Wie das iranische Regime auf internationaler Ebene gestärkt wird

Comeback der Mullahs

Trotz zahlreicher militärischer und politischer Rückschläge zeigt sich das iranische Regime nach Abschluss des Atomdeals selbstbewusst. Der Grund ist die derzeitige Aufwertung des Landes durch Deutschland und Europa. Auch die Anschläge in Paris und der Krieg in Syrien haben zu neuen Allianzen geführt, bei denen der Iran eine Rolle spielt.

»Die Islamische Republik Iran ist ein Element der Stabilität in einer Region voller Instabilität«, lobte der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz auf seiner Iran-Reise Anfang November. Seit der im Sommer verkündeten Einigung der 5+1-Mächte (USA, Russland, China, Frankreich, England und Deutschland) mit dem iranischen Regime über dessen Atomprogramm geben sich europäische Politiker und Geschäftsleute in Teheran die Klinke in die Hand.
Den Anfang machte die Bundesregierung, die nur eine Woche nach Abschluss des Deals Sigmar Gabriel in den Iran schickte, wo er sich unter »alten Freunden« wähnte. Mitte November fand in Frankfurt im Rahmen der »Euro Finance Week« unter der Schirmherrschaft von Finanzminister Wolfgang Schäuble und dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier ein »Business Forum Iran Europe« statt. Dort warben ein halbes Dutzend iranische Minister für deutsche Investitionen im Iran. Beteiligt war auch Ali Ashraf Afkhami, der Leiter der nach wie vor sanktionierten »Bank of Industry and Mine« und Verwalter des Finanzimperiums des obersten religiösen Führers Ali Khamenei.
Politik und Wirtschaft stellen sich offenbar bereits auf das erwartete Ende der Sanktionen gegen die Islamische Republik ein. Dabei sind noch nicht einmal die Vereinbarungen des Atomdeals umgesetzt, wie die Verringerung der Vorräte angereicherten Urans, die Einlagerung von Zentrifugen oder der Umbau des Schwerwasserreaktors in Arak. Das Regime hat verkündet, seinen Verpflichtungen erst nachzukommen, wenn die Internationale Atomenergiebehörde IAEA bei ihrer nächsten Direktoriumssitzung am 15. Dezember bekundet, keinerlei Fragen mehr hinsichtlich vergangener militärischer Nuklearaktivitäten des Iran zu haben. Der Generalsekretär der IAEA, Yukiya Amano, konnte dies bislang nicht bestätigen.

Die US-Regierung betonte unter dem Druck der Opposition gegen die Atomverhandlungen immer wieder, ihre Verhandlungsstrategie beruhe nicht auf Vertrauen in eine Mäßigung der iranischen Führung, vielmehr sei ein erfolgreiches Abkommen der beste Weg, ein gefährliches Regime am Bau der Bombe zu hindern. US-Präsident Barack Obama erklärte außerdem, das Regime in Iran setze zwar Antisemitismus als Propaganda- und Organisationsinstrument ein, tue dies allerdings nur »an den Rändern, wo die Kosten gering« seien, und verfolge im Übrigen und im Gegensatz dazu rationale Selbsterhaltungsinteressen.
In Europa hatte es nach anfänglichem französischen Widerstand kaum noch kritische Diskussionen über die Inhalte des Deals gegeben. Philipp Ackermann, der Gesandte der deutschen Botschaft in Washington, warnte die USA sogar vor einer »Katastrophe«, sollte die Vereinbarung nicht zustande kommen, und versicherte stolz, dass es über eine Verständigung mit der Islamischen Republik weder im deutschen Parlament noch in der Zivilgesellschaft eine nennenswerte Debatte gebe.
Vor allem in Deutschland hatten Politik und Medien aber bereits 2013 aufgeatmet, als mit Hassan Rohani ein »bärtiger Hoffnungsträger mit Herz« – so eine Schlagzeile der Taz – den Meister der antisemitischen Provokationen, Mahmoud Ahmadinejad, ablöste, der es schwer gemacht hatte, die Kooperation mit dem Regime als Investition in den Weltfrieden darzustellen. Rohanis Amtseinführung wurde mit euphorischen Hoffnungen auf innenpolitische Liberalisierung und außenpolitische Kooperation mit dem Westen bedacht. Als von ersterem keine Rede mehr sein konnte, behaupteten die deutschen und europäischen Advokaten des Iran-Engagements, der Atomdeal sei die notwendige Voraussetzung für die lediglich vertagten innenpolitischen Veränderungen. Jenseits einer etwas abgerüsteten Rhetorik, die von den antiamerikanischen und antizionistischen Tiraden des eigentlichen Machthabers, des obersten religiösen Führers Khamenei, begleitet wird, veranlasste der neue Präsident jedoch keinerlei Reformen. Das Regime entfaltet ungebremst und ohne nennenswerte Proteste aus der EU seinen Terror gegen Journalisten, Oppositionelle, Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten im Iran.
Neben dem Atomabkommen fungieren der Bürgerkrieg in Syrien, damit verbunden die Ankunft Hunderttausender syrischer Flüchtlinge in Europa und die Anschläge und Terrordrohungen des »Islamischen Staats« (IS) in Paris und Europa als Katalysatoren für intensivierte westliche Annäherungsversuche an die iranischen Herrscher, bei denen sich Deutschland besonders hervortut. Der Besuch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Iran wurde im Oktober als gemeinsamer Auftritt mit seinem iranischen Amtskollegen Javad Zarif auf einem nach Teheran verlegten Format der »Münchener Sicherheitskonferenz« zelebriert. Die Reise sollte durch ein vermeintlich versöhnliches kulturelles Event vorbereitet werden. Im September sollte der israelische Dirigent Daniel Barenboim in Teheran auftreten. Die Veranstaltung platzte, als das iranische Kultusministerium erklärte, dass man grundsätzlich nicht mit Israelis zusammenarbeite. So wurde die kleine Sicherheitskonferenz angesichts der Weigerung des Regimes, der deutschen Charmeoffensive entgegenzukommen, nicht der erhoffte Durchbruch, sondern eine lediglich halbherzig publik gemachte Begegnung.
An der Konferenz nahmen auch Vertreter anderer Bundestagsparteien teil, so für die Grünen Jürgen Trittin und Omid Nouripour, Sevim Dağ­delen für die Linkspartei und Norbert Röttgen für die Union. Die Gastgeber revanchierten sich, indem sie den Gästen unter anderem den Topterroristen Hamid Aboutalebi an den Tisch setzten, der Gerichtsdokumenten zufolge 1993 die Ermordung eines iranischen Dissidenten in Rom anleitete und den die USA 2014 wegen seiner Beteiligung an der Geiselnahme in der Teheraner US-Botschaft nicht als iranischen UN-Botschafter einreisen ließen.

