In eins nun die Hände

Mit der IG M5 in die Zukunft?

Die IG Metall ist bald auch für Möbel, Mode, Mörtel und Menüs zuständig

Standing ovations gab es am vergangenen Mittwoch in der Neusser Stadthalle, als die 200 Delegierten der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB, 188 000 Mitglieder) die Selbstauflösung und den Anschluß an die IG Metall beschlossen. Diese Woche werden ebenfalls gut 200 Delegierte der Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK) es den Textilern nachtun. Journalisten gaben der vergrößerten IG Metall bereits den Namen IG Metall-Mode-Möbel. Ein Name, der zeigt, daß hier tatsächlich zusammenwachsen soll und wird, was bisher nicht zusammengehörte.

Vor einem Jahr verkündete IG Metall-Chef Klaus Zwickel, seine Gewerkschaft werde mit über drei Millionen Mitgliedern den "Sprung ins nächste Jahrtausend" wagen. Parallel zum Bielefelder Kongreß der GHK findet in Hannover der Vereinigungsgewerkschaftstag der IG Chemie, Papier, Keramik (695 000 Mitglieder) mit der Gewerkschaft Leder (21 000 Mitglieder) und der IG Bergbau und Energie (335 000 Mitglieder) zur dann knapp 1,1 Millionen Mitglieder starken IG Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) statt.

Bernd Schütt, Pressesprecher der IG BAU (Bauen-Agrar-Umwelt) - deren Gewerkschaftstag diese Woche in Hamburg stattfindet - hat einen Standardspruch parat: Letztlich lasse sich für jede neue Gewerkschaftskonstellation eine Begründung finden, sagt er. So könne die IG Metall problemlos auch mit der IG BAU fusionieren. Schließlich führen die von Metallern gebauten Autos auf von Bauleuten geschaffenen Straßen. Manche Witzbolde meinen gar, alle Gewerkschaften sollten sich auflösen und dem Hartmannbund, dem berufsständischen Verband der Ärzte, beitreten - schließlich müßten alle Menschen irgendwann mal zum Arzt.

Allerdings: Umso größer und mächtiger die Einzelgewerkschaften, umso mehr verliert der Dachverbander Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) an Bedeutung. Beispiel: Innerhalb einer Woche finden parallel drei Gewerkschaftstage statt - hier wäre es die Aufgabe des DGB gewesen, koordinierend einzugreifen, um die Termine zu entzerren, damit jeder Veranstaltung die nötige Aufmerksamkeit zuteil werden kann. Kritiker werfen ihm vor, sich auch bei der anstehenden Organisationsreform der Einzelgewerkschaften zu sehr zurückgehalten zu haben und weder eine moderierende noch eine organisierende Rolle einzunehmen.

Neben den bereits erwähnten Zusammenschlüssen tut sich noch mehr in Sachen Kooperation, Fusion und Konfusion: Um dem Wandel in der Medien-, der Telekommunikations- und der Finanzdienstleistungsbranche Rechnung zu tragen, wollen die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), die IG Medien und die Postgewerkschaft (DPG) einen "Gewerkschaftsverbund" eingehen, der - wie es im derzeit von den Gliederungen der drei Gewerkschaften diskutierten Verbundvertrag heißt - "perspektivisch in eine gewerkschaftliche Neuorganisation" münden soll.

An anderer Stelle gibt es Überlegungen, aus der nicht dem DGB angehörenden Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und der HBV eine "Dienstleistungsgewerkschaft" zu machen. Mit in diesen Konfusionsstrudel hineingezogen werden die Eisenbahnergewerkschaft (GdED), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG). Die IG Metall liebäugelt mit der GdED - klar, Eisenbahn wie Metall - und würde die Postgewerkschaft auch gleich mitkassieren. Zwischen der GEW und der IG Medien gibt es im Kulturbereich Überschneidungen, deshalb müsse man eigentlich die GEW in den Verbund hineinnehmen, meint IG Medien-Chef Detlef Hensche. Auch die NGG ist eine umworbene Braut: Sowohl die HBV wie auch die IG Chemie balzen um ihre Gunst.

Der NGG-Vorsitzende Franz-Josef Möllenberg sprach sich jetzt gegenüber der Lebensmittelzeitung jedoch gegen eine "Dienstleistungsgewerkschaft" aus: "Am Verbund von Postgewerkschaft, HBV und IG Medien wird sich die NGG nicht beteiligen", und sich auch "keiner Organisation anschließen, deren Kern aus ÖTV oder HBV besteht." Wenn über neue Allianzen nachgedacht werde, liege eine Kooperation im Lebensmittelsektor mit der HBV näher, dieser Zug sei allerdings abgefahren, da sich die HBV anderweitig orientiert habe. Damit brüskiert Möllenberg hauptsächlich die HBV-Vorsitzende Margret Mönig-Raane, die sich in der Vergangenheit immer wieder um die NGG als Kooperationspartnerin bemüht hat.

Bei einem Spitzengespräch am 4. Oktober in Hamburg loteten die Vorstände von IG Medien, HBV, Postgewerkschaft, GEW, NGG, Eisenbahnergewerkschaft, ÖTV und DAG aus, ob es jenseits von IG BCE und IG Metall die Möglichkeit einer "Kartellösung" nach Vorbild des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) gebe. Bei einem Vorgespräch vor wenigen Wochen stellten die Vorsitzenden fest, daß es in vielen Bereichen Überschneidungen in der Branchenzugehörigkeit gebe. Doch bereits 1995 wurde das ÖGB-Modell von IG Metall und ÖTV verworfen. Im ÖGB gibt es nur die direkte Mitgliedschaft im Dachverband, das heißt, die Gewerkschaftsmitglieder sind Mitglied des ÖGB, die Einzelgewerkschaften betreiben lediglich das Tarifgeschäft nach Branchen.

Es ist also einiges in Bewegung im Hause DGB - bis auf die Polizeigewerkschaft ist alles im Vereinigungsfieber. Mit diesen Vereinigungen wollen die übrig gebliebenen Gewerkschaften retten, was noch zu retten ist: Immer weniger Mitglieder in immer mehr diversifizierten Branchen wollen einen Mindestschutz ihrer Interessen. Institutionelle und damit auch politische Verschiebungen sind die Folge.

Grund genug, die Organisationen noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Jungle World liegen jetzt drei umfangreiche interne Studien vor, die sich mit dem Zustand der Gewerkschaften befassen.