Doppelter Bock mit Kohl und Waigel

CSU und CDU trafen sich zum Beten, Arbeiten und Trinken im Kloster Andechs

700 000 Touristen und Wallfahrer aus aller Welt strömen jährlich ins oberbayerische Kloster Andechs und frönen dort Weihrauchrausch und schwarzem Doppelbock aus der zweitältesten Brauerei der Welt. Dieser Ort des Bölkstoffdeliriums erschien dem schwarzen Doppelpack aus CDU und CSU wohl genau der richtige, um ordentlich Nebel zu verbreiten, hinter dem der Streit um eine Kabinettsumbildung verschwinden sollte. Ein gemeinsames Strategiegespräch auf dem Heiligen Berg von Andechs sollte endlich wieder für positive Schlagzeilen sorgen und die kommenden, für beide Parteien wohl entscheidenden zwölf Monaten einleiten. Denn bei der bayerischen Landtagswahl im September nächsten Jahres und der kurz darauf stattfindenden Bundestagswahl könnte sowohl für die CSU-Alleinherrschaft in München als auch für die Bonner Regierungskoalition die Stunde schlagen.

Als die Parteichefs Kohl und Waigel am vergangenen Donnerstag in Andechs nach vierstündigen Beratungen hinter den verschlossenen Türen des klösterlichen Fürstensaals vor die rund 250 Pressevertreter traten, taten sie dann auch genau das, was zu erwarten war: Alle internen Probleme abstreiten und den Schwarzen Peter für das Scheitern ihrer Reformpläne sowie die ausgebliebenen blühenden Landschaften den Sozialdemokraten und der "Erblast der SED-Diktatur" zuschieben. Alle Fragen nach einer Kabinettsumbildung wurden gekonnt pariert. Kohl: "Das war kein Thema." Waigel: "Wir werden zu gegebener Zeit noch einmal darüber reden."

Was bleibt ihnen auch anderes übrig, als noch näher zusammenzurücken. Angesichts der desaströsen wirtschaftlichen Lage, einer nie dagewesenen Massenarbeitslosigkeit, miserabler Umfrageergebnisse und drohender Schlappen bei den kommenden Landtagswahlen sowie nicht zuletzt Waigels Selbstdemontage konnten die beiden nicht anders, als trotz aller Risse im Regierungslager ungerührt die Einigkeit des schwarzen Parteienblocks zu demonstrieren.

Dabei sind sie mehr denn je aufeinander angewiesen. Waigel braucht Kohl, weil er bei bröckelnder Sympathie in der eigenen Parteibasis die Unterstützung der Schwesterpartei gegen seinen Widersacher, Ministerpräsident Edmund Stoiber, dringend nötig hat. Und Kohl braucht Waigel, weil der Kanzler ohne seinen derzeitigen CSU-Finanzminister massive Probleme hätte, sein wohl letztes großes Werk, die europäische Währungsunion, gegen den Widerstand von Euro-Gegner Stoiber und der CSU-Mehrheit durchzusetzen.

Während Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer einen Tag zuvor eine Verschiebung der Währungsunion ins Gespräch gebracht hatte, übte sich Waigel in Andechs in Zweckoptimismus. Die im Maastricht Vertrag festgelegte Vorgabe, wonach das öffentliche Defizit nicht über drei Prozent des Bruttoinlandproduktes liegen darf, sei zu schaffen, so der Finanzminister. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob Waigels Beschwörungen geholfen haben. Falls nicht, dürfte es in der CSU und damit in der Koalition zur Zerreißprobe kommen. Denn es ist kaum anzunehmen, daß Kohl eine Verschiebung der Währungsunion hinnehmen wird. Und Waigel wird bei einem Verfehlen der Stabilitätskriterien eine Währungsunion kaum gegen den Populisten Stoiber und die Mehrheit der CSU-Basis durchsetzen können. Will er sich nicht des letzten Rückhalts in der eigenen Partei berauben, bleibt ihm dann nur der Seitenwechsel zu den Euro-Gegnern oder der Rücktritt.

Doch selbst wenn die Bundesrepublik wider Erwarten die Euro-Teilnahmebedingungen erfüllen wird: Waigel steckt in einem fast unlösbaren Dilemma. Während er als Kabinettsmitglied gezwungen ist, die Politik der Bundesregierung mit all ihren Folgen mitzutragen, hat es sein Konkurrent Stoiber verstanden, sich von Bonn zu distanzieren. Eine Strategie, die er mit Blick auf die Landtagswahl noch weiter verstärken wird. Und jeder Stoibersche Seitenhieb gegen die Bonner Koalition trifft immer auch den CSU-Chef. Aus dem Sommertheater um Waigels Interview hat sich der Ministerpräsident ebenfalls geschickt heraus gehalten. Kein Wunder: Die Felle, die dem CSU-Chef davonschwimmen, angelt sich Stoiber. So wurde der Ministerpräsident in Andechs selbst von den 150 Bauern, die vor den Klostertoren gegen die Bonner Agrarpolitik protestierten, freundlich begrüßt. Waigel und Kohl dagegen empfing ein regelrechtes Pfeifkonzert.

Von einem "Andechser Signal" war beim Strategietreffen kaum etwas zu spüren - auch wenn Kohl beteuerte, das Gespräch habe in einem "menschlich hervorragenden Klima" stattgefunden. Zuversicht und Selbstbewußtsein strahlen diese Worte kaum aus, eher das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Selbst beim Thema Innere Sicherheit fällt CDU und CSU nichts Neues mehr ein. Mit den in der "Andechser Erklärung" enthaltenen altbekannten rechtspopulistischen Parolen wie der Forderung nach einer "harten Linie" von Polizei und Justiz sowie "Null Toleranz gegen Rechtsverletzungen" ist kein Blumenstrauß mehr zu gewinnen, seit die SPD die Union auf diesem Feld rechts überholt hat. Da hilft nur noch der Griff in die Mottenkiste des letzten Wahlkampfs: "Die Volksfront der Linksparteien würde Deutschland in den Niedergang führen. Unser Land darf nicht zum sozialistischen Experimentierfeld werden." Mehr als Stammtischparolen und Beschwörungen scheint den Unionspolitikern nicht mehr einzufallen - dafür allerdings waren sie im Kloster Andechs genau am richtigen Ort.