Von einem iranischen Kurswechsel kann keine Rede sein, dafür machte die US-Regierung im Oktober ein weiteres Zugeständnis und gab ihren bisherigen Widerstand gegen die Beteiligung der Islamischen Republik an internationalen Verhandlungen über den syrischen Bürgerkrieg auf. Zu den im Zweiwochenrhythmus geplanten Treffen in Wien sind neben dem Iran die Golfmonarchien und Ägypten, die EU, China, Russland und alle Nachbarstaaten Syriens außer Israel eingeladen. Ausgeschlossen sind außerdem das Assad-Regime und die syrische Opposition.
Das bisherige Ergebnis besteht darin, dass sich die westlichen Staaten immer weiter auf die Position der mit Russland verbündeten Seite Iran-Hizb­ollah-Assad zubewegen. Die Türkei, Saudi-Arabien und die Golfstaaten reagieren dagegen mit verstärkter Unterstützung für die Anti-Assad-Rebellen. Israel als einzige verbliebene westliche Macht, die im iranischen Regime ihren Hauptfeind sieht, bombardiert regelmäßig Militärkonvois der in Syrien agierenden Hizbollah, um sie daran zu hindern, weitere iranische Raketen an die libanesisch-israelische Grenze zu transportieren.
Trotz der erstaunlichen Erfolge des iranischen Regimes auf diplomatischer Ebene bleibt seine Lage ambivalent. Jahrzehntelang gewann die islamistische Herrschaft im Iran ihre Legitimität durch globale antiamerikanische und antizionistische Hetze und den Terror, der unter dieser ideologischen Leitlinie gegen Gegner im In- und Ausland ausgeübt wurde. Seit dem Atomabkommen versuchen die Herrscher der Islamischen Republik den Eindruck zu zerstreuen, es handele sich dabei um mehr als ein formelles Zugeständnis mit dem ausschließlichen Ziel, sich vom Druck westlicher Sanktionen zu befreien. Denn jeder substantielle Rückzug von der antiwestlichen und antiisraelischen Linie würde die Anhänger enttäuschen und die Regimegegner ermutigen. So wird jeder Regierungskontakt mit westlichen Mächten von Terror gegen iranische Oppositionelle begleitet. Dem Atomabkommen folgte eine Hinrichtungswelle im Iran. Und in der Nacht vor der ersten Syrien-Konferenz in Wien schoss eine Schiitenmiliz im Irak unter dem Jubel der iranischen Staatsmedien Dutzende von Raketen auf ein Flüchtlingscamp der oppositionellen Volksmudjahedin ab und tötete dabei 24 Einwohner.

