Rausch und Revolution. Eine Antwort auf Daniel Kulla

Aufklärung und Rauch

In der Debatte um die Legalisierung von Cannabis sollte auch über Genuss geredet werden. Eine Antwort auf Daniel Kulla.

Immer, wenn ich Texte von Daniel Kulla über Rausch und Drogen lese, kommt mir komischerweise das sketchartige Stück »Dummy Up« von Frank Zappa in den Sinn. Darin verleitet Zappa als »Evil Dope Pusher« seinen Saxophonisten Napoleon Murphy Brock in der Rolle des naiven, ungebildeten Musikers dazu, erst eine in ein Highschool-Abschlusszeugnis gewickelte alten Socke und dann einen »College-Degree« als Joint zu rauchen. Offensichtlich wollte der alte Lästerer und Drogenverächter Zappa damit den Hippie-Kult um »bewusstseinserweiternde Drogen« durch den Kakao ziehen.
Dieser Mythos wird von Kulla in verklausulierter Form wieder aufgewärmt, wenn er die »psychedelischen und revolutionären Anteile des Cannabisrauschs« beschwört. Er betont zwar, »dass der Rausch und auch seine potentiell revolutionären Anteile nicht einfach aus der Substanz« kommen, versucht aber dennoch beharrlich, dem Rausch »revolutionäre Potentiale« abzugewinnen. Die müsse zwar jede und jeder im Durchgang der Rauscherfahrung selbst entdecken, aber irgendwie hat das bei Kulla dann doch wieder »wegen seines Wirkungsspektrums« etwas mit Cannabis als Substanz zu tun. Und das erinnert dann eben doch wieder etwas an die alten Mythen von den »bewusstseinserweiternden« psychedelischen Drogen wie Cannabis und vor allem LSD. Gerne werden diese dem angeblich »dumpfen« Alkohol entgegengestellt. Um dies als Teil der Mystifika­tion zu entlarven, genügt schon ein Blick auf die Bibliotheken füllende Menge an Weltliteratur, die unter massivem Einfluss von Rotwein oder stärkeren geistigen Getränken zustande kam. Trotzdem ist kaum jemand auf die Idee gekommen, geistige Getränke als »bewusstseinserweiternde Drogen« zu feiern.
Per se, rein von der pharmakologischen Wirkung her, ist der Genuss von Cannabis genauso bewusstseinserweiternd (oder eben nicht) wie das Trinken von Rotwein oder das Essen von Schinkenbroten. Kritische Reflexion und die Infragestellung gesellschaftlicher Konventionen wie herrschaftlicher Zwänge stellen sich in den Köpfen der Subjekte völlig unabhängig von deren Drogenkonsumgewohnheiten ein. Dumpfe, unreflektierte Konformisten werden nach dem Genuss einiger Joints genauso solche bleiben wie nach dem Genuss einiger Biere. Nun soll keineswegs bestritten werden, dass, wie Kulla formuliert, »dem Rausch, den jeder Mensch zuallererst selbst ›macht‹«, auf individueller Ebene unter Umständen tatsächlich emanzipative Qualitäten zukommen können.
Dass diese Umstände sich einstellen, liegt aber an einer bestimmten, unter anderem eben mit der Be­fähigung zu kritischer (Selbst-)Reflexion verbundenen Erfahrungsfähigkeit, die dem Rausch vorgängig ist und sich nicht auf wundersame Weise durch diesen selbst einstellt. Auch hier würde Kulla sicher zustimmen.

