Freibier für Fixer

Probelauf wird verlängert

Eine erste Studie beweist den Erfolg des Schweizer Modellversuchs

Drei Jahre erprobten Schweizer Ärzte die kontrollierte Abgabe von Heroin an schwerstabhängige Patienten. Seit Juli liegt der 160seitige Synthesebericht über die "Versuche für eine ärztliche Verschreibung von Betäubungsmitteln" vor. "Diese Behandlung ist kein Ersatz für eine Abstinenztherapie, sondern vielmehr eine wertvolle Ergänzung", resümiert der Züricher Mediziner und Forschungsbeauftragte Ambros Uchtenhagen. Vom 1. Januar 1994 bis Ende 1996 wurden in 18 Behandlungsstellen - 17 Polikliniken und eine Strafvollzugsanstalt - 1 146 Drogensüchtige behandelt, darunter 30 Prozent Frauen. Zu dem Modellvesuch kam es, nachdem sich nach der Zerschlagung der offenen Drogenszene in Zürich sich bis ins Schweizer Bundesamt für Gesundheit immer mehr die Erkenntnis durchsetzte, daß die weitere Kriminalisierung und Vertreibung von Konsumenten illegaler Drogen keine Perspektive sein kann. Außerdem drohten durch den erhöhten Verfolgungsdruck die Schwarzmarktpreise erneut sprunghaft zu steigen und dadurch auch viele bisher sozial integrierte Abhängige in die Illegalität abgedrängt zu werden. Zielgruppe des ersten Heroin-Modellversuchs: Schwerstsüchtige, die an allen anderen Angeboten der Drogenhilfe gescheitert oder von ihnen nicht erreicht worden sind. Insgesamt wurden bisher 403 402 Behandlungstage der ersten 18 Monate in die Auswertung einbezogen. Getestet wurden neben Heroin zu Vergleichszwecken auch die Abgabe von Methadon und Morphin. Es stellte sich heraus, daß Methadon und Morphin nur beschränkt verwendbar waren. Heroin zeigte sich auch wegen der festgestellten geringeren Nebenwirkungen für eine ärztliche Verschreibung als besser geeignet.

Im Durchschnitt waren die Teilnehmer seit zehn Jahren schwer abhängig. Sie standen am Ende einer Suchtspirale von Kriminalisierung und Verelendung. Sie lebten meist auf der Straße, hatten keine Arbeit, waren gesundheitlich schwer geschädigt und sozial isoliert. Die meisten mußten wegen der hohen Kosten ihrer Sucht illegal Geld beschaffen - durch Kriminalität oder Prostitution. Die Aufnahmekriterien für das wissenschaftliche Projekt waren streng: Mindestalter 20 Jahre, seit mindestens zwei Jahren schwer abhängig und an Therapien mehrfach gescheitert. Die Injektion der verschriebenen Betäubungsmittel fand unter ärztlicher Aufsicht statt. Daneben gab es eine intensive psychosoziale Betreuung und ärztliche Versorgung. Die Süchtigen mußten sich einem Reglement von therapeutischen Programmen mit Gruppengesprächen, medizinischer Kontrolle, dreimaligem Erscheinen pro Tag und regelmäßigen Kontakten mit Betreuern unterwerfen.

Der Erfolg spricht für sich: Es gelang, die Drogensüchtigen körperlich und seelisch zu stärken. Der Gesundheitszustand verbesserte sich deutlich. Folgeerkrankungen wie Hautkrankheiten, kaputte Zähne, Aids und Hepatitis konnten behandelt werden. Depressionen, Angstzustände und wahnhafte Beschwerden gingen kontinuierlich zurück. Die Wohnsituation der Drogensüchtigen verbesserte sich rasch und hat sich stabilisiert. Niemand ist mehr obdachlos. Die Arbeitslosigkeit sank von 44 auf 20 Prozent. 32 statt 14 Prozent der Teilnehmer haben heute eine feste Anstellung. Schulden konnten kontinuierlich abgebaut werden, die Abhängigkeit von der Sozialhilfe sank drastisch. Auch der Kontakt zur Drogenszene nahm ab. Im Versuch selbst kam es zu keiner Infektion mit HIV oder Hepatitis und zu keiner tödlichen Überdosis. 89 Prozent der Probanden blieben sechs Monate, 69 Prozent sogar mehr als 18 Monate dabei - weit mehr als in jedem anderen Drogenprogramm. Jeder zweite Aussteiger wechselte in eine andere Therapieform. Die meisten von ihnen lassen sich jetzt trinkbares Methadon geben. 83 Patienten, fast zehn Prozent, schafften es sogar in eine Abstinenztherapie.

Der Konsum von illegalem Heroin und Kokain ging bei den Teilnehmern rasch und deutlich zurück. Nur fünf Prozent der Patienten konsumierten auch nach 18 Monaten neben dem legalen Heroin zusätzlich Kokain und neun Prozent Benzodiazepine. Der Alkohol- und Cannabiskonsum verringerte sich kaum. Vor allem für Frauen fiel der tägliche Zwang zur Straßenprostituiton weg. Massiv reduzierte sich auch die Kriminalisierung der Drogenabhängigen. Nur noch zehn statt 69 Prozent mußten ihr Einkommen mit illegalen Aktivitäten bestreiten. Sowohl die Zahl der Täter als auch die Zahl der Delikte sank bereits im ersten Halbjahr um rund 60 Prozent. Gerichtliche Verurteilungen nahmen entsprechend ab.

Auch eine gesellschaftliche "Kosten-Nutzen-Analyse" der Behandlung wurde erstellt. Die Kosten des Versuchs in den ambulanten Behandlungsstellen betragen durchschnittlich 51 Franken (rund 60 Mark) pro Patient am Tag. Dem steht ein volkswirtschaftlicher Gesamtnutzen von 96 Franken (113 Mark) gegenüber. Der größte Teil kommt durch Einsparungen bei Polizeimaßnahmen, Strafuntersuchungen und Gefängnisaufenthalten zustande sowie durch die Verbesserung der Gesundheitssituation. Nach Abzug aller Kosten entstand ein Netto-Spareffekt von 45 Franken (50 Mark).

Wegen der positiven Ergebnisse ist die Fortsetzung der Heroinabgabe in der Schweiz bis zum Jahr 1998 bereits beschlossene Sache. Langfristig soll das Schweizer Betäubungsmittelgesetz entsprechend geändert werden, darin sind sich Experten - Ärzte, Drogentherapeuten, Staatsanwälte, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler bis zu den Polizeipräsidenten - einig. Das Bundesamt für Gesundheitswesen will beim Bundesrat beantragen, die Heroinverschreibung als ergänzende Maßnahme der Drogentherapie definitiv zuzulassen. Doch vorher wird es am 28. September zu einer Volksabstimmung kommen. Die eidgenössische Volksinitiative "Jugend ohne Drogen" will die Heroinversuche sowie alle weiteren Liberalisierungsmaßnahmen mit sofortiger Wirkung stoppen. Initiatoren der Kampagne sind die Freiheits-/Auto-Partei und der Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntbnis (VPM), dem immer wieder rechstextreme Verbindungen nachgesagt werden. Begrüßt wird die Initaitive von der Schweizer Volkspartei, SVP. Sollte das Volksbegehren eine Mehrheit von Bevölkerung und Ständen finden, würde dies das Aus für die Heroinverschreibung bedeuten, aber auch die Substitution mit Methadon, die Spritzenabgabe und der Betrieb von Gesundheitsräumen müßten eingestellt werden.