Über Christiane Rösingers Soloplatte »Songs of L. and Hate«

In den Theatern dieser Welt

Lakonisch, desillusioniert und schwermütig. Auf ihrer ersten Soloplatte »Songs of L. and Hate« klingt Christiane Rösinger trauriger denn je. Aber sie lässt sich trotzdem niemals unterkriegen.

Es geht um eine romantische Kunstauffassung. Leben als Poesie und Poesie als Leben.« Große Worte sind das von Christiane Rösinger, gelassen ausgesprochen. Am liebsten hätte man in alter Rap-Manier »Word!« gesagt, wenn es nicht so unpassend gewesen wäre. Christiane Rösinger lehnt sich zurück, bläst Zigarettenqualm in den Raum und fährt fort, über die Durchdringung von Kunst und Leben zu reden. »Ach, ich bin noch so eine alte Authentizitätsnudel«, sagt sie irgendwann. Das gibt es doch gar nicht, denkt man da als supercleverer Diskurspopper. Das A-Wort positiv zu wenden, das darf man doch gar nicht machen! Doch damit nicht genug: Es sei natürlich vollkommen unpopulär, aber selbst bei Schriftstellern finde sie am Autobiographischen den größten Gefallen. »Der grüne Heinrich« von Gottfried Keller sei hierfür ein treffendes Beispiel. Einer ihrer Lieblingsromane. Noch dazu ein Roman über Desillusion. Eine Weltsicht, die sich seit gut 20 Jahren leitthematisch durch das ganze Werk Rösingers zieht.
Christiane Rösinger wollte schon immer Sängerin werden. Auch auf dem Acker schon, damals im badischen Hügelsheim. Dort singt die Heldin ihres autobiographischen Romans »Das schöne Leben« zwischen Karotten, macht eine Lehre im Buchhandel, hält es schließlich nicht mehr aus und ergreift die Flucht: »Ich muss hier weg, nach Berlin ziehen, eine Band suchen.« Also gründete Christiane Rösinger Ende der Achtziger, zusammen mit Almut Klotz, die Lassie Singers. Eine Band, die den Protest der Riot Grrrls sehr, sehr catchy klingen ließ. 1997 dann formierte sich die Band Britta, deren bisherige vier Alben auf dem eigenen Label »Flittchen Records« veröffentlicht wurden.
Umso verwunderlicher, dass mit »Songs of L. and Hate« nun ein Soloalbum erscheint, noch dazu nicht auf dem eigenen Label, sondern bei Staatsakt. Endlich freigeschwommen? Auflösungsgerüchte werden dementiert, Rösinger hatte schon seit Jahren geplant, ein Singer-Songwriter-Album zu machen. Das »Prinzip Indie-Rock«, wie sie es nennt, auch mal hinter sich zu lassen. Genau genommen war sie schon als 14jährige von der Tiefe eines Leonard Cohen begeistert, dem auch der Album-Titel entlehnt ist. Für das Arrangement, die Verfeinerung der Stücke, zeigt sich Andreas Spechtl verantwortlich, den Rösinger seit vier Jahren kennt und der bei der Band Ja, Panik singt.
Christiane Rösingers Gesang steht auf diesem sehr traurigen Album deutlicher denn je im Vordergrund. Wobei »traurig« eine viel zu profane Bezeichnung ist. »Ich habe einen großen Hang zur Schwermut«, sagt Rösinger, klingt elegant dabei und zündet sich noch eine Zigarette an. Schwermut sei mit Melancholie gleichzusetzen, dieser Modekrankheit aus dem 19. Jahrhundert, für die Victor Hugo ein Bonmot bereitgestellt hat: »Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein.