Streiken gegen die Gewerkschaft. Arbeitskämpfe in China

Rebellion ist gerechtfertigt

Die Streiks bei ausländischen Unternehmen in China dauern an. Sie richten sich auch gegen die staatlichen Gewerkschaften.

Entwickelt sich in China eine unabhängige Arbeiterbewegung? Nach einem zweiwöchigen Streik bei Honda standen bei Toyota im Süden Chinas sowie in der nördlichen Industriestadt Tianjin die Bänder still. Auch bei BMW im nordöstlichen Dalian und bei der Chongqing-Brauerei, an der die dänische Firma Carlsberg Anteile besitzt, kam es zu Protesten. Die chinesische Regierung hat mittlerweile die Berichterstattung über die Streiks stark eingeschränkt, und die offiziellen Gewerkschaften stellen sich nicht auf die Seite der Arbeiter.
Am 20. Juni berichtete das Wall Street Journal von einer Einigung zwischen den Streikenden und dem Management bei Toyota in Tianjin, nachdem die Regierung interviert haben soll. In den Werken, die 400 000 Autos im Jahr produzieren können, sollen die Löhne um 20 Prozent erhöht werden und Prämien für lückenlose Anwesenheit und die Arbeit an besonders heißen Tagen eingeführt werden. Kurz nach dieser Einigung traten beim japanischen Autoliefer Denso, der auch für Toyota produziert, etwa 1 100 Arbeiter erneut in den Streik und forderten eine Erhöhung der Monatslöhne von umgerechnet rund 140 auf 220 Euro.
Bei Honda und Toyota sollen sich die Streikenden sehr diszipliniert verhalten haben. Um eine Konfrontation mit den Einheiten der Anti-Riot-Polizei, die in China auch gegen Streikende eingesetzt werden, zu vermeiden, blieben die Arbeiter und Arbeiterinnen auf dem Werksgelände. Die Arbeiter in internationalen Konzernen scheinen enormen Druck ausüben zu können. Honda musste nach Angaben der offiziellen Zeitung China Daily rund 30 Millionen Euro Verluste pro Streiktag hinnehmen.
Nicht immer werden jedoch Zugeständnisse gemacht. Während der Proteste bei der taiwanesischen Gummi-Firma KOK International in Kun­shan verletzte der South China Morning Post zufolge die Polizei etwa 50 Arbeiter, die versuchten, ihrem Unmut auf der Straße Luft zu machen. Die Beschäftigten beschweren sich, dass in den Werkshallen eine Hitze von 40 bis 50 Grad Celsius herrsche und das Basisgehalt von 115 Euro pro Monat nicht vollständig ausgezahlt werde.

Die derzeitige Streikwelle in China hat eine neue historische Qualität. Zwar gab es in den vergangenen Jahren in China täglich Arbeiterproteste, die aber fast immer auf die Fabriken beschränkt blieben. Nur in der Provinz Liaoning, einem Zen­trum der Schwerindustrie im Nordosten, kam es im Jahr 2002 zu Massendemonstrationen und betriebsübergreifenden Streiks. Damals wehrten sich die Belegschaften der Staatsbetriebe im »Rostgürtel« gegen Entlassungen, Privatisierung und Rentenkürzungen. Die Kämpfe hatten rein de­fensiven Charakter und wurden nach dem Eingreifen der Zentralregierung, die einige Zugeständnisse machte und »Rädelsführer« verhaften ließ, gestoppt.
Derzeit erfasst die Streikwelle landesweit ausländische Betriebe wie Toyota und Honda. Die jungen Wanderarbeiter und -arbeiterinnen vom Lande fordern erhebliche Lohnerhöhungen und damit ihren Anteil am Wirtschaftswachstum. In den Staatsbetrieben ist der offizielle Gewerkschaftsbund ACFTU fest verankert, und die Bürokraten haben gute Kontakte zur Regierung. Sie sollen bei Konflikten als Schlichter fungieren, um zu vermeiden, dass es zu Arbeitskämpfen kommt. Größere Streiks in den Staatsbetrieben sind bisher unterdrückt worden.

