»Die Leute haben andere Probleme«

Sechs Jahre nach den Ausschreitungen gegen Migranten in Hoyerswerda: Die Asylbewerber mußten gehen, die Arbeitslosen sind geblieben. Und Ausländer trifft man nur im Italien-Urlaub. Eine Reportage

Die Graffiti am "Dock 28" sind schon etwas verblaßt. Inmitten des grauen Plattenbaugebiet befindet sich der einzige Treffpunkt für linke Jugendliche in in Hoyerswerda. HipHop-Konzerte stehen hier ebenso auf dem Programm wie regelmäßige Kneipenabende und gemeinsame Ausflüge - alles ohne finanzielle Unterstützung der Stadt. Die Clubbesucher und -besucherinnen sind vor allem erleichert, daß die Angriffe von Neonazis in den letzten zwei Jahren aufgehört haben. "Nachdem die ältere Neonazigeneration ruhiger geworden ist, sich ins Privatleben zurückgezogen hat oder aus Hoyerswerda weggegangen ist, haben wir keinen Streß mehr", beschreibt ein Clubbesucher die momentane Situation. Eine Notwendigkeit für antifaschistische Organisierung gebe es daher auch nicht mehr. "Kulturelle Sachen sind unser Schwerpunkt." Einzige Ausnahme sei eine "etwas größere Schlägerei" zwischen rechten und linken Jugendlichen im Oktober letzten Jahres gewesen, nachdem eine Gruppe von Skinheads Jugendliche auf offener Straße angegriffen hatten.

Doch Ruhe in Hoyerswerda, der einstigen "sozialistischen Musterstadt", in der die Straßen abends leergefegt sind, ist ohnehin trügerisch. Auch wenn Verfassungsschutz und das sächsische LKA in Hoyerswerda keine "rechte Hochburg" mehr sehen wollen und die Stadtoberen die Existenz einer rechten Szene rundweg leugnen. Ähnlich wie in anderen Kleinstädten Sachsens sammelt sich die Neonazi-Szene in Hoyerswerda mittlerweile in verdeckt arbeitenden Gruppen. Hinweise darauf finden sich seit einigen Monaten auf der Homepage der neonazistischen Sammlungsorganisation Die Nationalen. Unter der Überschrift "Hoyerswerda wieder national" wird dort über die Neugründung einer Kameradschaft der Nationalen berichtet und mit neuen Pogromen gedroht: "Die Kameraden dort wollen in Zukunft so viel Zivilcourage zeigen, wie es die Älteren bereits 1991 getan haben, als sie ihre Wut über den immer maßloser werdenden Asylbetrug und die Hilflosigkeit der verantwortlichen Politiker auf die Straße trugen."

Betreut werden die "ganz jungen Kameraden" offenbar vom Ortsverband der Nationalen im benachbarten Niesky, die sich dort Nationaler Widerstand Niesky nennen. Auf einem "Gautreffen" in Niesky im Sommer dieses Jahres, an dem auch der Vorsitzende der Nationalen, Frank Schwerdt, sowie der NPD-Kader Jürgen Krumpholz teilnahmen, wurde vereinbart, gemeinsam mit der NPD bei den nächsten Kommunalwahlen in Sachsen eine "nationale Liste" aufzustellen. Für die "musikalische Unterhaltung" der über 100 Teilnehmer sorgten Mitglieder der Cottbusser Neonaziband Frontalkraft.

Beim zuständigen LKA Sachsen ist man allerdings davon überzeugt, daß seit der Schließung eines Schulungszentrums des Jungen Nationalen Spektrums unter Leitung von dessen Vorsitzenden Udo Hempel im nahegelegenen Weißwasser im August 1996 die Aktivitäten organisierter Neonazis erheblich zurückgegangen seien. (Hempel hatte im Januar letzten Jahres versucht, in Hoyerswerda einen Aufmarsch mit 200 Neonazis gegen das sächsische Polizeigesetz durchzuführen, die Versammlung wurde von der Polizei aufgelöst.)

