleren Neunzigern und den beginnenden Nullerjahren hatten in der Linken mehrmals Redaktionsgruppen den Wunsch, in der Namensgebung für ihr Projekt einen Ort anklingen zu lassen, von dem aus sich frei sprechen ­ließe, unbeschwert von heimatlicher Last. Die Bahamas etwa, denkbar weit weg vom deutschen Elend. Oder Malmoe, wie eine Wiener Redaktion ihr Magazin nannte: sozialistischer Sehnsuchtsort Schweden. »Jungle World« spielte mit anderen Konnotationen: Die Welt ist ein Dschungel (oder wie es bei Grandmaster Flash heißt: »It’s like a jungle sometimes, it makes me wonder how I keep from going under«). Die Welt ist unübersichtlich wie ein Urwald, Überblick gibt es immer nur für einen Moment, dann wuchert wieder alles zu. Vor allem war es ein englischer Titel. Das hieß: Uns geht es um die World, nicht um Deutschland. Außerdem war Jungle damals der Sound des schwarzen Londoner Undergrounds – auch diese Verbindung zum Modernismus der Popkultur war wichtig.

Sprachfragen sind immer politische Fragen. Sprache ist ein Herrschaftsinstrument und die Frage, was die Herrschenden mit ihr anstellen, für eine Redaktion genauso interessant wie das Verhältnis, das man selbst zu ihr hat: Wie reden wir? Wie schreiben wir? Wie wollen wir klingen?
Es ist bemerkenswert, dass die ­Jungle World bis heute eine Sprache pflegt, die von der größten sprachkritischen Debatte der vergangenen zwei Jahrzehnte fast vollkommen unberührt ist – auch wenn diese selbstverständlich auf ihren Seiten statt­gefunden hat und weiter stattfinden wird: die große Diskussion über die sogenannte political correctness, über die identitätspolitische Aneignung sprachlicher Gesten.

Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass Sprache Normen setze. Die weiß und männlich dominierte Gesellschaftsordnung schreibe durch die Art, wie gesprochen wird, ihre Macht fest – und könne bekämpft werden, indem die Betroffenen sich die ­Hoheit über ihre Bezeichnung zurückholen. Die Schwulenbewegung war wahrscheinlich am erfolgreichsten in diesem Bemühen – »schwul« ist heute kein Schimpfwort mehr, sondern eine ganz normale Bezeichnung für homosexuelle Männer. (Dass es trotzdem noch als Schimpfwort benutzt wird, hat mit den Grenzen eben dieser Sprachpolitik zu tun.) Das ­Binnen-I, auf dessen Erfindung man sich in der Taz einige Jahre lang eine Menge einbildete und das irgendwann einfach wieder verschwand, verwies darauf, dass es eben nicht nur Beamten gibt, sondern auch Beamtinnen, Lehrerinnen, Journalistinnen. Im Augenblick benutzen genderpolitisch bewusste Autor*innen ein Sternchen. Und alle Jahre wieder wird aufs Neue darüber diskutiert, was denn nun mit dem N-Wort sei, ob es aus alten Kinderbüchern gestrichen werden müsse oder nicht.

Über diese Fragen wurde auch auf den Seiten der Jungle gestritten – die Sprache der Jungle selbst haben sie fast gar nicht berührt. »Schwul« gab es immer schon, das N-Wort nie, Binnen-I oder Sternchen selten, aber ab und zu: Im großen und ganzen folgte und folgt die Redaktion der Jungle World dem allgemeinen Sprach­gebrauch.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste war Klaus Behnken, der im Frühjahr verstorbene Mitbegründer und Kopf der frühen Jahre. Klaus war Ästhet. Über sprachliche Fragen stritt er sich mit der gleichen Freude wie über politische. Klaus hatte sehr genaue Vorstellungen davon, wie die Jungle zu klingen hatte: Schnörkellos und phrasenfrei. Sprache war für Klaus nicht nur ein Kommunikationsmittel. Texte zu schreiben, hieß, sich in einen Raum zu begeben, der größer war als die unmittelbare Gegenwart. In die Gutenberg-Galaxis einzutreten, war für Klaus ein politischer und ein ästhetischer Akt. Deshalb hatte die Jungle World von Anfang an Lektoren. Was für eine Zeitung, die immer wenig Geld hat, bemerkenswert ist. Aber die klügsten Köpfe der Jungle World sitzen in der Schluss­redaktion, sie rücken Sätze zurecht und schmeißen überflüssige Wörter raus. Und wer Lektoren hat, hat einen Sound.

Durch Klaus’ Leben ziehen sich die Motive, in denen sich wahrscheinlich jeder wiederfindet, der mit der Jungle zu tun hat: Hedonismus und radikale Kritik. Klaus war Ende der Sechziger Mitglied des SDS gewesen und er konnte davon erzählen, wie der untergetauchte Andreas Baader Anfang der Siebziger einmal bei einem klandestinen Treffen in einem chinesischen Restaurant im Hamburger Hauptbahnhof auf die Pistole in seinem Hosenbund zeigte und sagte: »Wir meinen das übrigens ernst.« Klaus war aber auch Lektor des März-Verlags, liebte die Literatur und war mit Uwe Nettelbeck befreundet, dem Herausgeber des Magazins Die Republik. Nettelbeck hatte Ende der Sechziger für das Feuilleton der Wochenzeitung Die Zeit eine Art frühen Popjournalismus betrieben, dann die Band Faust produziert, die eine deutsche Antwort auf die Beat­les werden wollte, dann aber vor allem ein Geheimtipp wurde und sich schließlich nach Südfrankreich zurückgezog. In der Republik veröffentlichte Nettelbeck Texte von vergessenen Schriftstellern wie Franz Jung, aber auch riesige Zitatcollagen wie »Mainz wie es singt und lacht« – mit denen er versuchte, in der Phrase eine negative Wahrheit des Zeitalters zu finden.

So spricht die Jungle World in ihren guten Momenten. Sie ist politisch klug und kulturell informiert und sie macht sich weder die Sprachregelungen des einen noch des anderen Felds zu eigenen.

Keine Macht zu haben, macht die meisten linken Projekte ja nicht ­klüger. Stattdessen wird die eigene Ohnmacht kompensiert, indem man sich irgendeiner guten Sache an den Hals wirft. Einer Befreiungsbewegung: einem Staat, der sich gegen die USA wehrt; einer Minderheit, die den Widerstand gegen ihre Marginalisierung als politisch begreift. Fast immer ist die Linke auf der ­Suche nach einem revolutionären Subjekt, um zumindest langfristig auf der historisch richtigen Seite zu stehen. Die Jungle World nicht. Die Jungle World ist nicht solidarisch (außer mit Deniz Yücel und der ist Mitherausgeber). Das Redaktionssubjekt der Jungle World spricht nur für sich. Ohne dass dies Verabredung wäre, hat die Jungle World aus der Krise der weltweiten Linken einen sehr klugen Schluss gezogen: den Universalismus der linken Ansprache zu retten, indem man bis auf weiteres nur für sich selbst spricht.