In den Fabriken, die für den Weltmarkt produzieren, bestehen die Belegschaften allerdings aus jungen Migranten vom Land. Die lokalen Regierungen fühlen sich mit dieser »fremden« Bevölkerung nur wenig verbunden. Sie haben Verträge mit den ausländischen Firmen abgeschlossen und sind in erster Linie an hohen Steuereinnahmen und einer guten Wachstumsbilanz interessiert. Wie Kong Xianhong, der stellvertretende Vorsitzende des ACFTU der Provinz Guangdong, selbst zugibt, werden die meisten Gewerkschaftsvertreter in den ausländischen Betrieben direkt vom Management eingesetzt.
So ist es kein Zufall, dass sich die Streiks bei Honda und Toyota auch gegen die staatlichen Gewerkschaften richten. Bei Honda wählten die Streikenden ihre eigenen Repräsentanten, die sich mit einem Appell an die Öffentlichkeit richteten. Am 18. Juni durfte die linke Professorin Anita Chan, die in Australien lehrt, sogar in der China Daily einen Artikel veröffentlichen, worin sie demokratische Wahlen von Repräsentanten in den Betrieben und Gewerkschaften forderte. Der chinesischen Regierung scheint bewusst zu werden, dass die »gelben Gewerkschaften« bei der Disziplinierung der Arbeiter in den ausländischen Unternehmen nur von begrenztem Nutzen sind.
Die Zentralregierung hält bisher an ihrer altbewährten Politik fest und macht einerseits Zugeständnisse, lässt andererseits aber auch Proteste jenseits der Fabriktore unterdrücken. Die höheren Löhne müssen schließlich die ausländischen Konzerne selbst bezahlen. Nachdem in China jahrzehntelang anti-japanische Emotionen geschürt worden sind, käme der Einsatz von Gewalt gegen streikende Arbeiter in japanischen Konzernen bei der Öffentlichkeit nicht gut an. Die Streiks scheinen von der Regierung auch instrumen­talisiert zu werden, um China zu transformieren. Wegen der niedrigen Löhne ist das Land derzeit die »Werkbank der Welt«, künftig soll mehr für den Binnenmarkt produziert werden.

Auch in der Vergangenheit wurden Streikwellen von der KPCh immer wieder instrumentalisiert und unterdrückt, wenn sie außer Kontrolle gerieten. Anders als in vielen anderen realsozialistischen Staaten wurden in China Arbeiterproteste zeitweise zugelassen. Mao Zedong nutzte 1957 eine Streikwelle in Shanghai, um seine Kampagne gegen die Parteibürokratie voranzutreiben. 1967 mobilisierten die »linken Rebellen« während der »Kulturrevolution« die benachteiligten Wanderarbeiter gegen das Establishment. Als jedoch die Streikbewegung in Shanghai außer Kontrolle geriet, startete die Parteiführung eine Kampagne gegen den »Ökonomismus«, um die Ansprüche der Arbeiter wieder zu zügeln.
Im Jahr 1982 ließen die Reformer um Deng Xiaoping das Streikrecht, das während der »Kulturrevolution« in der Verfassung verankert worden war, wieder streichen. Sieben Jahre später wurde im Gefolge der Bewegung vom Platz des Himmlischen Friedens auch eine unabhängige Arbeiterföderation (gongzilian) gegründet, der sich allein in Peking in wenigen Wochen 20 000 Menschen anschlossen. Die Arbeiter unterstützten die Proteste der Studenten und wandten sich gegen die Entwertung ihrer Einkommen durch die Inflation. Die KPCh fürchtete das Aufkommen einer Bewegung wie der Solidarnosc in Polen. Mit dem Einsatz der Armee gegen die Bewegung am 4. Juni 1989 wurde auch die unabhängige Arbeiterföderation zerschlagen.
Seit dieser schmerzlichen Erfahrung wurde in China kein ernsthafter Versuch mehr unternommen, unabhängige Gewerkschaften zu gründen. Selbst in den Streik zu treten, ist daher für die Beteiligten sicherer. Mit Handys und Chats wie QQ koordinieren die Wanderarbeiter ihre Aktionen. Beverly Silver beschreibt in ihrem Buch »Forces of Labor«, dass die Autoindustrie bei den Streiks im 20. Jahrhundert die führende Rolle gespielt hat. Die zentralisierte Fließbandproduktion kann von Aktivisten an den richtigen Stellen relativ leicht lahmgelegt werden. Mit der Autoindus­trie wanderten auch die Streikzentren um die Welt, von den USA nach Europa, dann nach Brasilien, Mexiko und schließlich nach Südkorea in den achtziger Jahren. 30 Jahre, nachdem die KPCh den Klassenkampf für tot erklärt hat, scheint nun die Volksrepublik China an der Reihe zu sein.