Töten auf tausend Meter

Die Bundeswehr will feindlichen Scharfschützen künftig mit noch schärferen Scharfschützen begegnen

Sarajevos vierspurige Magistrale hat während des Krieges von den Menschen einen neuen Namen bekommen - "Sniper-Alley", die Allee der Scharfschützen. Aus Hochhäusern wurde hier vor allem auf Zivilisten geschossen, oft aus 800 oder 900 Metern Entfernung. Nicht aus Spaß am Töten, eher um Angst zu verbreiten. Als eine unsichtbare, immer gegenwärtige Gefahr.

In der Bundeswehr, die vor Ort präsent war, führte das Studium dieser unerwarteten Bedrohung auch der eigenen Truppe zu handfesten Gegenmaßnahmen. Unverzüglich wurden den deutschen Scharfschützen im Sfor-Kontingent neue Präzisionswaffen gekauft. Die Zeitschrift Soldat und Technik, herausgegeben vom Bundesverteidigungsministerium, schrieb schon 1995, daß es darauf ankomme, "dieser Bedrohung Herr zu werden". Dazu bedürfe es eigener Scharfschützen, "die mit der richtigen Waffe zu versehen sind." Vor allem die im Aufbau befindlichen Krisenreaktionskräfte - gedacht für solche Auslandseinsätze in Krisen- und Kriegsgebieten - sollten mit neuen Scharfschützengewehren ausgerüstet werden. Dem internationalen Trend folgend mit größerem Kaliber, sprich größerer Durchschlagskraft, und Reichweiten bis 1 200 Meter. Diese Entwicklung erinnert fatal an die guten alten Zeiten des Wettrüstens zwischen Nato und Warschauer Vertrag. Allerdings auf einer ganz anderen Ebene.

Nach dem Ankauf etlicher Gewehre im Ausland begann die Bundeswehr im Frühjahr letzten Jahres mit umfangreichen Praxistests. Auch die deutsche Rüstungsindustrie versuchte hier mitzumischen, die Oberndorfer Mauserwerke beispielsweise mit ihrem neuen Präzisionsgewehr SR 93. Auf 100 Meter Entfernung sollen fünf Schuß aus dem freischwingenden Matchrohr maximal ein 2,5-Zentimeter-Loch reißen - allerdings nur bei festinstallierten Pappkameraden. Die britische und amerikanische Konkurrenz bei der Entscheidung für ein von der Bundeswehr dann G 22 genanntes Scharfschützengewehr ist allerdings enorm. Als Heeresinspekteur Generalleutnant Helmut Willmann im September 1996 der Presse Soldaten seines später einmal 1 000 Mann starken Kommandos Spezialkräfte vorstellte, da trug ein stark an einen zweibeinigen Busch erinnernder Scharfschütze unter den Vorzeigesoldaten das englische Gewehr Accuracy AWM-F. Eine Waffe, das beeindruckte die Journalisten, mit der man auf 800 Meter ein Fünfmarkstück treffen kann. Doch der Spezialtruppe geht es natürlich weniger um die Verteidigung des Kleingeldes von Zivilisten als um die Ausschaltung feindlicher Kommandozentralen.

Parallel zu solchen technischen Anschaffungen entwickelte das Heer gar ein spezielles "Scharfschützenkonzept". An der Infanterieschule in Hammelburg wird der Einsatz von gut ausgebildeten Scharfschützen als Bestandteil einer aktiven Risikovorsorge gesehen. Nun sind schon heute in jedem Bataillon des Heeres 18 bis 32 Scharfschützen zu finden. Sicher genug. Kritisiert wird jedoch beispielsweise in der Zeitschrift Truppenpraxis, daß es sich hier meist um Wehrpflichtige handelt: "Wehrpflichtige (W 10) scheiden als Scharfschützen aus, weil erweiterte taktische Einsatzerfordernisse und die Bedienung der neuen Waffentechnik eine längere Ausbildung zwingend erfordern." Profis, sprich längerdienende Unteroffiziere sind gefragt. Das ist wohl ein weiterer kleiner Abschied von der offiziell hoch gelobten Wehrpflichtarmee.

Es gibt Pläne, in jedem Bataillon geschlossene Züge mit 13 Scharfschützen zu schaffen. So ist die Bundeswehr dabei, eine weitere Elitetruppe aufzubauen. Schließlich sollen diese Soldaten neben ihrer ganzjährig laufenden Schießausbildung auch an Einzelkämpferlehrgängen teilnehmen. Schon die Kreiswehrersatzämter sollen unter jungen Männern nach geeignetem Personal Ausschau halten. Im Rahmen des Konzeptes ist auch an die Anschaffung von Gewehren mit Reichweiten über 1 200 Meter gedacht, um gegnerische Heckenschützen bekämpfen zu können, bevor diese in Gefechte eingreifen können. Die Umsetzung wird Ende dieses Jahres in Hammelburg mit dem ersten Scharfschützenlehrgang beginnen.