Die Rose von Istanbul

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Die Untersuchung gegen Tansu Çiller wegen angeblicher CIA-Mitarbeit ist eingestellt worden - wegen Mangels an Beweisen
Nicht selten neigen auch Geheimdienste zu einer, zugegebenermaßen etwas eigenartigen, Form der Poesie: "Die Rose von Istanbul" soll der Codename der ehemaligen türkischen Ministerpräsidentin und Außenministerin Tansu Çiller gewesen sein. Zunächst hat vor gut drei Wochen der Staatsanwalt des türkischen Generalstabs, dann die Staatsanwaltschaft in Ankara gegen sie eine Untersuchung wegen des Verdachts auf Übermittlung von Staatsgeheimnissen an einen ausländischen Geheimdienst eingeleitet. Seit ihrer Studienzeit Ende der siebziger Jahre soll Çiller für den US-amerikanischen Geheimdienst CIA gearbeitet haben. Dieser Schlag gegen Çiller traf zeitgleich mit dem unfreiwilligen Abtreten der konservativ-islamistischen Regierungskoalition - in der Türkei zynisch als "sanfter Putsch" tituliert - zusammen. Nach monatelangem Ringen in dem vom türkischen Militär dominierten Nationalen Sicherheitsrat, der bereits im Februar ein Maßnahmenpaket zur Eindämmung des islamistischen Einflusses erlassen hatte, stellte der islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan schließlich sein Amt zur Verfügung.

Der Zusammenhalt zwischen Erbakan und Çiller hat den Zusammenbruch der einst rein auf Grundlage gemeinsamer Interessen eingegangenen Regierungskoalition überraschend unbeschadet überstanden. Çiller, die sich dereinst als Bewahrerin des Laizismus darstellte, setzt sich mittlerweile für die umstrittenen religiösen Predigerschulen ein und findet das Verbot des Kopftuches im öffentlichen Dienst undemokratisch. Ihr bleibt auch kaum eine andere Wahl. Sie weiß genau, daß außer den Islamisten alle anderen Parteien sie am liebsten vor den Hohen Gerichtshof bringen wollen. Und davor hatte sie in den vergangenen Monaten der islamistische Koalitionspartner bewahrt - in den zahlreichen, wegen Korruptionsvorwürfen gegen sie eingerichteten Untersuchungsausschüssen, die zum Teil auf Initiative der Islamisten zustande gekommen waren.

Mit ihrem Engagement für die Islamisten kollaboriert Çiller jedoch - aus der Perspektive des Generalstabs - offen mit dem Feind. Durchaus denkbar ist es deshalb, daß die plötzlich offiziell auftauchenden Spionagebeschuldigungen - initiiert wurde die Untersuchung durch den Staatsanwalt des Generalstabs - diesem Engagement einen Dämpfer versetzen sollten. Denn neu sind sie nicht. Ausgerechnet der inzwischen so getreue Erbakan hatte bereits 1993, als Çiller noch Wirtschaftsministerin im Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Süleyman Demirel war, verlauten lassen, "die Dame habe in der Vergangenheit Berichte an die CIA geliefert".

Ausgestreut werden diese unbestätigten Informationen seit Jahren durch das Sprachrohr der türkischen Arbeiterpartei, die Wochenzeitschrift Aydinlik, die wegen ihrer mittlerweile eher nationalistisch-kemalistischen als marxistischen Sichtweise auch zum Sprachrohr des türkischen Geheimdienstes MIT, dem Nachrichtendienst des Generalstabes, avancierte. Nicht nur die Informationen, die Aydinlik veröffentlicht, legen nahe, daß die Zeitung aus dem MIT versorgt wird; der Chefredakteur von Aydinlik, zugleich Vorsitzender der Arbeiterpartei, hat dies auf einer Pressekonferenz auch bestätigt.

Die Vorwürfe in Kürze: Çiller soll nach Erhalt des Doktortitels 1970 in den USA im CIA-Ausbildungscamp Peary nahe Washington gezielt für den späteren Einsatz als Informationsübermittlerin aus der Türkei ausgebildet worden sein. Danach sei sie für für das US-amerikanische Außenministerium im Ressort Naher Osten und Nordafrika als mobil einsetzbare Mitarbeiterin beschäftigt gewesen. Um 1973 soll eine geheime Mission sie nach Libyen geführt haben; tatsächlich hatte Muammar el-Ghaddafi bei seinem ersten Zusammentreffen mit ‚iller als türkischer Wirtschaftsministerin verkündet, sie seien "alte Bekannte". Nach dieser Bewährungsprobe habe der CIA sie in die Türkei geschickt, wo ‚iller jahrelang als Dozentin in der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät des ehemaligen US-amerikanischen Robert College, der heutigen Bosporus-Universität, tätig war. Laut Aydinlik soll der CIA sie in dieser Zeit mit einem Gehalt von 100 000 US-Dollar pro Jahr für Informationen über die Haltung der türkischen Regierung und des Generalstabs zu den USA entlohnt haben.