Auch außenpolitisch fällt die Bilanz für das Regime gemischt aus. Nach langem Hin und Her verkündete Russland im November den Abschluss eines Vertrags über die Lieferung von S-300-Flugabwehrraketen an den Iran. Dies beunruhigt vor allem die israelische Regierung, deren Möglichkeiten damit weiter eingeschränkt werden, gegen das iranische Nuklearprogramm bei Bedarf militärisch vorzugehen.
Iranische Revolutionsgarden oder verbündete arabische Schiitenmilizen bewegen sich nicht nur in Syrien, sondern auch im Libanon, im Irak und im Jemen vom Westen unbehelligt, was offen als Erfolg quasiimperialen Einflusses gefeiert wird. So zog der Rohanis Berater Ali Younesi im März die Wut arabischer Kommentatoren auf sich, als er Iran und Irak als untrennbare Einheit bezeichnete.
Vor allem der Krieg in Syrien hat die Islamische Republik viel Prestige gekostet. Vorbei sind die Zeiten, als Ahmadinejad und der mit dem Iran verbündete Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah sich als antiisraelische Avantgarde der islamischen Welt gerieren konnten. Heute werden das iranische Regime und seine Verbündeten in der Region vor allem als sektiererische Massenmörder an sunnitischen Arabern wahrgenommen. Auch militärisch mussten die Herrscher des Iran in Syrien empfindliche Verluste hinnehmen. Brigadegeneral Hossein Hamedani, ein führender Revolutionsgardist, der auch für die Niederschlagung des demokratischen Aufstands im Iran im Jahr 2009 verantwortlich war, wurde bei Kämpfen in Syrien im Oktober getötet, ebenso ging es Dutzenden anderen hohen iranischen Militärs.
Presseberichten zufolge sprach Qassem Soleimani, der Führer der für militärische und Terroraktivitäten im Ausland zuständigen »Quds«-(Jerusalem-)Brigade, im Juli in Moskau vor, bat um erweiterte Militärhilfe für das zu diesem Zeitpunkt vor dem Kollaps stehende Assad-Regime und begab sich später selbst nach Syrien, um dort die iranisch-russische Zusammenarbeit zu koordinieren. Der Nationale Widerstandsrat des Iran veröffentlichte jüngst ein detailliertes Statement, in dem er erklärte, dass Soleimani in Syrien schwer verletzt und nach Teheran ausgeflogen worden sei. Falls sich die Nachricht bestätigt, wäre der Verlust eines so wichtigen Akteurs der schiitisch-islamistischen Revolution an der syrischen Front ein schwerer Schlag für die Moral der iranischen Revolutionsgarden.

Die Probleme der Islamischen Republik mögen politische Kräfte im Westen zu der Annahme verleiten, das Regime müsse selbst ein Interesse an Deeskalation und internationaler und überkonfessioneller Kooperation haben. Die Islamische Republik bewegt sich jedoch seit ihrer Gründung im Krisenmodus und der Kampf gegen die USA und für die Vernichtung Israels ist ihre raison d’être. Schlimmer als jeder sunnitisch-islamistische Konkurrent ist für die Herrscher in Teheran die Aussicht auf nicht konfessionell definierte gesellschaftliche Bündnisse, die ihnen die Möglichkeit zur manipulatorisch-terroristischen Einflussnahme streitig machen würden. Im Irak haben sie die Destabilisierung des Landes durch die schiitische Autokratie des ehemaligen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki unterstützt, was den Wiederaufstieg des geschwächten sunnitischen Jihadismus nach dem Abzug der USA 2011 ermöglichte.
In Syrien wiederholt sich diese Entwicklung angesichts des Terrors des syrischen Regimes gegen die sunnitische Bevölkerungsmehrheit. Ohne die militärische und finanzielle Unterstützung aus dem Iran wäre Assads Regime wohl schon längst gestürzt.
Mehdi Taeb, einer der engsten Berater des obersten religiösen Führers Khamenei, äußerte 2013: »Wenn wir Syrien verlieren, können wir Teheran nicht halten.« Diese Aussage mag auf den ersten Blick erstaunen. Syrien ist kein Nachbarland des Iran und die aus dem historischen Panarabismus hervorgegange Diktatur Assads kein Klon der Islamischen Republik. Vereint sind die Systeme in der sogenannten Achse des Widerstands gegen Israel, die die iranischen Islamisten offenbar als entscheidend für ihr politisch-ideologisches Überleben betrachten. Ihr Hauptinteresse liegt in der Versorgung der libanesischen Hizbollah mit Waffen über Syrien, um ein durch die Islamische Republik kontrolliertes Kriegspotential an der israelischen Grenze zu erhalten.
Die Bereitschaft des iranischen Regimes, für seine Macht in Syrien seine Beziehungen zur sunnitisch-arabischen Welt und das Leben seiner wichtigsten militärischen Kader aufs Spiel zu setzen, ist offenbar ungebrochen.