Die Frage ist aber, wie dieser Moment des »geglückten« Rausches erreicht werden soll. Hierfür schlägt Kulla nämlich eine Reihe von rauschbegleitenden Maßnahmen vor, die schließlich in einer »Dialektik des kontrollierten Kontrollverlusts« kulminieren sollen. Nun ist aber ein »kontrollierter Kontrollverlust« zunächst einmal so etwas wie der Versuch einer Hungerkur mittels Sahnetortenverzehr. Was Kulla in diesen durchaus undialektischen Widerspruch treibt, ist ein Ton, der sich durch seinen Text zieht, dem Autor selbst aber offensichtlich entgangen ist. Es handelt sich um das Grundrauschen des Betriebs, den er doch durch »revolutionäre Potentiale« des Rausches nachhaltig stören will. Ständig sollen die Leute bei Kulla was aus ihrem Rausch machen, »Übungen« unternehmen, »erkunden« und etwas »schaffen«. »Rauscherkundung« und »politische Aktion« sollen gar »ständig aufeinander zurückwirken«, auf dass der Rausch nicht etwa zum »Selbstzweck verkomme«. Das erinnert manchmal fast an den Selbstoptimierungssprech der »New Economy«, deren Reduktion von Cannabis auf eine stressausgleichende Gebrauchs­droge Kulla ja gerade kritisiert, und droht so die im Rausch gesuchte Aufhebung verinnerlichter gesellschaftlicher Zwänge in schnöde Arbeit am Selbst zu verwandeln.
Wenn aber der Rausch zu einer geglückten Erfahrung mit emanzipatorischem Potential werden soll, muss er sich vielleicht gerade selbst genügen. Zu denken wäre dabei eher an eine Dialektik, wie sie etwa Horkheimer und Adorno im Abschnitt über die sich selbst genügenden »Lotus­esser« in der »Dialektik der Aufklärung« beschrieben haben. Die temporäre Suspension des zielorientierten, zweckgebundenen Denkens und Handelns der instrumentellen Vernunft als gleichsam vorgeschichtliches »Glück an den ›Rändern der Welt‹«, welches die »selbsterhaltende Vernunft« nicht zugeben und dulden kann – in dem dauerhaft zu verweilen aber nur um den Preis totaler Regression möglich wäre. »Auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen, ›sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung‹ könnte an Stelle von Prozess, Tun, Erfüllen treten und so wahrhaft das Versprechen der dialektischen Logik einlösen, in ihren Ursprung einzumünden« bringt Adorno im Aphorismus »Sur l’eau« in den »Minima Moralia« das Glücksversprechen einer emanzipierten Gesellschaft jenseits materieller Not auf den Punkt und hält dies dem Produktivitätsfetisch der traditionellen Linken entgegen.
Wenn solche Überlegungen auf emanzipatorische Potentiale des Rausches bezogen werden, bedeutet das aber: Je stärker diese durch Wollen und Machen entfaltet werden sollen, desto weiter entzieht sich das gewünschte Ziel. Natürlich soll damit keineswegs die Festlegung auf einen Zustand kontemplativer Stille und Innerlichkeit empfohlen werden. Selbstverständlich kann sich eine geglückte Rauscherfahrung auch in geselliger Runde oder dem Zustand höchster körperlicher Aktivität einstellen, etwa beim Tanz. Und selbstredend sind solche Erfahrungen ebenso gut ganz ohne Drogen möglich, etwa beim Genuss von Musik oder Kunst. Wir reden also hier eigentlich längst nicht mehr von Drogen wie Cannabis, sondern vom Genuss als solchem und seinen gesellschaftskritischen Potentialen.
Genau darüber ist aber auch im Zusammenhang mit der Verbots- bzw. Legalisierungsdebatte über Cannabis zu sprechen. Deren Irrationalität ist nämlich ebenso eng mit der Frage nach dem Stellenwert des Genusses wie mit der Idee vom subversiven Potential des Rausches verbunden. Hat sich doch die Mär von der »bewusstseinserweiternden Droge« mit revolutionärem Potential als höchst negative self full filling prophecy erwiesen. Auch als die »umherschweifenden Haschrebellen« längst Geschichte geworden, Kiffen als Revolutionsfolklore gründlich aus der Mode gekommen und zur Alltagsdroge geworden war, haftete dem Cannabis im durch und durch ideologischen Prohibitionsdiskurs immer noch der Ruch des Subversiven, des Krauts der Hippies und Gammler und anderer gefährlicher Subjekte an. Besonders die angeblich faulheitsfördernde Wirkung des Krauts hatte es den Prohibitionsverfechtern derart angetan, dass von Medizinern eigens das »amotivationale Syndrom« als angeblich bedeutendste Nebenwirkung der Droge erfunden werden musste. Würden durch Aufhebung des Cannabisverbots hier die Zügel gelockert, so läge bald die halbe Nation nur noch bekifft kichernd auf dem Sofa – mit sowas ist kein Staat zu machen und bald wäre es aus und vorbei mit deutscher Wertarbeit und Exportweltmeisterei. Hinter diesem von keiner Empirie gedeckten, aber umso hartnäckiger beschworenen Schreckensbild steht nichts anderes als die pathische Projektion einer von Produktivitätswahn beherrschten »Leistungsgesellschaft«. Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass sich dieses Paradigma des Prohibitionsdiskurses so langsam aufzulösen beginnt, nachdem das fordistische Produktivitätsparadigma durch die »New Economy« und ihre Kreativbranchen zurückgedrängt wurde und die Selbstoptimierungspotentiale der Droge als für den Verwertungszusammenhang nützliche ins Blickfeld rücken.
Dass wir aber selbst von einer solchen, dem Verwertungszusammenhang gegenüber affirmativen Wendung im Mainstream des Cannabisdiskurses immer noch weit entfernt sind, hat nicht nur mit dem hartnäckigen Fortwirken von Ideologien zu tun, denen gesellschaftlich eigentlich längst der Boden entzogen ist. Durch die gesamte Drogendiskussion zieht sich vielmehr eine ideologische Verblendung, deren Ausmaß weit über den Gegenstand dieser Debatte hinausweist. Verhandelt wird hier eigentlich die herrschaftliche Regulation der Körper und ihrer Lüste und Genüsse durch den Staat. Nicht zufällig heften sich an den Drogengebrauch die gleichen Ängste vor gesellschaft­lichem Ordnungsverlust, die gleichen Straf- und Zwangsphantasien, die sich bisher vornehmlich an der Sexualität austobten. Man könnte geradezu den Eindruck gewinnen, dass sich diese autori­tären Bedürfnisse und Energien in dem Maße auf Drogenkonsumenten verlagerten, wie sie sukzessive von der Sanktionierung normabweichenden Sexualverhaltens abgezogen wurden.