1979 wurde Çiller die US-amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen. Ihre Berichte, hauptsächlich mit Informationen zur wirtschaftlichen Lage, soll ‚iller jahrelang vor allem an die Mitarbeiterin im Ressort Naher Osten und Nordafrika des US-amerikanischen Außenministeriums, Elisabeth Shelton, übermittelt haben. Zugleich habe sie auf Geheiß der CIA durch Annäherung an den damaligen Ministerpräsidenten Turgut Özal bereits seit Anfang der achtziger Jahre versucht, sich eine Tür zur Politik zu öffnen.

Das allerdings gelang erst 1990, als der damalige Oppositionsführer Süleyman Demirel sie wegen einiger kritischer Artikel zur Wirtschaftspolitik Özals in seine Partei holte. 1991 gelangte sie in die türkische Nationalversammlung und wurde im gleichen Jahr Wirtschaftsministerin. Nach Özals Tod und Demirels Wechsel auf dessen Posten wurde sie 1993 Vorsitzende der Partei des Rechten Wegs (DYP) und Ministerpräsidentin.

Die Beziehung zu Elisabeth Shelton soll ‚iller die ganzen Jahre aufrecht erhalten haben. Zwischen 1987 und 1990 war Shelton Wirtschaftsattaché der US-amerikanischen Botschaft und zugleich Nachbarin ‚illers. 1994 wurder sie Konsulin in Adana, nach Aydinlik die Stelle des US-amerikanischen Beauftragten in der Kurdenfrage. Im Verbund mit Shelton soll Çiller die Operation Provide Comfort protegiert haben, die der bis zur jüngsten USA-Irak-Krise im vergangenen September von den USA dominierten Friedenstruppe, die die Situation der Kurden im Nordirak überwachen sollte. Gleichzeitig sei ihr auch die mit Hilfe oppositioneller irakischer Kurden gegen Saddam Hussein, Iraks Staatspräsidenten, geplante CIA-Operation bekannt gewesen; während der Irak-Krise habe sie ihr durch den Koalitionspartner Erbakan zugänglich gemachte Informationen aus dem irakischen Lager an die USA weitergegeben. Auch der Putschversuch gegen den aserbaidschanischen Staatspräsidenten Hayydar Alijew 1995 soll ein Werk US-amerikanischer CIA-Außenpolitik mit Hilfe der Çiller-Spezialtruppe gewesen sein, um den "moskautreuen" Alijew zu schassen.

Die Verbindung zwischen Çiller und die durch mafiose Kreise gestützte Kontraguerilla beschäftigt die Türkei seit Monaten - bislang allerdings ohne gerichtliche Konsequenzen für Çiller. Trotz zahlreicher Indizien, nach denen Çiller und ihr Ehemann ...zer ein Netz aus der Organisation des internationalen Drogen- und Waffenschmuggels zur eigenen Bereicherung sowie zur Finanzierung der Kontraguerilla gewoben haben, beschränkte sich der eingesetzte parlamentarische Untersuchungsausschuß auf die Anklage einzelner untergeordneter Personen aus dem Sicherheitsapparat. Jedoch auch Fikri Saglar, Mitglied des Ausschusses, geht davon aus, daß Çillers Geschichte unter ...zal begann und als wichtige Figur in der Kontraguerilla-Mafia-Affäre noch lange nicht beendet ist.

Ähnliche Blockaden gibt es um die Untersuchung von Çillers angeblicher CIA-Mitarbeit. Die Akte wanderte von der Militärstaatsanwaltschaft zum Staatssicherheitsgericht und zurück. Kurz darauf wurde die Untersuchung wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Angesichts des politischen Einflusses des Militärs, der sich durch das rasche Ende der Erbakan-Regierung erneut unter Beweis gestellt hat, bleibt daher mehr als fraglich, ob die "Rose von Istanbul" mit ihren Machenschaften tatsächlich Schlüsselfigur oder nicht vielmehr mittlerweile ungeliebter Teil eines Systems ist, das sich durch alle Instanzen zieht.