Tom Rachmann: »Die Unperfekten«

Das Verschwinden der Rätsel-Bretzel

Ein großes Thema wird verschenkt: Der Roman des Journalisten Tom Rachman handelt vom Zeitungssterben.

Aufmachertaugliche Stories, die unbedingt und völlig-egal-was mit Irak und Israel zu tun haben sollen. Journalisten, die nichts mehr fürchten, als dass sie ganz normale Leute auf der Straße ansprechen und sie nach ihren Ansichten befragen müssen. Kaputte Drehstühle, die sich in einer Ecke des Redaktionsflurs türmen, weil niemand weiß, wer hier eigentlich fürs Wegschmeißen zuständig ist. Und ein verkeimter Teppich im Newsroom, der seit 1997 nicht mehr gereinigt wurde.
Es sind genau diese Beobachtungen, die verraten, dass Tom Rachmans Roman »Die Unperfekten« mitten aus dem Redaktionsleben gegriffen ist. Solche Details kann man nicht erfinden. Man muss sie recherchieren, oder man muss sowas erlebt haben. Vielleicht war es also das Versprechen der Authentizität, das dem Debüt des 1974 in London geborenen Autors so viele Vorschusslorbeeren eingebracht hat.
Rachman war als Auslandskorrespondent für die Associated Press in Rom unterwegs und als Redakteur der International Herald Tribune in Paris tätig, bevor er seinen Job hinschmiss und sich ans erste eigene Buch setzte. Als Journalist habe er »glänzende Karriereaussichten« gehabt, bescheinigt ihm der Verlag, der für das Manuskript von »The Imperfectionists«, so der Originaltitel, einen der höchsten Vorschüsse hingeblättert haben soll, die in den vergangenen zehn Jahren für ein Debüt bezahlt wurden. Die Summe liegt angeblich irgendwo zwischen 250 000 und 500 000 US-Dollar, und zwar allein für die US-Rechte an einem Buch, das in Blockbuster-Manier zeitgleich in zehn Ländern, darunter auch Deutschland, veröffentlicht wird. Man merkt, die Marketingabteilungen geben Vollgas, um den Ex-Journalisten zum neuen Superstar der Literatur aufzubauen.
Wie großartig aber ist sein Buch? Erzählt wird vom Aufstieg und Niedergang einer Tageszeitung in Rom, der das Internetzeitalter zum Verhängnis wird. Das Sujet ist also wie gemacht für einen Gesellschaftsroman. Endlich mal kein Familienepos, sondern ein Buch über die Krise, das Zeitungssterben und die Suche der Printmedien nach einem Geschäftsmodell für das Online-Zeitalter.
Hofft man. Begeisterung aber kann die Lektüre nicht auslösen. In jedem Kapitel wird die Geschichte eines Protagonisten der Zeitung erzählt. Häppchen für Häppchen. Da ist die fordernde Chefredakteurin, die von ihrem Ex-Liebhaber zu hören bekommt, dass er sich mit ihr im Bett immer unwohl gefühlt habe. Es gibt den antriebslosen (und ein bisschen an Jude Law in »Closer« erinnerenden) Nachrufschreiber, der durch Umstrukturierungen im Verlag plötzlich nicht mehr nur Todesfälle und Rubriken wie die Rätsel-Brezel betreut, sondern zum Kulturchef ernannt wird. Den alternden Paris-Korrespondenten, der noch immer keine Mails schreiben kann und nur zeitlose Langweiler-Berichte in die Redaktion faxt. Und das Verleger-Söhnchen, das lieber mit seinem Bassett spazieren geht, als die Geschicke des Hauses zu lenken. Mehr oder weniger haben alle eine Klatsche, mindestens aber ein Alkoholproblem oder Beziehungsstress.
Ergänzt und zusammengebunden werden die Porträts durch Auszüge aus der Verlagschronik, die die wichtigsten Stationen der Unternehmensgeschichte abhandeln, von der Gründung der Zeitung über den Relaunch bis zur Pleite.
Routiniert werden Privatleben und Job, Familie und Verlag, Beziehungsprobleme und Karrierestress in den Erzählungen miteinander verknüpft und ineinander gespiegelt. Man fühlt sich ein bisschen an die Machart von Serienklassikern wie »Ally MacBeal« und »Emergency Room« erinnert. Hardy Benjamin ist übergewichtig, sitzt im Wirtschaftsressort, interviewt Finanzanalysten aus Paris, London oder Frankfurt, muss aber noch lernen, dass man sich nicht von einem unverschämten 20jährigen Gammlertyp mit Dreadlocks ausnutzen lässt.
Man erwartet einen aufregenden Medienroman, was man jedoch zu lesen bekommt, sind teils charmante, teils aber auch zähe Erzählungen aus dem Zeitungsmilieu, die nur lose miteinander verbunden sind. Keineswegs verfügt das Buch über die großzügige Architektur des Gesellschaftsepos, allenfalls könnte es als Episodenroman durchgehen. Zu keiner Zeit wird die Wucht der Zeitungskrise spürbar, alles versackt im Klein-Klein des Anekdotischen. »Thema verschenkt«, würde es bündig in einer Zeitungskritik heißen.

Tom Rachman: Die Unperfekten. Aus dem Englischen von Pieke Biermann. DTV, München 2010, 400 Seiten, 14,90 Euro