Pommes sind eine gastronomische Nullnummer

An den Kindertisch!

Ein Plädoyer gegen die Infantilisierung der Esskultur.

Ich habe nichts gegen Pommes. Einige meiner besten Freunde essen Pommes, ich selbst auch, wer eigentlich nicht? Schließlich reden wir über die unspektakulärste Beilage der Welt. Muss man denn zu allem eine Meinung haben? Nicht unbedingt, aber da hier seit Wochen ein Hype um die belgischen Fritten gemacht wird, musste dieser Text geschrieben werden. Wer jetzt die Predigt über gesundes Essen erwartet, den oder die muss ich enttäuschen. Man muss nicht unbedingt Anhängerin der Clean-Eating-Diät sein, um zu erkennen, dass Pommes eine gastronomische Nullnummer sind und höchstens an den Kindertisch gehören. In Belgien hat man aus ihnen ein Nationalsymbol gemacht – aus völlig ­unerklärlichen Gründen übrigens, denn darüber, wer die Pommes Frites erfunden hat, wird heute noch gestritten. Die Franzosen behaupten, während der ­Revolution 1789 unter den Brücken von Paris Kartoffelstäbchen gebraten zu haben. Pommes Pont Neuf soll man sie damals genannt haben – so poetisch hätten Fritten klingen können. Durchgesetzt hat sich aber leider die belgische Version, vielleicht auch, weil Belgien gutes Marketing geleistet hat: Kein Spruch über Belgien kommt ohne Pommes aus, Belgien einig Frittenland! Dass die sonst untereinander ziemlich zerstrittenen Belgierinnen und Belgier mit ihrem lästigen identitären Kram in die Pommestüte greifen müssen, um sich wie ein »Volk« zu fühlen, ist schon traurig genug, aber ein wenig Pommespatriotismus kann man ihnen getrost gönnen, schließlich haben sie es sonst nicht leicht.

Seien wir ehrlich: Pommes sind weder gut noch schlecht, die gibt es einfach dazu, und zwar zu ziemlich allem. Oder es gibt sie allein, und das ist dann eine traurige Mahlzeit. Selbstgemacht, tiefgekühlt, bei McDonald’s oder auf dem Geburtstag des belgischen Königs: Alle Pommes sind gleich. Aus Tüten oder Pappschälchen, oft im Stehen oder Gehen mit den Händen gegessen, wenn es hoch kommt mit einer Miniplastikgabel, Fett- und Saucenflecken inklusive.

Immer wieder wird das kleine Königreich zum failed state erklärt: mal, weil es nach Parlamentswahlen etwas länger braucht, um eine Regierung zu bilden; mal, weil seine AKW nicht mehr ganz fit sind oder weil der europäische Jihadismus in Molenbeek sein Hauptquartier hat. »Mal im Ernst, die sind dort wirklich lecker.« Niemand, die oder den ich im Laufe meiner sorgfältigen Recherche zum Thema befragt habe, hat eine abweichende Meinung geäußert. »Lecker« also.

Abgesehen davon, dass mir allein beim Hören dieses Wortes jegliche Lust auf egal welches Gericht vergeht, hat mich der Konsens darüber in meiner Meinung bestätigt. Die Pommes aus den belgischen Buden würden ganz besonders schmecken, versichern die Kennerinnen und Kenner. Im Rinderfett zweimal gebraten – darin soll ihre Besonderheit liegen. Auf der Online-Karte der Maison Antoine, der berühmtesten Frittenbude Belgiens, steht davon nichts, dafür findet man aber die rund 30 Saucen, von denen alle schwärmen, als wäre eine Sauce in der Lage, dieses Essen ein wenig interessanter zu machen. Seien wir ehrlich: Pommes sind weder gut noch schlecht, die gibt es einfach dazu, und zwar zu ziemlich allem. Oder es gibt sie allein, und das ist dann eine traurige Mahlzeit. Selbstgemacht, tiefgekühlt, bei McDonald’s oder auf dem Geburtstag des belgischen Königs: Alle Pommes sind gleich. Aus Tüten oder Pappschälchen, oft im Stehen oder Gehen mit den Händen gegessen, wenn es hoch kommt mit einer Miniplastikgabel, Fett- und Saucenflecken inklusive.

»Aber das gehört doch dazu«, höre ich, und oute mich als der kulinarische Snob, der ich nun mal bin: Es gehört zu was genau? Ganz sicher nicht zum Begriff der Esskultur. Aber klar: Es gehört zum Widerstand gegen spießige Essmanieren und die Diktatur der gesunden Ernährung! Na gut. Kann man ­machen, daran ist gar nichts schlimm. Die Frittenbude ist nun mal kein Ort der haute cuisine, auch wenn die Belgier es nicht wahrhaben wollen, im ­Gegenteil, sie möchten ihre Fritten sogar als eigenständiges Gericht durchsetzen. Allerdings müssen sie sich damit abfinden, dass sie es vermutlich niemals in den Kanon der Gastronomie schaffen werden. Versucht haben sie es trotzdem, 2014, als der Verband belgischer Pommeshersteller Fritten zum Unesco-Weltkulturerbe erklären lassen wollte. Bisher ist daraus nichts geworden. Wenn man einen Blick auf die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes wirft, wird auch klar, warum. Im Jahr 2010 wurde die französische Küche aufgenommen. Das gastronomic meal of the french, so die offizielle Bezeichnung, sei eine »gebräuchliche soziale Praxis, die wichtigsten Momente im Leben des Einzelnen oder von Gruppen« mit einem gastronomischen Mahl zu bereichern, begründete die Unesco ihre Entscheidung, und meinte die traditionelle Mahlzeit mit ihren »Ritualen und Speisefolgen – Apéritif, Vorspeise, Hauptgericht, Nachtisch, Käse und Kaffee«.

Auch die mediterrane Ernährungsweise findet sich in der Liste, ­sowie die Esskultur anderer Länder, etwa die japanische Washoku-Küche, traditi­onelles mexikanisches Essen und das koreanische Kimchi. Die Belgier sollten aber nicht traurig sein, zumal das Land auch einige Einträge in der Liste hat, etwa das Krabbenfischen auf Pferden in Oostduinkerke, das ist schon mal etwas. Andere Länder, Deutschland zum Besipiel, haben keinen einzigen Eintrag. Dabei haben sich die Deutschen auch schon beworben, mit ihrer »Brotkultur« und ihrem Bier. Keine Angst, liebes Belgien, diese Konkurrenz musst du wirklich nicht fürchten. Bevor Pumpernickel & Co. zum immateriellen Kulturerbe erklärt werden, wird es deine fette Fritte längst geschafft haben.