Ich bin Volker

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»Wir sind das Volk« – die einprägsame Punchline der Montagsdemonstrationen soll nun Rechtspopulisten aus Schleswig-Holstein gehören. Nachdem die Stadt Leipzig und mehrere Privatpersonen erst vor einigen Wochen die Namensrechte an dem Claim abgegeben hatten, schlugen angehende Politikprofis aus Norderstedt zu. »Wir sind das Volk WSDV/Deutsche Volkspartei« heißt ihre Truppe, sie tritt am 26. Mai zur Kommunalwahl an. Wer wissen will, wie Webdesign 1980 ausgesehen hätte, dem sei ein Besuch ihrer Online-Präsenz empfohlen. Es gibt stilechte Flyer, neue Perspektiven auf Rechtschreibung und Zeichensetzung sowie unmissverständliche Positionen zu Deutschland. Denn dieses Land ist bekanntlich durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs unterdrückt und von Überfremdung gepeinigt. »Jeder Deutsche mit gefestigtem Bezug zum deutschen Reich« kann Mitglied werden. Die Partei sagt: »Wählen Sie sich selbst, denn ›Wir sind das Volk WSDV Deutsche Volkspartei«. Darauf muss man erst einmal kommen!   OKO
Lutz Schulenburg
Er hatte gerade noch seinen 60. Geburtstag gefeiert. Im Verlag, seit einer Weile in Hamburg-Altona ansässig, erwartete man seine baldige Rückkehr aus der Rehaklinik. Lutz Schulenburg gründete die Edition Nautilus Mitte der siebziger Jahre. Es sollte ein linker Verlag werden. Situationistisch, undogmatisch, radikal – früh widmete sich die Edition Nautilus künstlerischem Aktionismus sowie Publikationen subkultureller Texte und verband dieses Interesse mit einem Hang zur Unterhaltung. Der Verlag bewegte sich im Laufe der Zeit aus seinem Nischendasein heraus und konnte zum Beispiel mit dem Krimi »Tannöd« von Andrea Maria Schenkel einen kommerziellen Erfolg erzielen. Schulenburg war als Buchverleger und Herausgeber von Zeitschriften wie »Die Aktion« und »MAD« ein eigensinniger Selbstdenker, heißt es. Einer, mit dem sich streiten ließ, ein »fröhlicher Anarchist« mit sarkastischem Humor. Am Morgen des 1. Mai ist Lutz Schulenburg nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Seine Frisur blieb bis zuletzt unverändert.   OKO
Der Ollfaktor
Jährlich neue Düfte. Chanel-Parfumeur Jacques Polge sagte der Faz kürzlich: »Das Problem ist, sich davon abzuheben und etwas zu schaffen, das gleichzeitig über verschiedene Moden hinweg bestehen kann.« Für dich vielleicht, Chanel! Perfumes Mayr Plattenberg aus Hamburg hingegen wissen, was ewig gilt, und bringen ihr Parfum »Dreckig bleiben« auf den Markt. In großen Parfumhausketten wolle man den Duft nicht verkaufen, »Dreckig bleiben« ist auch ein Kunstprojekt und soll den Geruch von Rauch, »wie er auf dem Bauwagenplatz so typisch ist« verströmen. Redaktionsmitglieder der Jungle World haben sich als Testpersonen zur Verfügung gestellt: »Etwas ranzig«, hieß es aus einer Ecke, »als würde man betrunken neben einem fremden Mann aufwachen.« Aus einer anderen: »Nach vier Stunden wird der Duft süßlich, als würde man neben seiner Großmutter einschlafen«. Während bezüglich der Genderfrage die Meinungen auseinandergingen, war man sich in einem Punkt einig: »Der Axe-Effekt bleibt aus.«   OKO
Anderthalb Jahrhunderte Gemütlichkeit
Wenn diese Couch sprechen könnte. Aber sie kann es nicht, sie fällt fast auseinander, ächtzend unter den Geschichten, die sie sich anhören musste. Von Dora und dem Wolfsmann. Sigmund Freuds berühmtes Möbelstück benötigt dringend eine Restaurierung. Es muss sich jemand kümmern, ein paar tausend Pfund aufbringen, das Freud-Museum in London unterstützen, vor Ort behutsam basteln und erneuern, damit sie uns erhalten bleibt. Ganze Gesellschaften könnten darauf Platz nehmen.   OKO