Doch die Erfahrungen der wenigen noch in Hoyerswerda lebenden Migranten und Migrantinnen sprechen dagegen: Kerstin Grummt und ihr türkischer Ehemann Mustafa Grummt betreiben seit 1992 einen Imbiß und ein türkisches Spezialitätenrestaurant in Hoyerswerda. "30 Mal wurde der Imbiß in den letzten fünf Jahren angegriffen", berichtet Kerstin Grummt. "1992 und 1993 wurden nachts Brandsätze in den Imbiß geworfen. Zwei Mal brannte er völlig aus. Mittlerweile gehen nur noch die Schaufensterscheiben zu Bruch oder grölende Skinheads kommen ins Restaurant und bedrohen Gäste und das Personal", erzählt die ehemalige Chefsekretärin. Zuletzt wurde ihr türkischer Schnellimbiß "Merhaba", ein kleiner unauffälliger Pavillon inmitten von Plattenbauten im Neubaugebiet, am 14. August dieses Jahres erneut Ziel eines Anschlags. "Die Täter haben nachts alle Scheiben eingeschmissen und die Wände mit neonazistischen Parolen beschmiert." Seitdem schauen Kerstin und Mustafa Grummt auch nachts nach ihrem Stand, denn "von der Polizei erwarten wir nichts mehr. Die Polizeibeamten haben noch nicht mal die Feldsteine, mit denen die Fensterscheiben eingeworfen waren, aufgehoben", erinnert sich Kerstin Grummt. Auch die Aufkleber des rechtsextremen Europa Vorn Verlags aus Köln, die in der Tatnacht geklebt wurden, hätten die Polizeibeamten nicht interessiert.

Kerstin Grummt berichtet auch, daß eine befreundete vietnamesische Imbißbesitzerin im letzten Jahr ihr Geschäft aufgegeben habe, nachdem ihr bei einem Überfall von Skinheads der Arm gebrochen und sie kopfüber in eine Mülltonne geworfen wurde.

"Zum Thema Ausländerproblematik wird sich mein Chef nicht äußern", wehrt Stefan Skora, Pressesprecher des PDS-Oberbürgermeisters Horst-Dieter Brähmig, ab. "Jedes Jahr im September zum Jahrestag der Ausschreitungen ruft die Presse hier an. Warum berichten Sie nicht darüber, daß Hoyerswerda im nächsten Jahr den 'Tag der Sachsen' ausrichten wird? Das ist immerhin das zweitgrößte Volksfest in Deutschland." Auch auf die Nachfrage, wieviele Ausländer denn noch in der 52 000-Einwohner-Stadt leben, reagiert Skora kurz angebunden. "Wenn Ausländer nicht in Hoyerswerda wohnen wollen, dann ist das doch ihre freie Entscheidung."

Schon unmittelbar nach dem knappen Wahlsieg des PDS-Kandidaten Brähmig vor drei Jahren - der ehemalige Leiter des Straßenverkehrsamtes erhielt genau 719 Stimmen mehr als sein SPD-Konkurrent - hatte sich Horst-Dieter Brähmig gegen eine erneute Zuteilung von Asylbewerbern nach Hoyerswerda ausgesprochen: "Die Bürger hier sind noch nicht reif, Ausländer zu integrieren", erklärte er damals. Priorität habe der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt, die mit 23,5 Prozent eine der höchsten Arbeitslosenraten der Region hat. Dabei ist es bis heute geblieben.

Seit September 1991 gibt es keine Asylbewerber mehr in Hoyerswerda. Damals hatten rechte Jugendliche aus dem Neubauviertel gemeinsam mit angereisten Neonazis die mosambikanischen und vietnamesischen Bewohner eines Vertragsarbeiterwohnheims und ein Asylbewerberheim terrorisiert. Während die Bilder von verängstigten Menschen hinter zerbrochenen Fensterscheiben im Schein von brennenden Molotow-Cocktails die Republik schockierten, schauten die Anwohner der benachbarten Plattenbauten zu und applaudierten den Tätern. Begleitet vom grölenden Beifall der Gaffer, verließen die letzten Asylbewerber schließlich am 21. September 1991 unter Polizeischutz Hoyerswerda. Wenig später folgten die letzten Vertragsarbeiter, die jahrelang mit ihren deutschen Kollegen im Braunkohlekombinat des Nachbarorts Schwarze Pumpe gearbeitet hatten. Nach intensiven Recherchen gingen antirassistische Gruppen davon aus, daß der Pogrom, das vor dem Heim der mosambikanischen und vietnamesischen Vertragsarbeiter begonnen hatte, von Vorarbeitern der Laubag AG in Schwarze Pumpe angezettelt worden war. Offenbar wollten die deutschen Kohlekumpel ihre vermeintlichen Konkurrenten in der Phase der ersten Massenentlassungen im Braunkohletagebau um jeden Preis ausschalten. Nützlicher Nebeneffekt für die Laubag AG: Durch die erzwungene Flucht der Vertragsarbeiter aus Hoyerswerda erhielten die meisten von ihnen die von der Laubag AG vertraglich zugesicherten Abfindungen nicht mehr.