Ein zentrales und oft unterbewertetes Element ist dabei die Genussfeindlichkeit. Das lässt sich auch an der Medizinalisierung des Diskurses über Cannabis ablesen. Denn auch dabei bleibt der Zirkel von Strafen und Leiden ungebrochen. Wurde bisher das Leiden des Drogenkonsumenten wesentlich durch Repression und Strafe erzwungen, so wird nun nachweisbares Leiden zur Voraussetzung, um legal an Cannabis zu gelangen. Im Kern besteht die hier wirksame pathische Projektion darin, dass es so etwas wie Glück ohne Leiden und Genuss ohne Reue nicht geben kann und darf.
Ein auch nur halbwegs vernunftgeleiteter Diskurs über Gebrauch, Gefahren und möglichen Nutzen von Cannabis und anderen Drogen wird erst dann überhaupt möglich sein, wenn allgemein als legitim akzeptiert wird, was vermutlich bereits seit den Anfängen menschlicher Kultur ohnehin der Fall ist: dass nämlich Menschen zuweilen solche Substanzen zu sich nehmen, aus dem einen und einzigen Grund, dass es ihnen Genuss bereitet. Um dorthin zu gelangen, ist wohl noch viel Aufklärungsarbeit von klugen Köpfen wie dem 2011 tragisch zu Tode gekommenen Günter Amendt nötig. Ob die Aufladung des Drogendiskurses mit rational ohnehin nur schwer begründbaren Revolutionserwartungen dabei hilfreich ist, kann bezweifelt werden.