« Tatsächlich könne Rösinger das Grübeln und Denken in Endlosschleifen teilweise genießen, wobei die lästige Antriebsschwäche ihr schon häufig zu schaffen mache. Aber zum Glück gibt es ja Ärzte, die in solchen Situationen Wirksames zu verordnen wissen. Gymnastik beispielsweise. Gymnastik? Liebe Ärzte, wie soll das denn gehen, wenn man nicht aus dem Bett kommt? »Songs of L. and Hate« mag streckenweise pessimistisch klingen. Aber es ist dieser eigentümlich zweifelnde Trübsinn, der so faszinierend ist. Weil er nicht die Option liefert, sich an fremdem Leid zu laben, kein wei­teres Erbauungsvehikel liefert. Denn bei aller auf den ersten Blick teilweise vordergründig erscheinenden Privatheit ist Rösingers Pessimismus vor allem einer, der gerade zu dem passt, was draußen so vor sich geht. »So ein desillusionierter Blick auf die Welt ist schon gut«, sagt sie einfach und gerade heraus.
»Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht«, hieß es auf Brittas viertem Album. Der Song traf den Nerv der Zeit, Rösinger wurde zum Dauergast in Diskussionsrunden. Als »Panelproletarier« verdiente sie Geld damit, keines zu haben. Daran hat sich nicht viel geändert, was unter anderem den Labelwechsel motivierte. »Immer musste ich alles selber finanzieren. Das war so anstrengend. Ich konnte einfach nicht mehr.« Außerdem gab es da doch noch dieses verlockende Fernziel. In »Das schöne Leben« gelangt Rösingers Protagonistin schon früh zu der überaus einleuchtenden Schlussfolgerung: »Was will man machen? Eigentlich nie mehr arbeiten!« Spricht da Herman Melvilles Bartleby, der seine Verweigerung stets als nonchalantes »I would prefer not to« äußerte? Rösinger nannte ihren Lifestyle »Leben im Liegen« und sagt, laut lachend, als hätte sie es gerade erst festgestellt: »Weißt du was? Manchmal denke ich, ich habe es tatsächlich geschafft!«
Aber noch sitzt Christiane Rösinger in diesem verlassenen Café, um mittelmäßig einfallsreiche Fragen zu beantworten. Das Lob der Faulheit – nennen wir es einfach mal so – verdeutlicht ihren Bezug zu einem Bohème-Begriff alter Schule. Als Künstlerin hat sie mit den digitalen Ich-AGs und willigen Selbstunternehmern nur wenig gemein. Ideologisch und ästhetisch, wie sie im Song »Berlin«, einem weiteren Zeugnis ihrer Hassliebe zu dieser von geifernden Hostelhorden überrannten Stadt, anschaulich verdeutlicht. Es wird ausgeteilt: »Wenn die Freiberufler die Cafés besetzen und die Laptop-Poser sich aufs Neue vernetzen. Mit den Kreativen und den ganz Naiven, ja dann sind wir wieder in Berlin. Wenn die Öko-Eltern sich zum Brunchen treffen und die Arschloch-Kinder durch die Cafés kläffen … « Lässt sich hier eine verständnislose Altersdesillusion herauslesen? Auf keinen Fall. »Die ist nämlich das Allerschlimmste!« so Rösinger. Typen um die 50, die alles scheiße finden und behaupten, alles angeblich Neue sei doch eh schon mal da gewesen. Und überhaupt: die jungen Leute! Nein, Rösinger geht es darum, alles mitzunehmen. Trotz bescheidener Mittel, die ihr zur Verfügung stehen. Dem Ausgeh-Komplex, über die Jahre zu ihrem Thema geworden, hat sie mit »Hauptsache raus« auch auf dem neuen Album einen Song gewidmet: »Doch ich tu’, was ich kann, und ich lass’ mich nicht gehen. Mich wird keiner am Boden sehen!«
Welche Optionen bieten sich Christiane Rösinger jetzt noch, wie soll es weitergehen? Die Frage stelle sich doch nicht ernsthaft, sagt sie. Hm, schade. Der Zug ist also abgefahren. Nein, keinesfalls! Vielmehr müsse sie sich einfach nicht mehr entscheiden, was doch eine wirklich privilegierte Situation sei! Und die Solo-Karriere, wo wird sie enden? Lächelnd sagt sie: »Ach, eigentlich hab’ ich gedacht: in den Theatern dieser Welt!«

Christiane Rösinger: Songs of L. and Hate (Staatsakt/Rough Trade)