Heute leben noch knapp 200 Ausländer und Ausländerinnen in der einstigen "sozialistischen Musterstadt", darunter eine Handvoll bosnischer Kriegsflüchtlinge. Auf der Straße trifft man sie nie. Nur ein indisches, ein griechisches und ein chinesisches Restaurant sowie die beiden Gastststätten der Familie Grummt geben einen Hinweis darauf, daß Hoyerswerda doch nicht ganz so "ausländerfrei" ist, wie die Neonazis nach den Ausschreitungen jubelten. Trotzdem ist die Parole, "die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg", in der Stadt überall zu hören. Bei jungen Männern mit Skinheadfrisuren, die tagsüber vor den Einkaufshallen des "Lausitz Zentrums" ihr Bier trinken. Oder bei den heutigen Bewohnern des ehemaligen Flüchtlingswohnheims in der Thomas-Müntzer-Straße, die immer noch der Meinung sind, daß die Medien damals "alles hochgespielt" hätten.

"Ohne die Presse wäre Hoyerswerda eine Stadt wie jede andere auch", bekräftigt ein ehemaliger Kohlekumpel aus der Schwarzen Pumpe, der wie so viele "seit ein paar Jahren stempeln geht". Die Frage, ob sich denn die Lage der Arbeitslosen in Hoyerswerda seit der Vertreibung der Asylbewerber vor sechs Jahren verbessert hätte, kann er nicht beantworten. Der Mann hat "selbstverständlich" PDS gewählt. "Die sind doch die einzigen, die unsere Interessen vertreten. Und Ausländer haben sie ja auch nicht mehr hierher geholt." Auch von anderer Seite erhält der PDS-Oberbürgermeister Lob. "Brähmig ist ein intelligenter Mann, konservativ und christlich, der sich redlich um den Wirtschaftsstandort Hoyerswerda bemüht", sagt Friedhart Vogel, der evangelische Superintendent von Hoyerswerda. Daß die CDU-Landesregierung in Dresden die Stadt mit einer Arbeitslosenquote von 23,5 Prozent am ausgestreckten Arm verhungern lasse, sei Brähmig nicht anzulasten. "Der Oberbürgermeister hat eigentlich nur das falsche Parteibuch."

Auch Superintendent Vogel ist überzeugt, daß "die rechte Szene keinen Ärger mehr macht". Er verweist auf zahlreiche Sozialprojekte, mit denen die Szene beruhigt worden sei. Doch Projekte wie das "Bethesda", in dem rechtsextreme Jugendliche, betreut von der örtlichen Diakonie, alte Möbel restaurieren, wollen lieber nicht über ihre Arbeit reden. "Wir reden mit der Presse nur, wenn wir kontrollieren können, was über uns geschrieben wird", erklärt der dortige Leiter unverblümt. Auch Gespräche mit den Jugendlichen, die am Projekt teilnehmen sind, nicht erwünscht. "Das bringt nur Ärger." Das Telefonat wird abrupt beendet, als die die Nachfrage kommt, ob man im "Bethesda" deshalb nicht mit der Presse reden wolle, weil einer der Rechten aus dem Projekt an dem Mord an einem linken Musiker im Jahr 1993 beteiligt war und anschließend in der U-Haft Selbstmord beging.

"Die Leute in Hoyerswerda haben eben andere Probleme, als sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen," sagt Vogel. Fast 10 000 Menschen sind seit der Wende aus Hoyerswerda abgewandert - ein Trend ohne absehbares Ende. "Vor allem die jungen Leute gehen hier weg", hat der Superintendent beobachtet.

Die kleine Gruppe der Konfirmanden, die sich einmal wöchentlich im Gemeindezentrum der Johanniskirche trifft, bestätigt diesen Eindruck. "Meine Geschwister haben keine Lehrstellen bekommen und sind nach Westdeutschland gegangen", erzählt eine 14jährige. Und sie selbst? "Nichts wie weg hier, wenn die Schule vorbei ist", sagt das Mädchen, und die anderen nicken zustimmend. Fast alle hier kennen Arbeitslosigkeit aus der eigenen Familie und die Sprüche der Eltern abends vorm Fernseher: "In Deutschland gibt es zu viele Ausländer."

"Ausländern" treffen Jugendliche aus Hoyerwerda eigentlich nur im Urlaub, denn ausländische Mitschüler hat hier niemand. Die 14jährige Karin berichtet von einem Italienurlaub mit ihrer Mutter im letzten Jahr - "das hat mir gut gefallen". Schockiert war sie nur von einer Zeltplatzbegegnung mit einem deutschen Ehepaar. "Als wir denen erzählt haben, daß wir aus Hoyerswerda kommen, haben sie aufgehört, mit uns zu reden", erinnert sich Karin und findet es schade, daß "ihre Stadt" immer noch einen schlechten Ruf hat. Über die Gründe allerdings wird weder in der Schule noch im Konfirmandenunterricht diskutiert.